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Die italienische Natter

Published in Blog

Irgendwo in Umbrien?

Dieser Alfa ist wie zu viel Kaffee mit Kofferraum. Aufwühlend, hektisch und dabei gar nicht mal so unpraktisch. Die Welt um einen herum scheint langsamer zu werden, oder macht mich das Adrenalin schneller? Die italienische Giulia Super packt ihren Fahrer auf wenig subtile Art und Weise, und das macht sie zur ehrlichen Haut aus Blech und Gummi. „Cuore Sportivo“, nicht übertrieben aufdringlich, ohne breite Blechwülste, aber alle sind sich einig: Was für eine tolle Karre! Ich habe einen ambitionierten Händler bei Ahrensburg kennengelernt, der mir dieses Prachtstück für einen Ausritt zur Verfügung gestellt hat. Steigen wir ein und geben wir ihr die Sporen.

 

Distanzlosigkeit als Stilmittel?

Was für ein Gesicht.

Ein Doppelnocker wie Mokka

Kaffee? Gern. Diese Geschichte ist eine Ich-Erzählung. Ich-Erzählungen waren in meiner Grundschule damals in den 70ern nicht so gern gesehen. Uns wurde beigebracht, als objektiver Narrator das Erlebte mit Distanz zu betrachten und den eigenen Standpunkt außen vor zu lassen. Vergesst es. Dieses Auto, über das ich hier schreibe, ist ein Ich-Auto. Ich sehe, ich fühle, ich höre. Jegliche Objektivität können wir mal getrost beiseite legen. Distanz ist schier unmöglich, und der subjektive eigene Standpunkt ist das sportliche Gift, was der Marke Alfa Romeo überhaupt erst ihren Geist einhaucht. So gesehen ist alles, was die graue Limousine mit meiner Grundschule gemeinsam hat: „damals in den 70ern“.

Nocke hier, Nocke da.

Der unternehmungslustige Doppelnocker tickt leise in der späten Morgensonne, vom Warmfahren dreimal um den Block. Ich gönne ihm und mir eine kleine Pause, trinke noch ein paar Schluck Espresso und lasse den Wagen auf mich wirken. Lege meine Finger zärtlich auf das dreispeichige Lenkrad und lasse meine Augen auf den drei schön gezeichneten Rundinstrumenten ruhen. Drehzahlmesser, Uhr, Tacho. Sie konnten das, die Italiener. Vielleicht hielten die Schuhe von denen besser als die Autos. Das lag aber nur daran, dass in den Karossen so herrlich viel Feuer steckte, an dem man sich gern verbrannte.

Kantig, und doch irgendwie schön.

PS Kategorie: Supersportwagen

Die Ingenieure der Giulia Super waren Anfang der 60er voll auf Kaffee und konstruierten ein Auto, was ebenfalls voll auf Kaffee war. Die Vorgängerin „Giulietta“ war ihrer Kinderzeit entwachsen und wurde zur Giulia. Zeitgenössische Tester attestierten ihr eine „Überlegenheit, die man nur maßvoll ausnutzen darf, wenn man die anderen Verkehrsteilnehmer nicht verängstigen will“. Dabei war es fast egal, ob unter ihrer Haube der 1,3 Liter oder der 1,6 Liter Motor werkelte, der Wagen wurde zum Inbegriff der europäischen Sportlimousine. Und wenn dann auch noch diese Schlange auf der C-Säule klebte wusste man, dass Legenden geboren waren.

Die „Biscione“ griff auf 104 statt der üblichen 98 PS zurück. Die „große Natter“ wurde von der Sondereinheit „Pantera“ der italienischen Polizei als schneller Einsatzwagen genutzt. Normale Bürger mussten einen gewissen Wohlstand verzeichnen, um die sechs Mehr-PS unterhalten zu können. Die italienische Grenze zum Supersportwagen lag bei 100 PS, für die bissige Jule war also erheblich mehr Geld für Steuern und Versicherung fällig. Böse Zungen behaupten allerdings, dass fast alle Giulias aus den frühen 70ern die „Biscione“ auf der Seite kleben hatten. Na und? Die Geschichte ist trotzdem klasse. Darauf erstmal einen Kaffee.

Die Schlange…

Jule hat ihrem italienischen Erstbesitzer 30 Jahre lang treu gedient, dann kam sie nach Deutschland. Hier wurden Motor, Getriebe, Antrieb und Bremsen komplett überholt. Alle Gummiteile kamen neu, der Unterboden wurde mit Trockeneis gestrahlt und das klotzige Auto in seiner Originalfarbe neu lackiert. Abschließend bekam die Natter neue Dämmmatten (tatsächlich mit drei M geschrieben, gruselig) und einen neuen Teppich. Ich habe das Gefühl, dass der Wagen alt und neu gleichzeitig riecht. So, der Kaffee ist alle. Und jetzt sind die Emotionen genug runtergekühlt, jetzt geht es wieder auf die Straße!

Straff, karg und trotzdem wohnlich.

Ein Feuerwerk an Leidenschaft

Ich drehe den Zündschlüssel. Der Drehzahlmesser schnellt zuckend hoch. Der Jahrhundertmotor von Alfas Chefkonstrukteur Orazio Satta Puglia will mit ein paar Gasstößen am Leben gehalten werden. Nach leichten Justierungen am sensiblen Choke saugen die beiden Weber-Doppelvergaser zufrieden vor sich hin und sorgen für einen überraschend runden Motorlauf. Der längs eingebaute Klotz aus Leichtmetall ist wie bei Alfa üblich wunderschön im Motorraum arrangiert. Der doppelläufige Zylinderkopf glänzt wie ein Kunstwerk, die Zündkerzen thronen fein in der Mitte. Wollen junge Menschen heute noch die Motoren ihrer Autos angucken? Nein. Damals, in den 70ern, waren die Triebwerke der Italiener bewundernswerte Augenweiden. Und Ohrenweiden. Die gut 104 Pantera-PS ziehen kilsternd und röhrend die Giulia nach vorn, und wenn man sich erst einmal dran gewöhnt hat, den Drehzahlbereich um ein paar 1000 zu überbieten geht ein Feuerwerk an Leidenschaft, Bewegung und Spaß ab.

Mehr Instrumente braucht genaugenommen niemand.

Was auch immer Riscald. und Generat. bedeuten (ich habe da so eine Ahnung), was auch immer luci und fari anzeigen – sie leuchten nicht, also ist alles okay. Benzina ist da, Acqua ist warm, die Biscione kann freigelassen werden. Zwischen Ahrensburg und Stapelfeld ziehe ich die hochbeinige Limousine mit dem überraschend guten CW-Wert mühelos an Passats, Vectras und Mondeos vorbei. Was für ein Antritt dank wenig Gewicht, was für eine helle, aufgeräumte und emotionale Pilotenkanzel. Der blaue Himmel über der Elbregion kontrastiert den silbernen Lack, und der unsterbliche Adriano Celentano raunzt aus den Lautsprechern seine Hymne über den blauen Himmel in die Welt, bevor er am Ende doch die Bahn nimmt. Wie konnte dieses Auto so viele Jahrzehnte an mir vorbeirutschen, ohne dass ich es bemerkte? Voll auf Kaffee. Die Giulia, ich jetzt auch und meine Gedanken sowieso. Grazie.

Die Schuhe sind nicht aus Italien. Egal.

Azzurro, il pomeriggio è troppo azzurro e lungo per me.
Mi accorgo di non avere più risorse, senza di te,
e allora io quasi quasi prendo il treno e vengo, vengo da te,
ma il treno dei desideri nei miei pensieri all’incontrario va.
Adriano Celentano

BROOOOOMM und vorbei.

Habt ihr auch einen Oldie, den ihr hegt und pflegt? Dann schaut euch doch mal die Spezialtarife von Hiscox an. Und wer wie ich schwärmend im Netz unterwegs ist überlegt, sich einen lang ersehnten Klassiker anzuschaffen, kann natürlich auch mal unverbindlich schauen, was der ihn denn kosten würde. Das sind oft Überraschungen dabei, keine Überraschung wiederum ist der Versicherungsbeitrag für eine Hiscox Oldtimerversicherung (denn den kann man vorher erfragen). Wir sehen uns auf der Landstraße!

Sandmann

Alfa Romeo Giulia Super 1.6 Biscione
Baujahr: 1970
Motor: Vierzylinder Reihe
Hubraum: 1.570 ccm (96 cui)
Leistung: 76 kW (103 PS) bei 5500/min
Max. Drehmoment: 140 Nm bei 4600/min
Getriebe: Fünfgang Handschaltung
Antrieb: Hinterräder
Länge/Breite/Höhe: 4160/1560/1430 mm
Leergewicht: 1020 kg
Beschleunigung 0-100 km/h: 10,4 Sek.
Top-Speed: 179 km/h
Wert: ca. 30.000 Euro

Danke an Michael Schade von Oettinger Sportwagen für das Koffeein!

Die silberne Julia