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Fahrbericht Mercedes-Benz G500

Published in radical-mag.com

G wie grossartig

Wie das immer so ist mit den Traumwagen. Für manchen sind es die ganz offensichtlichen, die schnellen, und eben die roten. Für andere wiederum sind es die Erinnerungen an die Jugend oder eine Verkörperung von Kraft, Überlegenheit und Können. Für mich ist einer meiner Traumwagen ein Auto, das sich so gar nicht nach den Regeln anderer schert. Und das schon, seit ich 15 war.

G wie grün

Im Sommer 1979 erreichte ein erstes Exemplar des „neuen Mercedes Geländewagens“ den Mercedes Verkaufsraum in meiner Heimatstadt. Aufregend war das natürlich, weil damals – anders als heute – Mercedes nicht gefühlt alle acht Wochen ein neues Nischensegment aufmachte. Es gab W123er, die waren noch neu, einen uralten W116, die SLs, die scheinbar nie alt wurden. Und nun eben das hier. Zweifellos mehr ein Nachfolger eines Bundeswehr-Iltis als ein Mercedes, oder? Türgriffe aus dem Lieferwagensegment mit richtig dicken Druckknöpfen, ein Lenkrad gross wie aus einem Bus (das ebenfalls aus der Baureihe 207/208D stammte) und diese Sitze! Karo! Der erste G in Nordfriesland war grün, wie ein Auto für einen Jägermeister. Mit einem Verdeck, das eher anmutete wie ein Zelt. Also, wenn das Mercedes sein sollte.

Nun ist es Sommer 2022, und der G, den Mercedes mir zu ZF nach Friedrichshafen gebracht hat, ist grün. Aber nicht dieses jägergrün aus den 1970er Jahren. Jadegrün metallic, tiefdunkel im Schatten, leuchtend in der Sonne. Die Räder 20 Zoll und sagenhafte 275/50 in der Breite. Innen feinstes Leder im Karostepp. Ein 14 Zoll-Dreispeichen-Lederlenkrad in braun, kontrastierend wie auch das Armaturenbrett und die Mittelkonsole. Dazu dunkelbraunes Wurzelholz. Ein 12 Zoll Kinobildschirm in der Mitte, der bekannte Drehwähler in der Konsole. Wenn es hier drinnen nicht so eng wäre (Entschuldigung, gemütlich), dann würde man meinen, man wäre in einer E oder einer S-Klasse.

Und so will es Mercedes auch. Denn seit Jahrzehnten ist der G weltweit von China bis Amerika, von Russland bis Südafrika, die Cash Cow der Stuttgarter – und der Grazer auch, denn der G wird seit Anbeginn bis heute in der Steiermark gefertigt. Die Gemeinschaftsentwicklung mit dem 4×4 Experten Steyr-Daimler-Puch führte Ende der 1960er, Anfang der 1970er Jahre dazu, dass die Fertigung auch gleich bei SDP in Graz aufgebaut wurde, eine Zusammenarbeit, die sich bis heute bewährt hat.

G wie Gegenwart

Wir wollten aber wissen, wie sich heute, 43 Jahre nach der Vorstellung, ein neuer G fährt. Und ob er noch zeitgemäss ist. Dazu vorab eine klare Antwort: Natürlich nicht. Und wie!

Mit seinem kantigen Äusseren, der kompromisslos steilen Frontscheibe, der Fahrzeugbreite von 2,18m (übrigens ist der G mit Spiegel genauso breit wie hoch) und dem Leergewicht (!) von sage und schreibe zweieinhalb Tonnen, ist der G genauso ein Tier aus einer verschwundenen Welt, wie mit seinem 4-Liter V8-biturbo Benziner mit 421 PS und 610 Nm bei 2000/min. Mercedes gibt trotz einer vorzüglichen ZF 9-Gangautomatik einen Normverbrauch zwischen 14,7 bis 15,3 Litern auf 100 km an. Was uns verblüfft hat, denn wir haben im Mittel über mehr als 2000 km haargenau 15 Liter herausgefahren, eine ungewöhnliche Deckung. Zeitgemäss? Nein. Auf keinen Fall.

Aber ja dann doch. Denn der G ist ein Alltagstier wie man es sonst nicht kennt. Er kann alles, macht alles (zieht 3,5 Tonnen), fährt überall hin (mit drei schaltbaren Differenzialsperren) und mit den oben schon erwähnten 275er Reifen kann er auf der Strasse 210 km/h schnell fahren und im Gelände Steigungen bis zu 100% hochfahren, die ein Mensch nicht mehr laufen kann.

G wie Gefallen

Was der G aber besser kann, als beinahe jeder andere, ist die Sympathien und Emotionen der Menschen einfangen. Sein Äusseres ist simpel und doch elegant; die neueste Generation ist tatsächlich breiter als ihre Vorgänger und hat eine Vielzahl von optischen Verfeinerungen erfahren, vor allem an der Front, hat aber gefühlt noch immer die genau gleichen Druckknopf-Türgriffe wie vor vier Jahrzehnten. Sein Sound geht einem im wahrsten Sinne des Wortes unter die Haut. Die Startprozedur mit dem silbernen Startknopf beginnt ein Erlebnis, das ich während der gesamten Zeit mit dem G nie ohne ein breites Grinsen über mich ergehen lassen konnte.

G wie Graz

Für meinen Freund Alex und mich war aber klar, dass wir den G als allererstes an seine Heimatstadt nach Graz bringen wollten, 2,13 EUR pro Liter zum Trotz. Ursprünglich hätte es ein Besuch mit Werksführung und G-Erlebnis am Schöckl, dem „Hausberg“ der G-Entwicklung werden sollen, doch angefangen mit Covid erwies sich der Eintritt ins Werk am Ende als unmöglich. Steyr-Daimler-Puch mit wenigstens einem namentlichen Hinweis auf die Daimler-Connection (wenngleich aus dem Anfang des 20. Jahrhunderts) gibt es schon seit zwanzig Jahren nicht mehr. Damals wurde der Allradfachmann vom kanadischen Magna-Konzern übernommen, der Werk und Unternehmen in Magna Steyr umbenannte. So stehen wir mit unserem jadegrünen G vor dem schneeweissen Magna-Portal und stellen schnell fest, dass hier ist G-Country. Dutzende von Gs schwirren um uns herum, und während unserer Aufnahmen schiessen mindestens ein halbes Dutzend Entwicklungsfahrzeuge mit Testeinrichtungen an uns vorbei.

G wie Geschwindigkeit

Zurück auf der deutschen Autobahn lasse ich den G zum ersten Mal fliegen. 210 km/h erlaubt der Begrenzer, wegen der Reifen, nicht wegen dem Auto. Was den G jetzt alt aussehen lässt, sind die Windgeräusche. Einen vier Quadratmeter grossen Backstein (cW-Wert 0,532, kein Witz) durch den Wind zu schieben, geht eben nicht ohne Nebenwirkungen. Was mich aber beeindruckt, ist die stoische Ruhe, die der G bei diesen Geschwindigkeiten ausstrahlt. Man ist versucht, das Lenkrad nur leicht mit einer Hand zu halten. Die Spurhaltung ist trotz der enormen Reifen ausgesprochen gut, der Komfort erstaunlich. Überhaupt die Reifen. Ein grosses Kompliment an Pirelli, die die 20-Zöller so leise gemacht haben, dass man bis gut über 100 km/h von Reifengeräuschen nichts hört.

Die Beschleunigung mit 5,9 Sekunden auf 100 km/h ist schon auf dem Papier beeindruckend. So richtig umwerfen tut sie einen aber in der Wirklichkeit. Ob es nun mein 7-jähriger Neffe ist oder meine 89jährige Mutter, allen gefällt die „Zirkusnummer“. Einmal 0 auf 100 volles Horn und dann auf 0 heruntergebremst. Denn heute kommt es natürlich nicht mehr so sehr darauf an, dass man sehr schnell schnell wird, sondern dass man jede Art von Geschwindigkeit schnell und zuverlässig wieder abbauen kann – ohne dass es einen umwirft. Nicht nur beweist der G mit seinen belüfteten Riesenbremsen (vorn 355, hinten 345 mm) enorme Verzögerungskraft, auch hält ihn das Spurhaltesystem Active Lane Keeping Assist rabiat aber zuverlässig in der Spur.

Als ich mit meiner Mutter an Bord mit ihrer ausdrücklichen Erlaubnis die Beschleunigung vorführe (das Bremsen habe ich uns erspart), hebt sich der Bug des G mächtig in die Luft, während unser kantiges Gefährt die Strasse entlangstürmt. Als ich abbremse, sind auf dem Fahrradweg zwei etwas zehnjährige Jungs von ihren Rädern gestiegen und zeigen uns vier Daumen nach oben. Die Zukunft ist G-sichert.

Wir bedanken uns bei Axel Catton für diesen Text. Und die Bilder. Mehr spannende Stories gibt es in unserem Archiv.

Der Beitrag Fahrbericht Mercedes-Benz G500 erschien zuerst auf radicalmag.