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Fahrbericht Mercedes 380 SL

Published in radical-mag.com

Bin ich schön?

Einst, da war ein Mercedes-Benz schon ein zukünftiger Klassiker, wenn er auf den Markt kam. Bei der Baureihe R107 galt das auf jeden Fall.

Unter den ganz grossen Designern gehört Friederich Geiger sicher zu den unbekanntesten. Gelernt hatte er Wagner, nach der Lehre studierte er Fahrzeugbau – und trat 1933 in die Abteilung Sonderwagenbau der Daimler-Benz AG in Sindelfingen ein, zu Beginn der 50er Jahre wurde er dann zum Chefdesigner ernannt. Und machte sich mit den 300 SL als «Flügeltürer» sowie Roadster gleich unsterblich. Unter anderem auch deshalb, weil er den Stern prominent in die Front verarbeitete (und gleich noch als Lufeinlass nutzte). Bis 1973 zeichnete Geiger für alle Mercedes verantwortlich, und es waren viele Meisterwerke darunter, die Pagode, der Strich/8, der 600er. Als Geiger 1973 in Pension ging, wartete Daimler aus Respekt zwei Jahre, bis Bruno Sacco zu seinem Nachfolger ernannt wurde.

Mit den ersten SL (W198, 1954 bis 1963) hatte Geiger ein Meisterwerk geschaffen; SL steht übrigens zweifelsfrei für «super-leicht», alle anderen Deutungen sind falsch. Der Nachfolger, der von 1963 bis 1971 gebaute W113, unterschied sich technisch und optisch deutlich vom W198, war eigentlich mehr das Erbe des kleineren W121 BII (besser bekannt als 190 SL) – und wurde berühmt als «Pagode». Knapp 50’000 Exemplare wurden gebaut, das war ein grossartiger Erfolg für einen Roadster, der nichts anderes sein wollte als reines Vergnügen. In den 60er Jahren waren diese erfreulich kompakten Fahrzeuge (4.28 Meter lang, 1.76 Meter breit, mit Dach 1.32 Meter hoch) mit ihren bis zu 170 PS ja noch ausreichend motorisiert, doch spätestens in den 70er Jahren musste mehr Leistung her, zumal die Pagode ja auch nicht mehr «super-leicht» war.

Mit dem nun grösseren R107 (LxBxH 4.39×1.79×1.33 Meter) schuf Geiger wieder eine Ikone. Und dies, obwohl es eine Fülle von Anforderungen zu beachten galt: Mercedes wollte unbedingt Achtzylinder- und vor allem auch einen Kreiskolben-Motor einbauen, was einen entsprechend grossen Motorraum voraussetzte. Und weil vor allem in den USA die Sicherheitsanforderungen im strenger wurden, musste zum Beispiel der Tank in eine crashsichere Zone über der Hinterachse verbaut werden, was Auswirkungen auf die Proportionen des Wagens hatte. Auffallend gegenüber dem Vorgänger sind die starke Betonung horizontaler Gestaltungselemente – und die in der Gesamtheit klareren Linien.

Heute mag es etwas erstaunlich wirken, doch gerade das Design des R107 wurde nicht gut aufgenommen. Paul Frère, immer wieder er, meinte 1971: «Nachdem Daimler-Benz mit dem C 111 gezeigt hat, was es zu bieten imstande ist, hätte ich auf vielen Gebieten mehr erwartet. Schon rein optisch lässt der Wagen seinen Vorgänger nicht vergessen.» Und Reinhard Seifert schrieb in «auto, motor und sport» mit für ein deutsches Fachblatt ungewohnt scharfen Worten: «Von einem Fortschritt der Karosserie-Stilistik kann in diesem Fall nicht die Rede sein. Den 350 SL kann man wohl kaum als schöner bezeichnen als den ruhiger und klarer gestalteten 280 SL. Die stark gewölbte Haube stört auch von innen. Da die Gürtellinie sehr hoch liegt und nach hinten ansteigt, ergeben sich Sichtverhältnisse, die man höchstens genügend bezeichnen kann. Der Innenraum wirkt enger und dunkler, als man von modernen Sportwagen gewohnt ist.» Dem Erfolg des R107 tat all dies keinen Abbruch, hinter der ewigen G-Klasse ist diese Baureihe mit einer Bauzeit von stolzen 18 Jahren das am längsten produzierte Mercedes-Modell. Mit mehr als 237’000 verkauften Exemplaren wurde diese Baureihe auch zum mit Abstand erfolgreichsten offenen Fahrzeug von Mercedes, seine Nachfolger R129/ C126 (1989-2001), R230 (20012011) und R231 (2012-2020) konnten da nicht mehr mithalten.

Zu Beginn seiner Karriere gab es den R107 nur mit Achtzylinder-Motoren, damals entsprachen die Bezeichnungen bei Mercedes noch dem Hubraum und folgten also einer gewissen Logik, der 350 SL hatte folglich 3.5 Liter Hubraum (und 200 PS), der450 SL 4.5 Liter Hubraum (und 225 PS). ?ber die vielen Jahre kamen immer mehr und auch andere Maschinen dazu, gegen unten kam 1974 der 280 SL mit nur sechs Zylindern, gegen oben der 380 SL als Nachfolger des 350 SL, der 500 SL (und für gewisse Märkte der 560 SL) anstelle des 450 SL. Besonders wild trieben es diese Antriebe nie, die 245 PS im 500 SL blieben das höchste der Gefühle, gegen unten waren die 155 Ponys im amerikanischen 380 SL so etwas wie der tiefste denkbare Wert. Ach ja, neben dem R107 gab es dann auch noch den C107, das Sportcoupé mit einem um 36 Zentimeter verlängerten Radstand, doch das ist nochmals eine andere (Renn-)Geschichte.

Wir setzten uns in einen feinen 380 SL mit Jahrgang 1985, hellblau-metallic. Die Sitze stammen aus einer Zeit, als Seitenhalt noch nicht das beherrschende Thema waren – Mercedes sah den SL auch nie als Sportwagen, sondern als bequemes Reisefahrzeug. Entsprechend ist auch die Abstimmung des Fahrwerk, die durchaus auch von Citroën stammen könnte. Die Domäne des Benz ist die Landstrasse, die Hatz über den Berg ist nicht so sein Ding, auch die Autobahn wird man eher meiden, bei Geschwindigkeiten über 100 km/h sind sämtliche Bemühungen um den Erhalt der Frisur ziemlich erfolglos. Aber was er ganz hervorragend kann: gleiten. Dazu passt auch der Antrieb, die etwas über 200 PS lassen ihre Kraft über eine Viergang-Automatik an den Hinterachse versanden. Ist das Getrieböl noch kalt, sind die Schaltvorgänge rucklig, ist es dann warm, spürt man sie kaum mehr. Was aber auch daran liegt, dass der Mercedes so früh wie nur möglich in die höchste Stufe schaltet und diese nur mit Unwillen wieder verlässt.

Und doch ist genau das wunderbar. Man gondelt ganz friedlich daher, geniesst das sanfte Brummeln des Achtzylinders, geniesst die Landschaft, die gemächlich an den Passagieren vorüberzieht, geniesst die logische Bedienung des Wagens, das hübsche Armaturenbrett mit den grossen Anzeigen, die auch kurzsichtige Menschen bestens ablesen können. Das Lenkrad ist Mercedes-typisch riesig, die Lenkung reagiert ebenfalls typisch für frühere Sterne erst mit einer gewissen Verzögerung. Doch genau diese Entspanntheit, diese Erhabenheit und dieses Souveränität machten diesen Mercedes ja früher aus: Man musste nichts, man konnte.

«Bin ich schön?» heisst der Titel eines Buches von Doris Dörrie. Unser 380 SL würde diese Frage nicht selber beantworten wollen, er würde einfach nur lächeln. Weil er ja weiss, dass die Preise für die R107 unterdessen stark anziehen, dass gute Exemplare mit wenigen Kilometern von denen, die sie haben, wohl so bald nicht mehr aus den Händen gegeben werden.

Der hier gezeigte Mercedes-Benz 380 SL mit Jahrgang 1985 wurde uns zur Verfügung gestellt von www.oldtimers.ch.

Der Beitrag Fahrbericht Mercedes 380 SL erschien zuerst auf radicalmag.