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Test Volkswagen ID.3

Published in radical-mag.com

Kein Leuchtturm

Ob Martin Winterkorn damals, am 15. September 2015 auf der grossen Volkswagen-Konzern-Show vor der IAA in Frankfurt, bereits wusste, dass da eine von seinem Unternehmen verursachte, ganz grosse Lawine über der Auto-Industrie niedergehen wird, wissen wir auch nicht. Aber wir wissen, dass in jenen Tagen Mitte September 2015 das Automobil, so wie wir es bisher kannten und auch liebten, einen sehr plötzlichen Tod starb.

Der Abgasskandal, #wastegate, wie wir ihn damals nannten, machte die Ingenieure quasi über Nacht zu den Buh-Männern. Die Politiker übernahmen die Macht, diktieren jetzt die Strategien; bei den Herstellern wurden die Controller, Finanzer, Synergie-Spezialisten, Marketing-Warmluftbläser nach oben gespült. Klar, Tesla war schon da, Volkswagen hatte die MEB-Plattform längst angeschoben, E wäre sowieso gekommen – doch ein Ingenieur wie Martin Winterkorn hätte ein Automobil wie den ID.3 in der aktuellen Form niemals auf den Markt gebracht. Völlig willenlos hat sich ganz besonders die deutsche Auto-Industrie in die Arme der Politik und ihrer Entwicklungs- und Subventionsmilliarden begeben – und wirft jetzt Produkte auf den Markt, die in der aktuellen Form eine ganz grosse Mehrheit der Käufer*innen nicht wirklich brauen kann.

Vielleicht geht die Rechnung für die Hersteller trotzdem auf. Von den 73 Milliarden Euro, die der Volkswagen-Konzern in den nächsten fünf Jahren in die E-Mobilität, Hybridisierung und Digitalisierung stecken will, kommen reichlich Prozente vom Staat und irgendwelchen EU-Fonds (von den Investitionen in die Infrastruktur ganz zu schweigen). Auch wenn weit weniger ID.3 als geplant verkauft werden können (wonach es aussieht), so ist das nicht wirklich wichtig, einen schönen Teil der Zeche übernimmt der Steuerzahler. Und weil die Ingenieure jetzt im Keller hocken und höchstens noch Wanderblinker konstruieren dürfen, kriegen wir jetzt auch Zeugs auf die Strasse, das mit dem Automobil, das wir kannten und liebten, quasi nichts mehr gemein hat ausser die vier Räder.

Nach diesen einleitenden Worten dürfte schon klar sein: Das wird jetzt unschön. Wohl noch nie in meinen mehr als 30 Jahren als Beschreiber von Automobilen mit Verbrenner hatte ich einen Testwagen, an dem es so viel zu kritisieren gab. Der Test VW ID.3 ist eine grosse, grosse Mängelliste – und ich frage mich ernsthaft, warum ich solche Sachen nirgends lese. Die E-Jünger attestieren Volkswagen, ein ganz gelungenes Erstlingswerk geschafft zu haben – im Vergleich zu? Ich sehe es schon auch als Aufgabe eines Auto-Journalisten, potenzielle Käufer des Produkts auch auf die Schwächen eines Automobils aufmerksam zu machen; hier wird das eher ausführlich. Und es geht nicht um subjektive Empfindungen, sondern: Fakten.

Reichweite

Der Testwagen: VW ID.3 1st Max Pro Performance. Also 204 PS, 310 Nm – und eine Batteriekapazität von 58 kWh. Das reicht nach Werk für eine Reichweite von 425 Kilometer; wie man auf diese Zahl kommt, ist schon sehr fraglich, denn der Verbrauch beträgt gemäss den gleichen Werksangaben 19,4 kWh/100 km. Der niedrigste Wert, den ich geschafft habe: 22,7 kWh. Auf einer Geradeaus-Gasse mit ganz vielen Kreiseln – hinter einem Lastwagen herrollend. Doch eigentlich geht unter 25 kWh/100 km nichts, was noch so ein bisschen mit Autofahren zu tun hat. Ja, es war kalt, ja, es hat Hügel in der Umgebung, in der ich lebe, aber ein Umzug in eine wärmere, flachere Weltregion erscheint mir jetzt als ein zu grosser Aufwand bloss für einen ID.3. Den ich in optischer Realität, da auf der Strasse, übrigens als deutlich adretter empfinde als auf Bildern.

Schreiben wir vom richtigen Leben: Meine Eltern, die ich zu Weihnachten besuchen wollte, leben 120 Kilometer entfernt, grösstenteils Autobahn. In einem Vorversuch, zu dritt, Gepäck, Autobahn, lag der Verbrauch bei knapp unter 30 kWh. Man rechne: 58 kWh geteilt durch 30 = 193 Kilometer. Ohne Aufladen geht es also nicht. Jetzt will ich aber nicht zu meinen Eltern, um dort dann zuerst mal an eine Ladestation (nächstes Schnellladedings: 10 Kilometer entfernt) zu fahren, dann etwa zwei Stunden später wieder zurückzukehren, das Auto wieder holen; das gilt als wenig freundlich, wenn man auf Besuch ist. Wir nahmen dann den Fiat 500, auch wenn es etwas eng wurde.

Also, to be honest: Geht gar nicht. 425 Kilometer angeben, knapp 200 Kilometer sind möglich. Es mag besser sein im Sommer, es mag mehr Reichweite geben im Nahverkehr. Hätte der Hund nicht pinkeln müssen, hätte er den Hasen – vielleicht – erwischt. Oder anders ausgedrückt: der Verbrauch des leer 1730 Kilo schweren VW ist zu hoch. Andere können das besser; allerdings kann es kein Stromer gut, dort, im richtigen Leben, in dem man auch einmal Autobahn fahren muss in der Kälte. Es mag keine Reichweitenangst mehr bestehen müssen, aber Alltagstauglichkeit ist: anders.

Laden

Sparfux, der ich bin, habe ich aus meiner Waschküche eine Leitung nach draussen ziehen lassen, dort den passenden Stecker, fünf-phasig, drei-polig, 16 A, 400 V – packt sauber die 11 kW. Tesla und Co. liefern auch das passende Kabel; beim Volkswagen gibt es ein solches nicht. Dafür kann der ID.3 nun allerdings nichts.

Gut, dann halt an die Haushaltsteckdose. Die erste Ladephase ging überraschend schnell, etwas mehr als drei Stunden von 73 Prozent auf – ups, 80 Prozent, so sind die Werkseinstellungen, mehr geladen werden möchte der Wagen langfristig eigentlich nicht. Das sind dann also noch 46,5 kWh. Diese geteilt durch 30; rechnen Sie selber.

Gut, ich konnte den ID.3 an Weihnachten also eh nicht brauchen, deshalb war es auch egal, dass er dann in der zweiten Heim-Ladephase von 28 auf die jetzt eingestellten 100 Prozent angab, dass dies 32 Stunden dauern würde. Klar, 32 Stunden, easy. Man kann ja zwei ID.3 kaufen, einen immer an der Steckdose haben, mit dem anderen ein paar Kilometer rollen, dann wechseln; wahrscheinlich braucht man drei, damit man immer einen zur Verfügung hat.

Als ich dann am ersten Abend des 32-Stunden-Zyklus draussen stand und noch ein Zigarettchen rauchte, hörte ich ein komisches Geräusch. Der ID.3 kühlte wie wild. Und blinkte ganz grob: rot. Was ja dann meist kein gutes Zeichen ist bei Strom. Auf dem Touchscreen ein grosses Ausrufezeichen, Laden unterbrochen bei 47 Prozent. Grund: keine Angaben. Also ausstöpseln. Nach fünf Minuten wieder einstöpseln. Alles gut. Wäre ich nicht Raucher, was wäre dann gewesen? Nach 35 Stunden war das Ding dann tatsächlich voll. Cool.

Theoretisch ist Laden mit bis zu 100 kW möglich. Gibt es bei mir in sinnvoller Nähe nicht, auch 50 kW nicht. Tja, so ist es halt, wenn man auf dem Land lebt. Wohin ein E-Auto eigentlich passen würde, pendeln, einkaufen, solche Sachen. Würde ich in der Stadt leben, würde ich auch kein E-Auto brauchen.

Assistenz-Systeme

Gleich zu Beginn: Kein Fahrer-Airbag. Kann ja mal vorkommen, hatten wir aber zuletzt an einem Fiat in den 90er Jahren. Dass der Regensensor auch nicht funktionierte, hab ich zuerst gar nicht bemerkt. Denn es war wirklich nur ein ganz leichter Nieselregen. Was mir aber dann klar wurde, als der Tempomat vermeldete, dass er seinen Dienst nicht versehen kann, ungeeignete Bedingungen. Und auch die zu Fahrbeginn von Hand ausgeschaltete Verkehrszeichenerkennung dann meinte, nicht mehr mittun zu wollen. Überhaupt quasi alle Assi-Systeme sich verabschiedeten. Bei einem wirklich nur leichten Nieselregen – Himmel, wo sind wir?

Es wäre unbedingt nötig, dass Fahrzeuge wie der ID.3 in der Mittelkonsole einen grossen, roten Buzzer-Knopf hätten. Damit man auf einen Knopfdruck all die komplett unnötigen Assi-Wahn-Systeme ausschalten kann. Jetzt muss man sich vor Fahrbeginn mal etwa fünf Minuten durch die diversen, viel zu unverständlich angelegten Untermenus quälen, um all das Zeugs wegzuschalten. Einen irren Spurhalter, der zwar nichts kann, aber derart penetrant ins Fahrgeschehen eingreift, dass man ihn auf der Stelle ausbauen möchte. Diesen dämlichen Travel-Assi, der an den unpassendsten Stellen verlangsamt oder beschleunigt, dass man eine Gefahr für den restlichen Verkehr darstellt – wer rechnet damit, dass der Vordermann mitten auf der Autobahn auf 40 km/h abbremsen will? Das Ding lässt sich übrigens nicht ausschalten – ausser von einem leichten Nieselregen. Es ist nicht verständlich, dass Volkswagen ein derart unausgereiftes, sehr fehlerhaftes, dazu noch schwer bedienbares System auf die Kundschaft loslässt – wer sich das als Käufer gefallen lässt, der ist wirklich selber schuld. Zumal ein Golf 7 das alles ja noch konnte, locker. «Over the air«-up-dates sind auch nicht möglich, sieht man jeden Morgen im Display angezeigt. Das erweckt auch ganz viel Vertrauen in die Software, oder so, vielleicht sollte VW dieses «Funktion derzeit nicht verfügbar» einmal ausschalten. Oh, geht ja nicht «over the air».

Fahrwerk

Ich gehöre zu jenen Menschen, die in einem Automobil nicht ein reines Transportmittel sehen wollen; ja, ich gebe es zu, ich bin wohl leicht pervers, ich verspüre noch Freude am Fahren. Ich fahre alte Autos, ich fahre seit mehr als 30 Jahren quasi jedes neue Auto, ich fahre gern ein bisschen flotter zur Arbeit und dabei über einen Berg und mit Vorliebe nicht nur geradeaus. Beim E-Auto allerdings scheinen die meisten Hersteller sogar die im Keller hockenden Ingenieure vergessen zu haben, das Ding hängt ja eh 32 von 24 Stunden am Tag am Ladekabel, da kann man ja gut auf so etwas wie eine Fahrwerksabstimmung verzichten. Tiefer Schwerpunkt ist angesagt, ist alles, was sie zu bieten haben, dazu jede Menge vollkommen undynamisches Gewicht; Physik ist aber weit mehr als ein toter Punkt in der Fahrzeugmitte. Der ID.3 fährt deshalb zwar ganz komfortabel geradeaus, doch in der Kurve neigt er sich doch heftig nach aussen, schiebt dann trotz Heckantrieb über die vorderen Räder. Die Lenkung ist so gefühllos wie die Bremse (hinten: Trommeln). Und ja, auf schlechten Strassen hört man die ganze Kiste rumpeln.

Ja, das Automobil verkommt so zu einem reinen Transportmittel. Vielleicht ist das auch gewollt: Man wird keinen Kilometer mehr fahren wollen als unbedingt nötig. Das ist auch eine Form von Umweltschutz.

Das ESP darf sich bei einem E-Gerät nicht ausschalten lassen, denn volles Drehmoment ab sofort hat ja auch einen entscheidenden Nachteil: es kann zu viel sein. Etwa auf nasser Fahrbahn oder, noch viel schlimmer, auf Schnee. Auf der weissen Pracht läuft der ID.3 dann auf so etwas wie einem Notlaufprogramm, da geht es dann nicht mehr viel vorwärts, da ist dann jeder Maulesel am Berg flotter unterwegs – und weniger bockig. Ob das jetzt ein gutes Verkaufsargument ist für die Schweiz, das wagen wir zu bezweifeln. Aber bei Kälte will so ein Stromer ja eh nicht aus der Garage.

Verarbeitung und so

Nein, ich gehöre nicht zu jenen Automobil-Beschreibern, die in den Kofferraum kriechen, um dort hinter einer Abdeckung noch eine nicht sauber abgeschlossene Schweissnaht zu suchen. Auch greife ich nicht in die Eingeweide unter dem Sitz, um mich dort an einer scharfen Kante verletzen zu wollen. Doch beim VW ID.3 ist es leider etwas gar offensichtlich, dass hier noch viel nachgebessert werden kann. Während die deutschen Auto-Journaillen dem Tesla in den Kofferraum kriechen und durchs Handschuhfach, um dann über den Amerikaner zu schimpfen, scheinen sie beim elektrischen Volkswagen auf beiden Ohren blind, es gibt höchstens sanfte Andeutungen zwischen den Zeilen von nicht ganz so grossartiger Materialanmutung und ein bisserl unter Premium liegender Verarbeitung. Dabei hat jeder Dacia geringere Spaltmasse und jeder koreanische Kleinwagen weicheres und auch weniger Plastik. Und dafür auch noch eine entspanntere Sitzposition, nicht so hoch, nicht so aufrecht, mit mehr Seitenhalt; der Sitz selber ist komisch, am rechten Oberschenkel etwas gar hart, am linken etwas gar weich. Aber Langstreckenkomfort braucht man im E-Auto ja eh nicht.

Der ID.3 misst in der Länge 4,36 Meter (Golf 8: 4,28 Meter), in der Breite 1,81 Meter (Golf 8: 1,79 Meter) und in der Höhe 1,57 Meter (Golf 8: 1,48 Meter); der Radstand beträgt 2,77 Meter (Golf 8: 2,62 Meter). Ja, die Platzverhältnisse sind innen besser als beim Golf, vor allem bei der Kopffreiheit, aber auch für die hinteren Passagiere. Beim Kofferraum ist allerdings kein Fortschritt zu verzeichnen, 385 Liter sind es (Golf 8: 381 Liter), bei abgeklappten Rücksitzen 1267 Liter (Golf 8: 1237 Liter). Eine konsequente Ausnutzung der theoretischen Vorteile der Plattform für einen reinen Stromer sieht aber irgendwie anders aus, zumindest in meiner Phantasie. Immerhin sind das Cockpit und der Innenraum moderner gestaltet als bei anderen Volkswagen; es wirkt allerdings sehr kühl, technologisch.

Eine persönliche Betrachtung

Wenn Volkswagen ein potenzielles Volumen-Modell auf den Markt bringt, dann ist das immer ein Leuchtturm; der ID.3 soll bei den Stromern das werden, was der Golf bei den Kompakten seit Jahrzehnten ist, also quasi die Vorgabe, an der sich die Konkurrenz orientieren wird. Nun, der ID.3 ist es in der aktuellen Form sicher nicht das Fahrzeug, das anderen E-Herstellern Kopfzerbrechen bereiten wird; den Käufern hingegen schon.

Es wundert (mich) sehr, dass Volkswagen ganz viele seiner Karten auf die E-Mobilität setzt; die Führung muss etwas wissen, was sie der Öffentlichkeit bisher nicht preisgeben will, da müssen in Kürze eklatante Fortschritte möglich werden (Feststoff-Batterie? Eigene Software-Entwicklung?), sonst kann das, wird das nicht funktionieren. Der ID.3 erscheint mir wie ein Versuchsträger, der weit noch weit vor Marktreife steht; unter der Führung von Martin Winterkorn wäre dieses Fahrzeug in dieser Form niemals in den Verkauf gelangt. Ich stehe da nicht allein, ich übergab den Wagen für kurze Ausfahrten Kollegen*innen; sie waren noch mehr überfordert als ich. Und noch viel kritischer.

Der Preis ist: relativ. Als 1st Max Pro Performance ist der VW ID.3 mit 52’900 Franken angeschrieben, viel kommt da nicht mehr dazu. Für dieses Geld gibt es auch einen Tesla Model 3 mit viel mehr Power und viel mehr tatsächlicher Reichweite (und schon fast einen Polestar 2 mit viel mehr Power und auch nicht viel mehr tatsächlicher Reichweite); wir sind mit deutlich günstigeren E-Autos schon deutlich weiter gekommen. Dafür, dass der ID.3 ein ganz modernes Gefährt sein will, fährt er dem unterdessen nicht mehr taufrischen Tesla in eigentlich allen Bereichen hinterher, und das teilweise heftig. Da wundert man sich dann schon, das kann es ja irgendwie nicht sein. Aber ich muss als old-fashioned petrolhead ja tatsächlich nicht alles verstehen, wage aber die Behauptung, dass dies noch ganz vielen anderen Menschen auch so gehen wird. Wenn wir in absehbarer Zeit ja dann alle E fahren sollen, was ja wahrscheinlich der Fall sein wird: E-Fahrzeuge wie der VW ID.3 werden die Autofahrer*innen, die einfach ein funktionierendes, alltagstaugliches Transportmittel wollen und brauchen, kaum überzeugen können.

Mehr Volkswagen haben wir in unserem Archiv.

Der Beitrag Test Volkswagen ID.3 erschien zuerst auf radicalmag.