Alfetta
Eigentlich: grossartig
Vor 44 Jahren brachte Alfa Romeo mit der Alfetta eine Limousine auf den Markt, deren progressive Antriebskonfiguration – ein Transaxle-System – die Modelle der Marke für mehr als zwei Jahrzehnte prägen sollte. Das Wortgebilde «Transaxle» steht für eine Antriebsanordnung, bei der sich das Getriebe im Bereich der angetriebenen Hinterachse befindet. Motor vorn, Getriebe, Kupplung und Differential hinten – das waren und sind bei Automobilen mit Hinterrad-Antrieb die besten Voraussetzungen für eine ideale Gewichtsbalance. Dank dieser nahezu ausgeglichenen Verteilung der nur 1080 Kilogramm Leergewicht und weiterer progressiver Technologien wie den innenliegenden Scheibenbremsen hinten avancierte die Alfetta zu einer der fahrdynamischsten und sichersten Limousinen ihrer Zeit.
Alfa Romeo adaptierte das System auch für den Nachfolger, den Alfa 90 (ab 1974), die kleinere Giulietta (ab 1977), den Alfa 75 (ab 1985) sowie die Sportwagen SZ (ab 1989) und RZ (ab 1992). In der Neuzeit nutzte die Mailänder Avantgardemarke den Transaxle-Antrieb in Verbindung mit dem 8C Competizione. Der Name Alfetta, also: kleiner Alfa, nahm selbstverständlich Bezug auf die legendaäre Alfetta Tipo 159, mit der Alfa Anfang der 50er Jahre in der Formel 1 erfolgreich gewesen war; auch der Tipo 159 verfügte selbstverständlich über die Transaxle-Bauweise.
Das Design stammt von Bertone – was aber nie offiziell kommuniziert wurde. Denn der damalige Alfa-Chef Giuseppe Luraghi war, aus welchem Grund auch immer, sauer auf Bertone; die ersten Alfetta wurden bis 1974 mit einem Emblem des «Centro Stile Alfa Romeo» ausgeliefert.
Die 4,28 Meter lange Alfetta setzte sich 1972 auf Anhieb in verschiedenen Vergleichstests gegen den Wettbewerb durch. Wie zu erwarten, punktete die Limousine schon allein aufgrund des Transaxle-Systems mit optimalen Handlingeigenschaften. Der 122 PS starke Alfa war nach den Massstäben jener Zeit zudem ein sparsames Auto. «auto motor und sport» ermittelte 1973 im Vergleichstest mit einem BMW 520 einen Durchschnittsverbrauch von 12,0 Litern – fast zwei Liter weniger als der rund 200 Kilogramm schwerere Testwagen des deutschen Herstellers. Der Alfa Romeo erreichte in dieser Version übrigens eine Höchstgeschwindigkeit von 185 km/h und beschleunigte in nur 10,5 Sekunden auf 100 km/h.
Zum weiteren technischen Layout der Alfetta gehörte ein sehr aufwendig konzipiertes Fahrwerk. Vorn kam eine Aufhängung mit unteren Dreiecksquerlenkern zum Einsatz, hinten sorgte eine De-Dion-Achse für eine präzise Radführung. Im Bereich der aktiven Sicherheit ebenso innovativ: die Verwendung von serienmässig vier Scheibenbremsen; die hinteren waren dabei nach innen versetzt angeordnet, um das Gewicht der sogenannten ungefederten Massen weiter zu reduzieren. Angetrieben wurde die Alfetta vom legendären «1750» – einem 1,8 Liter grosen Vierzylinder mit zwei obenliegenden Nockenwellen, zwei Doppelvergasern und 122 PS Leistung bei 5500/min.
Zwei Jahre nach dem Debüt der Limousine präsentierte Alfa Romeo ein wunderschönes Coupé: die Alfetta GT. Gezeichnet wurde dieser Klassiker, dem wir sicher auch noch eine Geschichte widmen werden, von Giorgetto Giugiaro. Analog zu diesem Sportwagen-Derivat prägten immer wieder technische und optische Modifikationen die zwölf (!) Jahre währende Bauzeit der Alfetta. So wurde das Motorenprogramm 1975 um eine 108-PS-Version (1,6 Liter Hubraum) erweitert. 1977 folgte ein 2,0-Liter-Motor (anfangs mit identischer Leistung wie der 1,8-Liter-Motor, später mit 130 PS).
Parallel zum neuem Motor modifizierte das Centro Stile Alfa Romeo das Design der 2,0-Liter-Alfetta; die Chromtürgriffe wichen als Zugeständnis an die Aerodynamik versenkten Pendants, voluminösere Stossstangen setzen sich Parkremplern wirkungsvoller zur Wehr, die zum Anfang der 70er noch typischen vorderen Dreiecksfenster wichen grossflächigen Seitenscheiben, neue Rückleuchten sowie Rechteck- statt Doppelrundscheinwerfer wiesen nun den Weg durch die Nacht. Und mit dem neuen Exterieur machte auch das Interieur samt Cockpit den Weg in die Moderne mit. Zug um Zug wurden diese Modifikationen auch auf die anderen Versionen der Alfetta übertragen.
1979 schickte Alfa Romeo in Form der Alfetta Turbo Diesel zudem das erste Modell mit Selbstzünder auf die Strassen Europas. Aus 2,0 Litern Hubraum holte der aufgeladene Vierzylinder 82 PS; später stieg der Hubraum um 0,4 Liter und die Leistung damit auf 95 PS. Die letzten beiden Baujahre der Alfetta gaben sich mit nochmals modifizierten Stossfängern und Rückleuchten, einem nun wieder mit Doppelrundscheinwerfern bestücktem Kühlergrill und an einem weiter modernisierten Cockpit zu erkennen. Die nach Amerika verschifften Alfa Romeo Alfetta hatten zudem eine Einspritzanlage statt der Doppelvergaser an Bord, um den Abgasvorschriften in der Neuen Welt gerecht zu werden.
1984 verließ die letzte Alfetta-Limousine das Werk im norditalienischen Arese – es war das Exemplar Nummer 478’812. Die Alfetta gehört damit zu den erfolgreichsten Alfa Romeo-Limousinen. Bis 1986 weitergebaut wurde das Coupé, die Alfetta GTV; doch das ist ein anderes Kapitel. Ein eher trauriges dieser Kapitel war allerdings die Rostanfälligkeit – und die nicht über jeden Zweifel erhabene Zuverlässigkeit und Verarbeitungsqualität. Und so gut die Alfetta in ihrer Konstruktion auch war, so sehr schädigten jene Punkte den Ruf von Alfa Romeo in jener fernen Jahren nachhaltig. Und leider gibt es im Vergleich zur gebauten Anzahl heute viel zu wenige gute Alfetta auf dem Markt (wir wären übrigens interessiert…).
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Der Beitrag Alfetta erschien zuerst auf radicalmag.