Fahrbericht Fiat 500e
Er will doch nur spielen
Klar, er fährt auch. Er fährt sogar gut, sehr angenehm. Wir haben ihn einmal quer durch Turin und wieder zurück getrieben, am Rotlicht jedes imaginäre Rennen gewonnen, gelächelt, weil er sich fast so ein bisschen wie eine Vespa durch den Stadtverkehr bewegen lässt. Ja, da hilft die quasi verzögerungsfreie Beschleunigung dank Stromkraft, man sieht die Lücke, beschleunigt, ist schon drin – und weg. Der Fiat 500e ist auch erstaunlich komfortabel, die italienischen Strassen sind ja bekanntlich nicht nur gut, aber er steckt Schlaglöcher und Querrillen sehr entspannt weg. Und Kurven kann er auch mit erfreulich wenig Seitenneigung; die Lenkung ist sicher präziser als bei anderen Fiat-Modellen. Für den Stadtverkehr ist der Italiener perfekt, da braucht man nicht mehr, da will man nicht mehr, man wundert sich höchstens, warum so viele andere sich die City mit irgendwelchen SUV antun. Die Frage, ob es wirklich Sinn macht, so ganz individuell mobilisiert in und durch Innenstädte zu fahren, wollen wir dann andernorts erörtern; die Frage, ob es wirklich noch Sinn macht, das Fahrverhalten von E-Autos beschreiben zu wollen, stellen wir uns nun schon länger.
Der 500er ist für Fiat das wichtigste Modell. Die zweite Generation, die am 4. Juli 2007 auf den Tag genau 50 Jahre nach dem Ur-Modell vorgestellt worden war, ist seit Marktstart der meistverkaufte Kleinwagen in Europa, im vergangenen Jahr wurden 190’000 Stück verkauft. Und das für einem im Schnitt 20 Prozent höheren Preis als bei vergleichbaren Konkurrenten. Dieser 500er wird auch weiterhin gebaut werden, er wurde ja erst kürzlich hybridisiert, da geht noch was. Es ist in diesem Zusammenhang sehr verständlich, dass Fiat sein Lieblingskind jetzt zwar komplett erneuert und auf eine elektrische Plattform stellt, doch das Erfolgsrezept nicht verändert. Der neue 500e ist zwar sechs Zentimeter länger und vor allem sechs Zentimeter breiter, doch die Silhouette wurde beibehalten, man erkennt ihn auf den ersten Blick. Gleichzeitig wirkt er rundum deutlich moderner, in der Harmonie der Linien sogar eleganter, in manchen Details (noch) hübscher als sein Vorgänger – und irgendwie auch noch seriöser, nicht mehr ganz so kindlich unschuldig wie das bisherige Modell. Doch das ist auch dem Thema Elektromobilität geschuldet, es ist so gross und so wichtig, da braucht es eine gewisse Ernsthaftigkeit.
Und doch ist er halt cool, locker, verspielt, fröhlich – die Italiener haben einfach das feinste Händchen in Sachen Lifestyle, einen irgendwie unverkrampfteren Zugang zum Thema Elektromobilität. Das gilt auch für das Innenleben, das eine ausgewogene Mischung zwischen digital und Retro darstellt. Selbstverständlich gibt es da einen grossen Touchscreen, aber es gibt auch noch Knöpfe und Schalter (erstaunlicherweise sogar für die Schaltung), die Bedienung erfolgt sehr intuitiv – und das Auge freut sich. Natürlich surfen auch die Italiener auf dem Zeitgeist, es gibt Sitzbezüge, die aus aus dem Meer gefischten Plastikflaschen hergestellt werden, doch irgendwie wirkt das alles entspannter, natürlicher als anderswo. Und 42 Millimeter mehr Innenbreite kann der neue 500er auch noch bieten. Sehr unschön sind allerdings die Hartplastik-Verschalungen der Innen-Türen, das hätte man unbedingt mit mehr Stil lösen müssen, zumal ja sonst jedes Detail im Innenraum irgendwie (und gegen sattes Aufgeld) individualisiert werden kann. Sehr schön dagegen: der 500e ist das einzige Automobil, das sich auf der Strasse im Langsamverkehr mit der Titelmelodie aus einem Fellini-Film ankündigt. Und ist, nicht nur unter den Kleinwagen, das einzige rein elektrische Cabriolet.
Zu diesem optisch und akustisch so stimmungsvollen Paket passt auch der Antrieb. Die 42-kWh-Batterie ist nicht übermässig gross, die Systemleistung ist mit 87 kW und einem maximalen Drehmoment von 220 Nm auch nicht jenseits von Gut und Böse – und dafür hält sich das Gewicht mit ab 1290 Kilo auch in einem vernünftigen Rahmen. Der Fiat hat nicht ganz diesen brutalen längsdynamischen Schub, den andere E-Autos bieten können, aber das ist ja (in der Stadt) eh unnötig. Dafür soll er gemäss WLTP mit 13,8 kWh Strom auf 100 Kilometern auskommen; die Reichweite beträgt gemäss Werk trotz verhältnismässig kleiner Batterie dann 320 Kilometer (in der Stadt sollen es dank Rekuperation bis zu 458 Kilometer werden). Laden lässt sich der Italiener übrigens mit bis zu 85 kW, das ergibt dann für die Dauer eines Espresso an der Bar zusätzliche 50 Kilometer, in 35 Minuten ist die Batterie zu 80 Prozent geladen. Diese von Samsung in Ungarn hergestellte Batterie ist 290 Kilo schwer, wird im Unterboden montiert; dazu kommen der Elektro-Motor (der über ein Eingang-Getriebe die Vorderräder antreibt) und die Steuerungseinheiten, die den Motorraum ausfüllen; der Kofferraum hinten fasst mit 185 Litern etwas mehr als bei den konventionell angetriebenen Vorgängern.
Gebaut wird der Fiat 500e mitten in Turin, im legendären Mirafiori-Werk. Dort hat FCA für den Maserati Levante eine neue Produktionsstrasse für Fahrzeuge mit Premium-Anspruch eingerichtet, auch der elektrische Fiat wird dort produziert, mit noch erstaunlich viel Handarbeit. Die Kapazitäten liegen in Mirafiori derzeit bei 80 000 Exemplaren pro Jahr, noch ist man nicht ausgelastet, auch wenn das mit einem Preis von 39900 Franken nicht gerade günstige erste Modell «La Prima» Cabriolet bereits ausverkauft ist (ausgeliefert wird bereits ab Mitte Oktober). Deshalb wird jetzt die geschlossene «La Prima»-Version nachgereicht, für 3000 Franken weniger. Und dann ebenfalls mit allem ausgerüstet, was es heute an Assistenz-Systemen (autonomes Fahren auf Level 2), Infotainment-Features und Connectivity-Gaggets auf dem Markt so gibt, erstmals bei Fiat mit einer 360-Grad-Kamera.
Über die weiteren Pläne mit dem 500e, doch es darf als sicher gelten, dass auf jeden Fall günstigere Varianten auch mit kleinerer Batterie folgen werden (Modelle mit Verbrennungsmotor allerdings nicht); ebenfalls sicher ist neben dem Cabrio und dem Coupé eine dritte Karrosserievariante des 500e (wird am 5. Oktober vorgestellt – und nein, ein Viertürer ist es nicht). Auch sagen die Verantwortlichen (ganz leise), dass man bei Fiat keinen Sinn darin sehe, grössere E-Autos mit schwereren Batterien zu entwickeln. Müssen sie auch nicht, das übernimmt ja dann PSA.
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