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Mercedes E-Klasse Kombi

Published in radical-mag.com

Erwartungshaltung

Hatte man in den vergangenen Wochen die (deutschsprachige) Berichterstattung über den neuen Mercedes E-Klasse Kombi verfolgt, dann konnte man durchaus vom Gefühl beschlichen werden: das ist es. Das grossartigste Automobil aller Zeiten, mindestens, das schönste sowieso, das technisch fortschrittlichste auch noch. Noch selten wurde ein Wagen derart hochgeschrieben, fast schon verehrt, angebetet, auch im Sinne von: hier zeigt Deutschland mal wieder so richtig, wo es langgeht, wie hoch der Hammer hängen kann, wer das Auto erfunden hat.

Nun, «radical» kann in diesen Kanon nicht einstimmen. Wir wollen es so schreiben: die E-Klasse ist wahrscheinlich der beste Benz, den man für Geld kaufen kann. Die Stuttgarter haben alles investiert, was sie haben und können, und das ist ja bekanntlich eine ganze Menge. Inklusive so ein bisschen Auto-Pilot. Die E-Klasse soll die Maschine sein, die dem Konzern die Kasse füllt – und leider, leider spürt, sieht, riecht man an zu vielen Ecken und Enden, dass der Wagen margenoptimiert ist. Wir fuhren einen 220 CDI, der als Kombi mit einem Basispreis von 62’475 Franken angeschrieben ist – und das ist für unsereins sowie wohl auch für andere Zeitgenossen schon ein rechter Batzen Geld. Da darf man schon hohe Erwartungen haben.

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Es beginnt bei zu viel Plastik, der Grill, vorne, sieht nach weit mehr aus als er ist; der Stern selber ist auch nichts wert, also, vom Material her. Die eigenartig geschnittene Motorhaube, schon optisch schwer verständlich, passt hinten und vor allem vorne nicht; die A-Säule wird von einem zusätzlichen Holmen an der Innenseite ganz sicher nicht verschönert. Gleiches geschieht hinten, ein aufgesetzter Dachspoiler, der von Plastikholmen gestützt wird – ein Graus. Wie auch die Plastik-Unterbodenverkleidung hinten mit der Chromspange, die vom ganzen Unglück ablenken soll. Und, einfach mal so als Frage, nicht nur bei diesem Benz: was soll eigentlich die dicke schwarze Umrandung der hintersten Seitenscheiben und des Heckfensters? Das ist nur: aussen. Und ohne, dass wir vertieft auf einige klare Design-Mängel eingehen wollten. Innen dann können wir die Liste beliebig verlängern, der Griff unter den Sitz ist, hmm, kein erfreulicher, die Plastik-Intarsien am Lenkrad schepperten auf schlechten Strassen, etc. – und wenn wir hier den Volvo V90 noch gegenüber stellen würden (was wir getan haben, aber hier nicht weiter vertiefen wollen), dann würde das Bild noch viel trauriger. Entschuldigung, dass wir dies derart deutlich ausdrücken, aber das ist eines Mercedes nicht würdig.

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Und dann plaudern wir doch mal über das Bediensystem im Benz. Hochgelobt auch dies allerorten – aber wohl von Piloten, die seit 2002 kein modernes Fahrzeug mehr fahren durften. Von wegen Touchscreen und solchen Sachen muss man ja mit Mercedes nicht diskutieren, das wissen sie in Stuttgart ja besser als im Silicon Valley, auch die Frage, weshalb dies Vieh von einem Bildschirm längs und nicht hoch eingebaut ist, erübrigt sich wohl, weil all die Smartphones und das iPhone bis in die siebte Generation komplett falsch konstruiert sind. Wir müssen den Vergleich zu Nokia bemühen, einst mit gefühlten 90 Prozent Durchdringungsrate, aber unterdessen unglaublich tot; vielleicht sollte man in Stuttgart auch einmal in ein anderes Fahrzeug schauen, es muss ja nicht gerade ein Tesla sein. Oder ein Volvo. Oder ein Renault. Oder vielleicht die alten Nokia-Knochen mal ersetzen. Das modernste Teil in der E-Klasse ist der Multifunktionshebel, und der ist so total aktuell auch nicht mehr. Und das seit das 10 Jahren.

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Da geht leider unter, dass die E-Klasse über ausgezeichnete (Aktiv-)Sitze verfügt, die man unbedingt loben (und mit einem happigen Aufpreis bezahlen) muss. Ausgezeichneter Seitenhalt, gute Unterstützung am Rücken, und doch komfortabel; das dauernde Luftgepumpe kann auf Dauer allerdings etwas nerven. Auch hinten sitzen die Passagiere bestens, bloss: die Beinfreiheit ist so grossartig nicht, das kann der Volvo deutlich besser, und den Skoda Superb erwähnen wir in diesem Zusammenhang besser gar nicht. Dass Mercedes beim neuen Modell, das aussen doch deutlich gewachsen ist, das maximale Ladevolumen bei abgeklappten hinteren Sitzen von 1950 auf 1820 Liter einschränken musste, verwundert etwas. Damit wurde ein bisheriges Alleinstellungsmerkmal – best of class – wegradiert.

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Im Fahrbetrieb gibt es nichts zu bemängeln. Die 9-Gang-Automatik verhält sich erstaunlich ruhig, nicht wie andere Gerätschaften mit derart vielen Stufen. Sie hat aber auch das Glück, dass sie mit 400 Nm maximalem Drehmoment spielen kann, das schon bei 1600/min anliegt. Und so bewegt sich das doch gut 1,8 Tonnen schwere Gefährt erfreulich behend‘. Der neue 2-Liter-Diesel, 30 Kilo leichter als sein Vorgänger, bringt es auf 194 PS – und erfreut mit sehr feiner Laufruhe. Man muss ihn schon ordentlich treten, damit er lauter wird, was aber irgendwie eh nicht zum Charakter des Benz passt. Und so rollt man friedlich einher. Dies am besten ganz einfach im Fahr-Modus «Comfort»; alles andere sind unnötige Spielereien. Und wie man auch weiss: Kompromisse. Dort in Dänemark, wo wir die E-Klasse gefahren sind, fehlt es so ein wenig an den von uns so sehr geschätzten Passstrassen, wir können deshalb nicht sehr viel schreiben über das Kurvenverhalten des Mercedes; die Landstrassen durchfuhr er sehr geschmeidig und auch flott. Wir hätten ihn das auch noch ganz allein machen lassen können, aber, hmm, nein, wir trauen dem Zeugs nicht, wir wollen es nicht ausprobieren.

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Wie schon geschrieben: Mercedes macht das, was Mercedes kann, gut. Das Problem ist, dass sich die Zeiten geändert haben. Da bringen die Stuttgarter ein Fahrzeug auf den Markt, das in vielen Bereichen jetzt schon veraltet ist; da mögen so gewisse Fahrassistenz-Gimmicks kurzzeitig darüber hinweg täuschen, doch das kann die Konkurrenz (bald) alles auch, denn dies Zeugs kommt ja von den Zulieferern. Und gewisse Konkurrenten können halt viele bedeutend wichtigere Dinge deutlich besser. Da wollen wir noch einmal auf den Volvo V90 zurückkommen: es steckt viel mehr Liebe im schwedischen Produkt, nicht nur zum Detail, sondern auch als Grossesganzes. Und da reden wir jetzt noch nicht einmal von Geld: ein einigermassen anständig ausgestatteter E-Kombi wird mit dieser Motorisierung sechsstellig kosten in der Schweiz.

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Der Beitrag Mercedes E-Klasse Kombi erschien zuerst auf radicalmag.