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Mit viel Holz

Published in Blog

Etwas verfahren, das aber sehr erhaben.

Die Straße ist zu Ende – und plötzlich ist da ein Golfplatz. Hoppla. Während alle anderen Menschen, die hier mit Schlägern Bälle über den grünen Rasen putten, ihre modernen Sports Utility Vehicle brav draußen vor den Toren geparkt haben stehen wir mit unserem ehrwürdigen Mercedes-Benz 220 „Ponton“ plötzlich mitten auf dem Grün. Da bedarf es einiger Erklärungen. Legen wir mal los.

Die Leute spielen hier Golf

Die Leute spielen hier Golf

„Entschuldigen Sie, diese Straße ist eigentlich für den Verkehr gesperrt. Die Leute spielen hier Golf, wissen Sie…“ Mit gesenktem Haupt berichten wir von offenen Schranken, unübersichtlicher Streckenführung und interessanten Sandwegen und wollen gerade eine Entschuldigung hinterhermurmeln, als immer mehr Golfer über den Platz gelaufen kommen. Nass bis auf die Knochen ziehen einige ihre Mütze tiefer in den Nacken, andere haben den Kampf gegen die Elemente aufgegeben, aber alle scheinen sich über die historische Abwechslung an diesem verregneten Morgen auf dem Grün zu freuen.

Was für eine Nase.

Sätze wie „Das war der erste Wagen meines Vaters…“ oder „Mensch ein Ponton, und dazu noch der lange, guck mal Egon…“ ersetzen die freundlichen Belehrungen, wer nun wo sein darf und wer nicht. Alle scheinen sich über den unerwarteten Auftritt des S-Klasse Vorgängers zu freuen, und außerdem ist ja sowieso bald Mittagszeit. Und wir? Wir müssen jetzt mal sehen, dass wir die Kuh vom Eis bekommen oder den Ponton vom Grün, so oder so möglichst ohne dass der sich festfährt.

Rückwärtsgang und wieder weg hier.

Gelungener Auftritt, egal wann und wo

Die automobile Zeitrechnung vieler junger Leute beginnt im neuen Jahrtausend, diesen viel älteren, technologischen Leckerbissen haben sie nicht auf dem Schirm. Wie ist das mit euch? Habt ihr schon einmal einen in freier Wildbahn gesehen? Für den und viele andere Klassiker könnt ihr euch beim Spezialversicherer Hiscox ein unverbindliches Angebot für eine Oldtimerversicherung machen lassen, klickt gern einmal drauf 🙂 Die nassgeregneten Golfer hier wissen, was da steht. Einige kennen den Ponton noch selbst aus dem Straßenbild, aber mindestens die Eltern oder der Onkel hatten einmal einen.

So geht Design

Der kleine Bruder W 120 und seine Varianten (entsprechend dem heutigen E-Klasse Segment) wurden ab 1953 in Hunderttausender Stückzahlen produziert und waren vor allem als Taxi mit Dieselmotor sehr beliebt und überall präsent. Der ein Jahr später erschienene „große“ Ponton wurde insgesamt um 17 Zentimeter verlängert, vorn um 10 Zentimeter (um dem Reihensechser Platz zu geben) und im Fond um weitere 7 Zentimeter, um den Passagieren Platz zu geben. Diese Verlängerung, wenn auch erst auf den zweiten Blick sichtbar, machte seine Linie eleganter und gediegener. Von seinen Varianten 220, 220 S und 220 SE wurden zwischen 1954 und 1959 allein mehr als 80.000 Stück verkauft. Man wusste in den 1950ern ziemlich genau, wie ein eleganter Auftritt mobil zu untermalen war. Und man kam am Ponton im Straßenbild nicht vorbei.

Klein und fein und sehr schön.

Der Charme eines Wohnzimmers

Ein paar 100 Fahrzeuge dieser Baureihen sind heute noch in Deutschland zugelassen. Schade, nur so wenige, entschleunigt der Luxus der 1950er doch auf eine ganz besondere Art und Weise! Mit der Abkehr von den Leiterrahmen-Konstruktionen führte Mercedes-Benz mit dem Ponton die selbsttragende Karosserie ein. Dadurch änderte sich das Äußere der Fahrzeuge komplett, sie sahen nun durch die innen liegenden Radkästen nicht viel anders aus als Autos im aktuellen Jahrtausend. Im Inneren jedoch wurde besonders bei den Sechszylindermodellen noch der Charme alter Droschken mit hochwertigen Materialien aufrechterhalten.

Willkommen im Wohnzimmer

Feines Leder, flauschiger Teppich und vor allem viel Holz machten aus dem großzügigen Innenraum einen Salon für gut Situierte, wer wollte auch einen Rauchersalon. Die chromigen Aschenbecher jedenfalls haben die Dimensionen von Getränkehaltern. Die wiederum fehlen völlig, 1955 hatte man noch nicht das Bedürfnis, im Auto zu essen oder zu trinken. Sodenn, meine Herren (und Damen), weisen Sie uns doch bitte einmal ein und spielen Sie dann weiter mit den Schlägern den Ball.

Als Raucher noch abaschen konnten…

Fährt sich immer noch zeitgemäß

Bei der grundlegenden Bedienung hat sich in den letzten 70 Jahren am Grundprinzip „Automobil“ gar nicht verändert. Kupplung links, (Trommel)Bremse in der Mitte und Gaspedal rechts. Der Ganghebel, ein ähnlich aussterbendes Relikt wie die klassische Three-Box-Limousinenform, befindet sich am Lenkrad. Hat man sich an alles gewöhnt, zirkelt sich auch ein 220 von einem Golfplatz wieder herunter, ohne dass die Pendel-Hinterachse sich in den grünen, satt feuchten Rasen eingraben würde. Danke meine Herren für die einweisende Unterstützung mit Händen und Füßen. Ich versprach, das freundlich zu erwähnen.

Fährt sich höchst aktuell

Die massiven, geschwungenen Formen der angedeuteten Kotflügel werden optisch durch dezente Chromapplikationen aufgelockert, und wenn man bedenkt dass heute auch ein Kompaktwagen locker 1300 kg wiegt ist der alte Herr mit seinen 85 PS (63 kW) noch immer gut unterwegs. 150 Km/h wären durchaus drin, aber wer will das denn bei so einem gediegenen Fahrzeug schon ausreizen? Früher war mehr nicht nötig, heute ist mehr meistens gar nicht möglich.

Das Triebwerk strahlt Ewigkeit aus

Wir verlassen den Golfplatz wieder. Ein paar Männer winken dem W 180 verzückt hinterher, die anderen verschwinden in einem trockenen Gebäude in der Nähe von Loch 6.

Klimaanlage aus den 50ern.

Ein Auto mitten in einer… Welt

Der Regen prasselt jetzt energisch auf das Dach des großen Ponton, während der Weg uns weiter durch die bergige Landschaft führt. Mein Beifahrer hat jetzt lieber mal sein Navi angemacht, nicht dass wir nach dem Golfplatz noch woanders landen, wo wir eigentlich gar nichts zu suchen haben. Wobei die Golfer alle sehr nett und nass waren, vielleicht sollte man sich wieder einmal mit After Work Golf befassen. Die kleinen Scheibenwischer ziehen die Tropfen von der Windschutzscheibe, das Radio dudelt ganz leise und das Bild vom gemütlichen (und trockenen) Wohnzimmer will einfach nicht verschwinden. Zu massiv sind die Holzleisten um mich herum. Großartig.

Soundsysteme aus einer anderen Welt

Aufrecht sitzend auf einem durchgehenden Sofa ohne Seitenhalt, ohne Gurte und ohne Kopfstützen, aber mit einer Batterie dicker Knöpfe unter dem Breitbandtacho wie die Register einer Kirchenorgel. Das ist gediegen, das fühlt sich gut an und das entspannt die Reisenden auch nach vielen Kilometern noch. Nur Elektrik, keine Elektronik. Und die Außenwelt ist zwar draußen, aber nicht so hermetisch weggesperrt dass man den Bezug zu ihr verliert. Das fühlt sich gut an. Das werdet ihr kennen, wenn ihr auch ein altes Auto bewegt. Und wenn es euch lieb ist – schaut einmal mit einem kurzen Klick, was euch die Versicherungsbeiträge bei Hiscox kosten würden. Meinen Taunus habe ich da auch versichert.

Einmal um die Kurve und dann bis zum Horizont!

Zeitloser Komfort

Wer täglich lange Reisen unternehmen muss, der hat sich heute selbstverständlich an einen anderen Komfort und andere Sicherheits-Standards gewöhnt. Und das ist auch gut so. Aber für eine kleine Auszeit bringt einen dieser Ponton wieder zurück in die Mitte des vergangenen Jahrhunderts, hinein ins Wirtschaftswunder und die Manufakturen mit Artikeln „Made in Germany“. Und das fühlt sich gar nicht so schlecht an.

Sandmann

 

Mercedes-Benz 220 (W 180)
Baujahr: 1955
Motor: Reihe 6
Hubraum: 2.195 ccm
Leistung: 63 KW (85 PS)
Getriebe: 4-Gang Schaltgetriebe
Antrieb: Hinterradantrieb
Top Speed: 150 km/h

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