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CES 2016

Published in radical-mag.com

Bildschirme, überall Bildschirme

Es war ja ziemlich was los auf der CES, also der Messe, die leitend für die Branche der Konsumelektronik steht. Vor allem aber lag das daran, dass neben den Elektrokonsumgütergrößen wieder die Autoindustrie zeigen musste, was sie so draufhat.

Warum das so ist? Weil sie Angst hat. Angst davor, von den bekannten Größen des digitalen Jetzt ganz normal überrannt zu werden. Und auch, weil ein Mittun auf der großen Glitzerbühne in Las Vegas nicht nur Stärke demonstriert, sondern vor allem: Coolness. Seht her, wir stellen uns der Konkurrenz, haben verstanden das Silicon Valley wichtiger ist als ein Stahlwerk in Salzgitter. Wir sprechen Key Notes, laden zu Inspiration Talks und überhaupt – „se fjudschör“.

Was dabei rauskam? Bildschirme. Nein, es ist kein Scherz, aber wenn man all den Präsentationspomp und die warmen Worte vergisst, dann sind es vor allem Bildschirme, die die Zukunft bedeuten scheinen.

Nehmen wir die big three, also die Deutschen, nicht die Detroiter: da wäre natürlich der Daimler. Vorreiter allen Fortschritts. Erfinder des Ganzen und immer-wieder-neu-Erfinder. Sie haben uns letztes Jahr die autonome Mettwurst geschenkt, den F08/15. Ein Auto, wie wir es, wenn wir es uns wünschen dürften, niemals nie betreten möchten. Es war ein Technik-Overkill. Vollautonom, Plugin-Hybrid mit Brennstoffzelle und eben dazu: im Innenraum ein einziger fahrenden Bildschirm. Und heute, also 2016? Da ist man erstaunlich konservativ. Nix mit wahnsinnigem Zukunftsausblick. Nix mit bahnbrechender Konzeption, stattdessen gibt es das Armaturenbrett der E-Klasse.

Man hätte gleich das ganze Auto hinstellen können, schließlich sind durch den Faux-Pas eines kleinen deutschen Onlineportals alle Details und die offiziellen Bilder schon weit vor der Weltpremiere brav in alle Welt gesickert, doch scheinen eben alle Präsentationsmodelle brav auf dem Weg zum Neujahrsempfang in Detroit zu sein. Eine Umleitung eines Ausstellers nach Las Vegas hat man wohl nicht hinbekommen.

Und so sitzt man dort dann in einer Art Holzkiste und darf sich an den – im Verhältnis zum F08/15 zwar lächerlich wenigen, aber für den durchschnittlichen Benz-Fahrer doch unpackbar vielen – Bildschirmen erfreuen. Der Taxifahrer bekommt zwar nicht so große, ja er muss sogar auf echten Analoginstrumenten Geschwindigkeit und Drehzahl ablesen, der gute Kunde aber, also der, der richtig Kohle beim Ankreuzen in der Preisliste lässt, der bekommt 1920×720 Pixel im Medien-Infodisplay und nur ein paar weniger im Tacho-Display. Das Ganze natürlich voll einstellbar, mal mit gelben Zeigern, mal mit weißen und sogar ganz ohne. Dazu gibt es Head-Up-Display, Ambientebeleuchtung in quasi allen Farben (es sind dann aber doch nur 397,4 – weil: unendlich wären dann einfach doch zuviel, man würde die einstmals gewählte sicher nie wieder finden, wenn die Frau es einmal auf ihr Gusto eingestellt hat…).

Insgesamt aber wirkt der Auftritt der Daimlers etwas rückständig. Weil das, was sie zeigen schon da ist. Also: morgen im Showroom. Das langweilt ein wenig, es fehlt der Pomp, der Schampus, das Weltbewegende.

Besser da schon: BMW. Auf dem Parkplatz vor der Messehalle glitzerte der i Vision Future Interaction mit der Stadt um die Wette. Hätte man ihn nicht matt lackiert, hätte er vielleicht auch bessere Chance gehabt. Was die Münchner da auf die Räder gestellt haben ist sofort als i8 erkennbar, nur eben: ohne Türen und ohne Dach. Quasi der Z1 unter den Elektro-Mopeds. Leider ohne das lässige Camouflage-Leder, dass die Plastik-Roadster mit den Zahnriementüren damals serienmäßig darboten. Dafür gibt es aber AirTouch. Damit ist nicht irgendein Warmluftgebläse für den Nacken, welches ein Handauflegen imitieren soll gemeint, nein, es ist eine Gestensteuerung, die nun auch dreidimensionale Fingerübungen erkennen kann. Im Klartext: man kann touchen, ohne auf den Bildschirm zu tatschen. Das ist insofern nicht schlecht, als das dann endlich die hässlichen Fintertapser auf den Displays der Vergangenheit angehören. Aber wir sind dennoch skeptisch, wie und ob das vernünftig funktionieren wird. Schließlich funktioniert es ja selbst mit direktem Touch in der heutigen Zeit nicht immer besonders prächtig.

Aber es geht ja um die Geste. Es ist da neue Ding der Branche. Pantomime hinter dem Lenkrad. Ernstzunehmende Forscher haben uns noch im vergangenen Jahr gesagt, dass der Mensch bloß an zwei Händen abzuzählende Gesten ohne große Konzentration ausführen kann, vor allem aber seien viel mehr händisch gewedelte Eingaben sowieso wenig sinnvoll. Es scheint: vergessen. Jeder mischt nun mit, alle sehen in der Gestikulation die zukünftig passendste Interaktion von Mensch und Maschine.

So auch Audi. Nur hat man es in Ingolstadt ein wenig auf die Spitze getrieben. Mehr Bildschirme als das e-tron quattro concept hatte keiner. Es ist zwar nichts, was wirklich unbekannt wäre, schließlich kennt man das Instrumentenpanel als TFT schon aus TT, Q7 und A4, den Mittendisplay sowieso, aber die kleinen Außenspiegeldisplays und das Touchpanel zur Klimasteuerung sind dann doch neu. Alle Screens sind selbstredend vernetzt, koppelbar mit sämtlichen bekannten devices, haben „haptischen Feedback“, damit man blind im Fußraum die Temperatur umtouchen kann, ohne gegen den nächsten Baum zu krachen (gab es dafür nicht extra autonomes Fahren?) und sie sind natürlich einem modularen Baukasten entsprungen, damit man sie ein paar Jahre nach Kauf wieder updaten kann, um aus der alten Möhre wieder ein modernes Endgerät zu machen.

Die große Frage, die wir uns stellen ist deshalb: was macht das Auto noch zu einem Auto. Oder besser: was unterscheidet die Autos noch? Wenn es nur noch die Leistungsfähigkeit der verbauten Unterhaltungs-Hardware ist und die Güte der Software-Algorithmen, warum muss ich das Ganze dann in einem Audi, BMW oder Mercedes umherfahren? Wenn der Innenraum sowieso nur noch aus Bildschirmen besteht, wo bleibt dann Platz für „Premium“? Für beste Verarbeitung, feines Leder, edles Holz und satten Chrom? Warum das Ganze nicht einfach in einer günstigen Hülle kaufen? Macht ja eh keinen Unterschied. Im Zweifel lädt man sich einfach das gecrackte S-Klasse-Theme in seine A-Klasse und lacht sich ins Fäustchen?

Sollte ein Auto nicht gerade in einer Zeit, in der es immer weniger Begehrlichkeiten weckt, eben gerade deshalb nicht extra begehrlich sein? Und wie soll das gehen, wenn alle aus denselben Bildschirmen bestehen, das immer gleiche, generische Design tragen und sich elektrisch säuselnd nicht mal im Geräusch unterscheiden?

Ist das Auto der Zukunft die selbstfahrende Kutsche, in die wir, wie in einen riesigen Entertainment-Comouter , oder ist das Auto der Zukunft eines, dass uns genau das wieder gibt, für das es einstmals stand: Freiheit.

Der Beitrag CES 2016 erschien zuerst auf radicalmag.