Fahrbericht Tesla Model X
Die Sintflut
Nein, wir gehören nicht zur Sekte, also: ja, wir stehen Tesla durchaus auch kritisch gegenüber. Und trotzdem: nochmals ja, es ist bewundernswert, was die Amerikaner da aus dem Boden gestampft und auf die Räder gestellt haben. Tesla war ein Weckruf, Tesla trampelt weiterhin auf den Füssen der drögen Luxus-Hersteller herum, Tesla macht vorwärts und Fehler und produziert (zu) viel warme Luft – Tesla ist wichtig für eine Branche, die es teilweise nicht einmal mehr zu einem Magendarmwindchen schafft. Wenn Volkswagen dann 2020 mit seinem ID kommt und der Stern bereits 2019 mit EQ, dann werden die Amerikaner allein schon im Bereich Infrastruktur so weit enteilt sein, dass sich die deutschen Vorzeigekonzerne noch als Mobilitätszubringer verdingen können. Erstaunlich, dass man in Wolfsburg und Stuttgart und auch München solches nicht sieht (im Gegensatz zu Südkorea), nicht schneller vorwärts machen will (kann?). Doch da darf wohl die alte Garde die Kuh noch melken bis zuletzt – und sich dann mit einem goldenen Fallschirm in die Rente verabschieden. Après nous le déluge!
Wahrscheinlich, das ist jetzt unsere These, wird Tesla allerdings bis dahin an seinen eigenen, völlig übersteigerten Erwartungen zugrunde gehen (oder aufgekauft). Aber was bleiben wird, das sind die grossartigen Ideen, Gedankenmodelle, Strategien (und die hervorragende Infrastruktur) – auch wenn sich Elon Musk irgendwann mit einer eigenen Rakete auf den Mars schiesst. All das (ausser das mit dem Mars) gilt auch für das Model X: niemand braucht es wirklich, aber es ist gut, dass es das Ding gibt. Denn nie, nie, nie sahen all die Bentayga, Q7, Cayenne, Range Rover & Co. älter, dümmlicher und unnützer aus als im Vergleich mit dem Elektro-SUV. Was wir ihnen durchs Band gönnen. Denn wenn man schon 2,5 Tonnen Protz-Stahl durch die Gegend chauffieren will, die allein der Selbstdarstellung dienen, dann müssen ja nicht auch noch 20 Liter nicht erneuerbare Ressourcen in die Umwelt geblasen werden.
So ein gewaltiges SUV braucht niemand. Punkt. Es braucht auch niemand ein Model X, das 5,02 Meter lang ist, mit den Rückspiegeln 2,27 Meter breit und auch noch 1,68 Meter hoch. Gut 2,5 Tonnen wiegt auch der Tesla, er transportiert durchaus adäquat sechs oder auch sieben Personen – und 2,25 Tonnen kann der Allradler auch noch ziehen. Nun, wir haben noch nie solch ein Vieh – weder einen Tesla noch die oben schon genannten Produkte – vollbesetzt off-road einen Anhänger ziehen sehen. Eigentlich sehen wir diese Viecher eh nur in der Stadt, über zwei Parkplätze drapiert, oder dann, trotz Supercharger oder elektrischem Verdichter, dem Stau hinterherschleichend, weil zu gross, zu breit, zu unübersichtlich. Das wird beim Model X auch nicht anders sein, zwei Parkplätze braucht er mindestens, allein schon wegen seiner hinteren Türen (auf die wir dann noch zurückkommen wollen) – dem Dacia oder Space Star hinterherschleichen kann der Tesla aber wenigstens so einigermassen umweltfreundlich (inklusive aller Fragezeichen, die wir bei diesem Thema weiterhin setzen).
Die Schönheit liegt auch beim Model X im Auge des Betrachters – und weil er vorne keine dieser aggressiven Lufteinlässe benötigt und auch nicht mit einem Grill protzen muss, auf dem sich eine ganze Kuh rösten lässt, sieht er zumindest von vorne fast ein bisschen niedlich aus. Dieses Baby-Gesicht passt zwar nicht so wirklich zum mächtigen Torso, der dann dahinter kommt, aber Design gehört ja eh nicht unbedingt zu den Stärken der Amerikaner. Für die gute Show braucht es dann halt auch die mächtigen Räder, und man weiss ja, wie das so ist mit dem Rollwiderstand. Doch all die anderen grossen SUV treiben es da ja mindestens so grob, man kann es dem Tesla also nicht verüblen, dass er da dem Trend zu 20+-Zöllern folgt. Zum Fahrwerk ist zu vermerken, dass der Wagen zwar seine heftige Leistung sauber auf den Boden bringt, auf schlechten Strassen allerdings rumpelt wie ein zu hart gefederter Kleinwagen – und Kurven irgendwie gar nicht mag. Da haben halt die etablierten Hersteller ein paar Jahrzehnte Erfahrungsvorsprung, doch das zählt in diesem Segment eh nicht, auch all die anderen adipösen Geräte brillieren sowieso nur mit Längsdynamik. Ansonsten könnte der Frau Direktor ja noch die Frisur verrutschen, und solchen Ärger braucht ja dann wirklich niemand.
Oh ja, er geht, er geht sogar unglaublich, der Tesla. So geradeaus sehen alle Konkurrenten aus wie Klosterschüler im Ministrantengewand, selbst als Turbo S und auch als SVR. Als P100D haut es das Model X in 3,1 Sekunden auf 100, da muss Ferrari den LaFerrari auspacken und Porsche den 918 Spyder. Bei denen passen aber nicht sieben Personen rein und dann auch noch 370 Liter Gepäck. Der unglaubliche Vortrieb endet erst bei den elektronisch limitierten 250 km/h, wobei wir das nicht ausprobieren konnten. Wie schnell er aber auf 200 marschiert, das hat schon extrem beeindruckt. Und wie sauber er dabei die Spur hält: ebenfalls. Unser Testwagen muss aber wohl noch aus einer frühen Serie stammen, die Windgeräusche waren dann bei höheren Tempi schon fast ein wenig verstörend; die sonst so angenehme Ruhe von E-Autos bietet das Model X auch sonst nicht, die Abrollgeräusche sind ebenfalls etwas gar gut zu hören im Innenraum.
Dieser Innenraum allerdings hat es in sich. Gut, grossartige Veränderungen zum Model S gibt es nicht, es bleibt alles dominiert von diesem unglaublichen Touchscreen, der die Ausmasse eines grossen iMac hat; es gibt aber immerhin etwas mehr Kopffreiheit, wie die ganze Geschichte überhaupt sehr luftig daher kommt. Die Sitze sind anständig, vielleicht etwas zu breit für europäische Hintern, die Sitzposition ist höher, aber nicht so hoch wie bei Range & Co., der Tesla macht da eine sportlichere Anmutung. Unser Testwagen war als Sechsplätzer ausgerüstet, in der zweiten Reihe gibt es diese coolen Einzelsitze, die man sich auch in der Wohnstube vorstellen könnte, und auch ganz hinten können Personen sitzen, die grösser sind als dreijährige Pygmäen. Auch in diesem Bereich bietet der Tesla Vorteile, die sechs oder gar sieben Plätze sind so vollwertig wie in einem VW-Transporter. Auch hier ist es beeindruckend, wie gut Tesla Raum schafft, wie anders die Amerikaner denken können, out of the box sowohl bei der Gestaltung wie auch mit dem Freiraum.
Gut, manchmal ist es auch zu viel des Guten. Denn Sinn dieser Flügeltüren hinten können wir nach der Testfahrt noch weniger erkennen als vorher. Einverstanden, es ist eine grosse Show, und das passt deshalb bestens zur Selbstdarstellung, die in diesem Segment anscheinend so wichtig ist. Aber die Dinger funktionieren nur, wenn man ausreichend Platz hat – und ausreichend heisst etwa 1,5 Meter zusätzlich auf jeder Seite. Wenn die Sensoren errechnen, dass es knapp werden könnte (und das tun sie oft), dann bleiben die Teile auf halbem Weg stehen – und dann muss die Grossmutter dann auf den Knien rauskriechen. Ebenfalls problematisch: wenn diese Türen offen sind, oben stehen, dann wirken sie reichlich instabil, also, nein, sie sind es. In Dänemark, wo wir das Model X fahren konnten, wehten einigermassen heftige Winde, und ein paar Mal schlugen die beiden Türen deshalb oben zusammen. Das muss ja wohl auch nicht sein, der Lack wird solches nicht goutieren. Andererseits: gerade berauschend ist die Verarbeitungsqualität beim Amerikaner eh nicht, da bleibt noch ziemlich viel Luft nach oben.
Günstig ist das Spiel trotzdem nicht. Mit der 75-kWh-Batterie und einer NEFZ-Reichweite von 417 Kilometer sowie ohne Zusatzausstattung kostet der Tesla Model X 94’400 Franken. Für den Wagen mit der 90-kWh-Batterie (489 Kilometer NEFZ-Reichweite) sind dann schon 104’900 Franken zu entrichten, für die fette 100-kWh-Batterie (und den Allradantrieb sowie 542 Kilometer NEFZ-Reichweite) sind es satte 147’600 Franken. Damit ist Tesla dann in diesem Segment ganz oben angekommen – und sicher die beste Wahl, aus ganz vielen verschiedenen Gründen. Wie es allerdings mit Off-Road-Fähigkeiten aussieht, das wissen wir nicht; wobei, wer fährt schon einen Q7 oder einen Cayenne ins Gelände? Und was die «range fear» betrifft – weiter als so ein Tesla kommt ein Bentayga mit einer Tankfüllung bestimmt nicht.
Andere Exoten haben wir in unserem Archiv. Wobei das ja mittlerweile auch nicht mehr stimmt, in der Schweiz werden mehr Tesla S verkauft als S-Klassen von Mercedes. Und das Model X wird den weiteren Erfolg sicher nicht behindern.
Der Beitrag Fahrbericht Tesla Model X erschien zuerst auf radicalmag.