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Test Alfa Romeo Stelvio (2021)

Published in radical-mag.com

Veloce oder QV?

Selbstverständlich kann man das nicht als ernsthafte Testanordnung betrachten, doch das wahre Leben ergab es, dass wir innert kurzer Zeit zwei Mal vom Emmental nach Hannover fuhren (und selbstverständlich auch wieder zurück, teilweise aber mit beträchtlichen Umwegen), einmal mit einem 280 PS starken Stelvio Veloce, einmal mit den 510 PS im Stelvio Quadrifoglio. Mit beiden Alfa Romeo haben wir innert weniger Tage je rund 3000 Kilometer weggehauen, die Greta-Gedenk-Medaille verdienen wir uns damit jetzt nicht, aber manchmal geht es halt nichts anders, denn eben: das wahre Leben.

Zuerst einmal: das SUV ist die neue Limousine. Ok, bei Alfa Romeo gibt es mit der Giulia ja schon eine echte Limousine, doch die Kundschaft will halt einfach: SUV. In Zahlen für die Schweiz für 2020: 961 Stelvio, 381 Giulia (die wir weiterhin definitiv bevorzugen würden, aber das ist eine andere Geschichte). Bei Alfa Romeo bauen Limo und SUV auf der gleichen Plattform mit dem hübschen Namen Giorgio auf, der Stelvio ist de facto eine höhergelegte Giulia. Und fährt sich auch genau so: wie ein 25 Zentimeter höheres Fahrzeug. Das heisst nun nicht, dass der Stelvio das übliche SUV-Geschaukel mit Wankbewegungen und allem veranstaltet, ganz im Gegenteil, er gehört sicher zu den fahraktivsten dieser SUV. Aber wer nun behauptet, dass man keinen (Höhen-)Unterschied verspürt, nun denn. Doch wir wollen ja von den beiden Stelvio berichten.

Der Veloce verfügt über einen 2-Liter-Vierzylinder mit den schon erwähnten 280 PS und einem für einen Benziner beachtlichen maximalen Drehmoment von 400 Nm bei 2250/min. Das soll ihn in nur 5,7 Sekunden von auf 100 km/h bringen (optimistisch) und 230 km/h schnell machen (nachgeprüft, es sind eher mehr). Und das bei einem durchschnittlichen Verbrauch von 9,1 Litern (dazu kommen wir dann noch). Der Quadrifolglio tritt mit dem 510 PS starken 2,9-Liter-V6 an, der ein maximales Drehmoment von 600 Nm bei 2500/min schafft, das SUV in 3,8 Sekunden auf 100 haut (im Bereich der Möglichkeiten, handgestoppt) und 283 km/h schnell machen soll (der Tacho zeigte mehrmals über 300 km/h an). Als Verbrauch gibt Alfa Romeo 11,8 Liter nach WLTP an.

Im QV schafft man locker das Doppelte, wenn man ihn auf der deutschen Autobahn ein bisschen rollen lässt; leider macht der Tempomat bei Tempi über 240 km/h nicht mehr mit. Das ist aber bei freier Bahn eine gute Reisegeschwindigkeit, der Alfa schüttelt sie dermassen locker aus dem Ärmel, dass er fast ein bisschen gelangweilt scheint. Wobei: die Geräuschentwicklung des V6 ist dann schon relativ hoch, aber das ist gewollt, es ist ja Musik in den Ohren und zum Stilschweigen gedämpfte Limos gibt es ja schon genug. Es ist ganz Gegenteil so, dass man auch nach sieben Stunden Fahrt immer noch Freud‘ hat, mal händisch zwei, drei Gänge nach unten zu schalten – und der versammelten Fraktion der Premium-Protzer zu zeigen, wie das auch abgehen kann. Nämlich: grob. Über die Kasseler Berge trieben wir allem die Schamesröte ins Gesicht und Zornesfalten auf die Stirn, was sich uns in den Weg stellen wollte, auch wenn es AMG und RS hiess sowie deutlich flacher war. Aber eben: dann säuft er, der QV. Viel.

Der Veloce hingegen hat uns erstaunt. Tempomat auch bei 200, über die Kasseler Berge ebenfalls so, wie es noch so halbwegs vertretbar war – und der Schnitt lag nie über 12 Litern (am Ende des Tages war die Durchschnittsgeschwindigkeit im Veloce sogar höher als im QV, aber das ist schon wieder eine andere Geschichte). Auf dem Rückweg durch den ehemaligen Osten und etwas gemächlicher (160 Tempomat), wurde der Schnitt dann sogar einstellig; in der Schweiz lässt sich das zweitstärkste SUV von Alfa Romeo mit etwa 8 Liter bewegen. Was auch daran liegt, dass der feine 8-Gang-Automat von ZF so früh wie möglich die höchste Welle einwirft, diese wirklich erst verlässt, wenn es gar nicht mehr anders geht.

So gesehen, ist der 2-Liter das deutlich souveränere Triebwerk als der V6. Nein, er tönt nicht (für einen Alfa eigentlich gar nicht), nein, er reizt auch nicht dringend dazu, die vorhandene Leistung dauernd abzurufen – er macht seine Sache einfach gut und locker, trotz über 1,7 Tonnen Leergewicht fühlt man sich nie untermotorisiert. Die böse Maschine dagegen macht viel Lärm, man kann fast gar nicht anders, als die extreme Kraft auch auszukosten – man fährt viel aggressiver. Will auch immer wieder den Ur-Knall hören, wenn der Sechszylinder in den Begrenzer dreht. Es ist jenseits – und es ist wunderbar. Aber eigentlich auf längeren Reisen völlig idiotisch.

Was aber nicht heisst, dass der QV zu wenig komfortabel ist. Selbst im Track-Modus bleibt da mehr an Komfort als bei gewissen deutschen Fahrzeugen schon in der Basis-Einstellung. Ja, er macht Nick-Bewegungen beim heftigen Tritt auf das Gas- oder Bremspedal, er wankt aber quasi nicht – man fühlt sich auch bei sehr hohen Geschwindigkeiten extrem sicher. Dazu tragen selbstverständlich auch die fantastischen Brembo-Bremsen bei – Wahnsinn, wie sie den 1,9-Tonner auch aus Geschwindigkeiten von jenseits 250 km/h verlangsamen, man glaubt, in eine Wand zu fahren. Und das geht auch immer wieder. Und zeigt, dass die Italiener in Sachen Fahrleistungen und Fahrwerk hinter keiner Konkurrenz zurückstehen müssen.

Der Veloce ist da natürlich gemütlicher, auch weicher. Aber nicht zu weich. Er schwingt dann schon etwas nach bei langen Bodenwellen, aber das stört nicht; die Bremsen sind nicht ganz so brutal wie im QV, aber immer auf der Höhe. Für beide Stelvio gilt: die wahrscheinlich beste Lenkung überhaupt in einem SUV, relativ leichtgängig, aber von herausragender Präzision. Und mit vorzüglicher Rückmeldung. So muss das sein. Die Sportsitze im QV sind eng – und trotzdem auf langen Strecken komfortabel. Im Veloce sehen sie bloss komfortabler aus.

Was besser sein könnte: die Verarbeitung ist sicher nicht ganz auf der Höhe der deutschen Konkurrenz. Im QV gibt es feine Materialien, viel Alcantara, das ist auch schön gemacht, aber man irgendwie nicht das Gefühl, dass das für immer so sein wird. Und jene Punkte, die von deutschen Fach-Magazinen gern bemängelt werden, dass Infotainment und Connectivity nicht auf der Höhe seien, die sehen wir anders. Zum Modelljahrgang 2021 wurden die Alfa wieder sanft modernisiert, sie haben alles, was man wirklich braucht. Also zum Beispiel keine automatische Tempoerkennung – weil diese ja ausser bei Tesla und den Koreanern ja eh nicht funktioniert. Dafür wurden wir in den beiden Alfa auf der Autobahn auch nie auf 40 km/h eingebremst, weil irgendein System seine Aufgabe mal wieder falsch verstanden hatte. Hervorragend ist dafür das Navi, das uns bei Staus auf der Autobahn zwei Mal über winzige Gassen und über (asphaltierte) Feldstrassen am restlichen Verkehr vorbei leitete; keine Ahnung, ob wir wirklich schneller waren, aber wir kamen an Orte, von deren Existenz wohl nicht einmal Google weiss – und wir hatten auch noch Spass dabei. Es zeigt sich da wieder einmal bestens, dass «state of the art» nicht unbedingt das sein muss, was der Mensch im richtigen Leben braucht und will. Mit 525 bis 1600 Liter Kofferraum-Volumen ist man beiden Stelvio übrigens überdurchschnittlich gut bedient; auch hinten sitzt es sich ganz angenehm, wie die nicht mehr so kleinen Kinderchen im QV gerne zu bestätigen wussten.

111’990 Franken kostet so ein Stelvio Quadrifoglio. Das ist viel Geld, aber weil es auf dem Markt eigentlich kein vergleichbares Fahrzeug gibt, ist auch das wieder relativ. Der Veloce ist mit seinen 74’990 Franken so ganz relativ betrachtet auch kein Schnäppchen, doch auch da muss man sehen, dass es bei der vergleichbaren Konkurrenz dann eher sechstsellig wird, ausstattungsbereinigt sowieso. Womit die Konkurrenz dann schon sehr nah am QV ist, wo sie eigentlich nicht sein möchte, denn da sieht sie noch älter aus. Natürlich reicht so ein Veloce völlig aus, er ist ein durchaus vernünftiges Fahrzeug mit doch ziemlich unvernünftigen Fahrleistungen bei einem vernünftigen Verbrauch zu einem vernünftigen Preis (wenn man jetzt einmal vom Wiederverkaufswert absieht). Und wenn man dann so einen Veloce als Giulia kauft, dann spart man nicht nur noch Geld, sondern ist mit Abstand am besten bedient.

Mehr Alfa Romeo haben wir in unserem Archiv.

Der Beitrag Test Alfa Romeo Stelvio (2021) erschien zuerst auf radicalmag.