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Das traurige Ende von Genf

Published in radical-mag.com

Einige Gedanken

Nicht die Pandemie, sicher auch nicht der Ukraine-Krieg und noch weniger andere politische Verwerfungen haben dem Genfer Auto-Salon, zuletzt bekannt als #gims, das Genick gebrochen: Es waren zuerst einmal personelle Fehlentscheidungen. Es begann schon mit der Wahl von Olivier Rihs zum Salon-Direktor, der ab 2019 wilde Pläne hatte, aber ansonsten keine Ahnung, am wenigsten von der Automobil-Branche. Es ging weiter mit Sandro Mesquita, der die Arbeit von Rihs auf einem ähnlich unprofessionellen Niveau fortsetzt(e).

Wobei: der Fisch stinkt schon seit Jahren vom Kopf her. Es gibt eine «Fondation du Salon international de l’automobile de Genève» unter der Leitung von Maurice Turrenttini sowie ein «Comité permanent du Salon international de l’automobile» mit 13 Mitgliedern – und alle haben sie, zusammen mit der Schweizer Importeursvereinigung «auto schweiz», sowohl die Zeichen der Zeit nicht erkannt wie sich auch nicht von ihren hohen Rössern bewegen wollen. Auch die Stadt und der Kanton Genf haben ihren nicht unwesentlichen Teil zur Misere beigetragen. Und die Auto-Industrie verharrte ebenfalls in «schaumermal». Aber Schuld sind natürlich und wie immer alle andern.

Selbstverständlich war die erste, Covid-bedingte Absage 2020 ein schwerer Schlag für die einst wichtigste Auto-Messe der Welt. Doch schon damals zeichnete sich ab, dass das Schiff auf Grund laufen würde: All die neuen Konzepte, die Rihs angeschoben hatte, waren das Papier nicht wert, auf dem sie geschrieben waren. Die Absage kam den Veranstaltern damals wahrscheinlich nicht einmal ungelegen, man musste davon ausgehen, dass nach den Absagen diverser Hersteller auch die Zuschauer bei weitem nicht mehr in den Massen nach Genf gekommen wären, wie man sich das vom zweitgrössten Event der Schweiz in früheren Jahren gewohnt gewesen war.

Man hatte da das Pferd schon von der falschen Seite her aufgezäumt: anstatt die Kosten zu senken, was sowohl Ausstellern wie auch Besuchern zugute gekommen wäre, sollte alles noch grösser, schöner, strahlender sein. Man wollte Google, Facebook, Amazon nach Genf locken, sich mit grossen Namen als Redner schmücken, gab viel, viel Geld aus dem Stiftungsvermögen aus für neue Ideen – die aber niemanden interessierten. Eine Auto-Messe ist eine Auto-Messe – das ganze Gedöns drumherum interessiert die Zuschauer nicht. Klar, die Besucherzahlen waren am Sinken, aber hey, auch nur schon eine halbe Million Besucherinnen und Besucher sind deutlich mehr als: Null.

Es ist doch so: bei allem Gejammer sind auch die Hersteller bisher noch auf keine bessere Idee gekommen als auf die klassische Auto-Messe. Sie mögen behaupten, dass Online-Präsentationen und Road-Shows und markeneigene Events viel effizienter sind, pro Kundenkontakt viel weniger kosten. Aber sie erreichen halt nicht die breite Masse, sondern nur jene Kontakte aus der eigenen Adresskartei. Immer die gleichen. Kommt dazu: Auf eine Auto-Messe kommen jene Menschen, die sich für Autos interessieren. Vielleicht können oder wollen sie gerade kein neues Automobil kaufen, doch sie kommen: freiwillig. Mit Freude. Sie geben ein paar Stunden ihrer Zeit her, um sich zu informieren, was es Neues gibt, zu sehen, was spannend oder cool oder innovativ ist. Und sie sprechen dann sicher auch mit ihren Arbeitskollegen oder Freunden oder Familienmitgliedern darüber, multiplizieren ihren Besuch also.

Die Luxus- und Hypercar-Hersteller haben mit dem Festival of Speed und im Umfeld des Concours d’Elegance in Pebble Beach neue Orte gefunden, an denen sie ihre neusten Produkte vorstellen können. Das ist aber auch so etwas wie Inzest, es ist ein sehr kleines, sehr exklusives Publikum, das in den Genuss von Häppchen und Champagner kommt; die Weiterverbreitung der frohen Kunde erfolgt dann über die Medien. Bloss kommen Volkswagen, Renault, Fiat an solch schicken Veranstaltungen nicht an ihre Klientel – und die macht halt immer noch etwa 99,9 Prozent der Autokäufer aus. Von denen zwei Drittel sich eh nie mehr als einen Gebrauchten leisten werden können. Die 99 Bugatti Mistral reissen die Branche nicht aus ihrer Abverkaufs-Tristesse.

Es ist halt eben auch nicht so, dass eine Mehrheit der Kunden ihr Automobil schön brav, ohne das Verursachen von Kosten, online kaufen will. Die Anschaffung eines Neuwagens, immerhin die pekuniär zweitgrösste nach dem Wohnen, überlegen sich noch so manche lange und gut, sie wollen Information und Beratung – und nicht irgendwelche Roboter-Bots oder Agentur-Modelle, die sämtliche Dienstleistungen für die potentielle Käuferschaft in Frage stellen oder gleich ganz abschaffen. Eine gewisse Kaufmüdigkeit könnte durchaus auch im miserablen Service begründet sein. Und wenn all diese Menschen dann nur noch zugespamt werden, nichts mehr Handfestes erhalten, ihre Träume, die durchaus auch in einem Opel Corsa bestehen dürfen, nur noch auf einem Bildschirm betrachten dürfen, dann. tja. Ganz viel an der fundamentalen Krise der Auto-Industrie ist selbstgemacht (übrigens auch die Halbleiter-Krise).

Man muss den Menschen doch das geben, was die Menschen wollen. Und ganz, ganz viele dieser Menschen wollen sich vor dem Ferrari-Stand drängen, um einen Blick auf das neuste Produkt aus Maranello zu erhaschen. Um dann bei Peugeot den Prospekt für den Peugeot 208 zu holen, den sie sich dann vielleicht in drei Jahren als Gebrauchtwagen leisten können. Das Spiel ist unglaublich einfach – und all das Marketing-Gesabber gar nicht nötig. Anstatt immer grösser, noch aussergewöhnlicher, noch branchenfremder zu werden, hätte man in Genf besser (Bau-)Beschränkungen auf den Weg gebracht. Und die Hoteliers und Wirte dazu, nicht derart absurde Preise zu verlangen. Und sich selber etwas eingeschränkt im groben Abkassieren bei den Standmieten. Und vielleicht einmal daran gedacht, vermehrt auf direkte Verkäufe zu setzen. Das funktioniert anscheinend gut, der Salon von Brüssel wird den Platz von Genf mit Handkuss einnehmen. Und sogar Auto Zürich, definitiv nicht unsere Lieblingsmesse, hat das im vergangenen Jahr viel besser gemacht.

Jenen Herren (Damen hat es meines Wissens keine, weder im Comité noch in der Foundation), die Genf nun endgültig umgebracht haben, ist das wohl egal. Sie freuen sich jetzt schon auf die Reise im November 2023 zur #gims nach Doha in Katar, jenem so schönen Land, wo Menschenrechte noch mit Füssen getreten werden dürfen und die Geisteshaltung von «Eure Armut kotzt mich an» liebevoll und ausgiebig gepflegt wird. Als Reiseführer können sie ja vielleicht den ehemaligen Genfer Staatsrat Pierre Maudet engagieren, wobei, nein, der war ja in den bezahlten Ferien in Abu Dhabi. Egal, es ist eine Tragödie, was in Genf in den letzten Jahren geschah. Und auch wenn die Auto-Branche anscheinend kein Problem damit hat, dass es Genf nicht mehr gibt, wie man diversen Medienberichten entnehmen kann: Mir wird sowohl als Zuschauer wie auch als Berichterstatter etwas fehlen. Das ist den Vorständen der Hersteller und den Genfer Funktionären zwar völlig egal, aber mindestens eine halbe Million Menschen denkt wahrscheinlich ähnlich. Alles potentielle Kunden, übrigens.

Die Fotos stammen aus dem Jahr 2020, als #gims kurzfristig abgesagt werden musste.

Der Beitrag Das traurige Ende von Genf erschien zuerst auf radicalmag.