Fahrbericht Alfa Romeo Stelvio
Cleverer Verräter
Es ist nicht so, dass der Stelvio das erste (so einigermassen) geländegängige Automobil von Alfa Romeo sein wird, schon in den 50er Jahren hatten die Italiener den «Matta» konstruiert für das Militär, so etwas wie einen Land Rover für den Süden. Doch das waren andere Zeiten, damals, Alfa Romeo war ab den 20er Jahren so etwas wie der wahre Stolz der italienischen Autoindustrie gewesen, in Arese arbeiteten nur die besten Ingenieure des Landes – und konstruierten Fahrzeuge, auf die die anderen Hersteller nur mit Neid blicken konnten. Aber seit den 80er Jahren sind die guten Zeiten endgültig vorbei, Alfa wurde zu einem störrischen, kränkelnden Kind, das seine Eltern (Fiat) viel, viel Geld kostete über die Jahre.
Doch jetzt soll alles anders werden. Sergio Marchionne, der Tausendsassa, hat viel Geld für die Wiedergeburt der Marke bereitgestellt, Milliarden flossen in die Entwicklung einer neuen Plattform namens «Giorgio» und die Modernisierung des Werkes im süditalienischen Cassina. Als erstes Modell kam im vergangenen Jahr die Giulia auf den Markt, eine ganz klassische Limousine – die so gut ist, dass sie im deutschen Fachblatt «auto, motor und sport» einen Vergleichstest gegen Mercedes gewann. Das gab es noch gar nie.
Auf der gleichen Plattform wie die Giulia baut auch der Stelvio auf. Eine clevere Entscheidung, denn eigentlich muss ein SUV ja nicht in erster Linie der König sein abseits der Strassen, im Dreck oder Schlamm, sondern einfach so aussehen, als ob er könnte. Das heisst: mehr Bodenfreiheit, ein höherer Aufbau (für die so sehr geschätzte höhere Sitzposition), Allradantrieb. Solches geht ja auch bestens auf Basis eines klassischen Personenwagens, und Alfa hat selbstverständlich bei der Entwicklung von «Giorgio» schon gewusst, dass es nicht nur eine Giulia, sondern auch einen Stelvio geben wird. In diesem Zusammenhang: vier Modelle wird es ingesamt geben auf dieser Plattform – die Frage, welche es denn noch sein werden und wann, quittiert Alfa Romeo vorerst noch mit einem Lächeln. Sicher ist auch jeden Fall: der Stelio mag den Alfisti etwas schmerzen, als Verräter am Markenkern erscheinen, doch er dürfte – mit grosser Wahrscheinlichkeit – das Geld einfahren, das die Marke für ihre weitere Entwicklung dringend benötigt. Bei Jaguar, zum Beispiel, ist der F-Pace in der Schweiz das mit Abstand meistverkaufte Modell; Porsche würde ohne das Nutzfahrzeug namens Cayenne nicht annähernd so glänzend strahlen, wie es Porsche heute tut. Ja, the times they are a-changin’.
Mit einer Länge von 4,68 Metern ist der Stelvio nur 4 Zentimeter länger als die Giulia, in der Höhe überragt das SUV die Limousine aber um stolze 23 Zentimeter. Und trotzdem soll der Schwerpunkt nur unwesentlich höher liegen als bei der Limousine. Das SUV verfügt über ein Kofferraum-Volumen von 525 Liter und übertrifft die Giulia, die auf sehr anständige 480 Liter kommt, ziemlich deutlich; selbstverständlich lassen sich die hinteren Sitze abklappen, dann wird der Alfa Romeo zum Klein-Transporter. Hinten, es muss dies gesagt sein, herrscht nicht ein Übermass an Raum, irgendwie scheint die Giulia da geräumiger. Aber man muss das klar sehen: Gegner des Stelvio sind der BMW X3, der Audi Q5, der Porsche Macan, der Mercedes GLC, die bieten alle auch nicht mehr Platz – obwohl sie viel wuchtiger erscheinen, auf der Strasse schon optisch viel mehr Raum beanspruchen. Denn das darf man dem Italiener unbedingt zugestehen: er ist nicht eines dieser martialischen SUV, sein Auftritt ist mehr elegant, mehr Lifestyle.
Auch innen sind Giulia und Stelvio quasi baugleich. Weil das SUV höher baut, wirken die Linien mehr vertikal, streben von unten nach oben, doch das ist alles gut gemacht; die Materialien sind dem guten italienischen Geschmack angepasst, die Verarbeitung ist auf einem hohen Niveau schon bei diesen ersten Exemplaren, die wir kürzlich bewegen durften. Ja, Alfa Romeo befriedigt mit der Fertigung in der hochmodernen Fabrik von Cassina jetzt auch die Spaltmassfetischisten, und das ist vielleicht eine der positivsten Überraschungen am Stelvio (und natürlich auch bei der Giulia). Die Sitze sind gut, bequem, trotzdem mt gutem Seitenhalt, aber wir konnten auch nur eine teure Variante fahren; in der Basis ist das wohl alles etwas einfacher. Fahren durften wir die «First Edition» mit dem komplett aus Alu gefertigten 2-Liter-Vierzylinder, der 280 PS und ein maximales Drehmoment von 400 Nm abdrückt, was ihn in 5,7 Sekunden auf 100 km/h bringen soll und maximal 230 km/h schnell machen kann. Geschaltet wird er über die bekannte 8-Gang-Automatik, der Allradantrieb ist bei allen Stelvio serienmässig. Dieser 4×4, wie bei Maserati als Q4 bezeichnet, ist eine Eigenentwicklung, die bei normalen Strassenverhältnissen 100 Prozent der Kraft auf die Hinterräder überträgt, über ein Verteilergetriebe und eine Mehrfachkupplung aber innert Millisekunden bis zu 60 Prozent der Ktaft an die Vorderräder leiten kann; für optimalen Grip sorgt an der Hinterachse ein zusätzliches Sperr-Differential (LSD).
Wie bereits angetönt: der Stelvio fährt sich (fast) wie die Giulia. Und das muss unbedingt hervorgehoben werden, denn näher am Fahrverhalten eines klassischen, heckgetriebenen Personenwagens war noch kein SUV (ja, abgesehen von all diesen gepimpten Teilen von AMG, M, und so, die ja aber auch keine SUV mehr sind, sondern Protzstahl, der in erster Linie mit Längsdynamik überzeugen muss). Entscheidend für das gute Fahrgefühl ist sicher die ausgezeichnete Lenkung, die zwar leichtgängig erscheint, aber wunderbar feinfühlig und präzis ist; da haben die Italiener ein kleines Wunder vollbracht. Selbstverständlich gibt es wie immer bei Alfa drei Fahrmodi, «Normal» ist eine gute Wahl für den Komfort, «D» macht dann richtig Freude. Die 280 PS haben mit den 1,8 Tonnen keinerlei Mühe, der Automat unterstützt die Fahrfreude sowohl beim reinen Gleiten wie auch am Berg. Wären alle SUV derart fahraktiv, dann könnte man sich tatsächlich noch an dieses boomende Segment gewöhnen wollen.
Die «First Edition» kommt mit allerlei Goodies wie den 20-Zöllern, schönem Leder und echtem Holz kostet in der Schweiz 64’900 Franken. Selbstverständlich ist das ein Kampfangebot, Vergleichbares in Motorisierung und Ausstattung kostet bei der deutschen Konkurrenz knapp sechsstellig, auch Maserati und Jaguar können da nicht mithalten. Aber nicht nur der Preis ist ein sehr guter Grund, der für den Alfa sprechen auch das gute Design und dann in erster Linie die Fahrfreude, die nun also durchaus auch in einem SUV möglich ist.
Trotzdem, manch ein potentieller Kunde wird sich fragen: Alfa, das ist ja gut und fein – aber wie steht es denn mit der Qualität? Selbstverständlich lässt sich diese Frage jetzt noch nicht beantworten, doch nach einem ausführlichen Besuch des Werks in Cassina darf da unbedingt Zuversicht aufkommen, dass sich tatsächlich alles zum Guten wendet. Es ist nicht bloss, dass die Fabrikationsanlagen jetzt auf dem höchsten Stand der Technik und Robotisierung sind, auch in Sachen Qualitätssicherung gehen die Italiener Wege, von denen sie bislang nichts wussten. Die ersten Giulia, die bereits ausgeliefert wurden, scheinen die Kunden wirklich glücklich zu machen – und das dürfte beim Stelvio, dessen Auslieferung in diesem Frühling langsam anlaufen wird, auch der Fall sein.
Mehr Alfa Romeo haben wir in unserem Archiv. Und ach ja, für alle, die bis zum Ende gelesen haben, gibt es auch noch einen Film…
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