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New Defender – einige Überlegungen

Published in radical-mag.com

Magersüchtige Pygmäen

Es ist dies weder ein Fahrbericht und ganz sicher kein Test; «radical» erhält ja von Land Rover Jaguar keinerlei Fahrzeuge mehr, seit Jahren. Als wir aber trotzdem kurz Hand an einen neuen Defender legen konnten, da nutzten wir die Möglichkeit selbstverständlich. Doch: es wird dies keine Bewertung des neuen Defender werden, dazu war der Kontakt zu kurz, im Gelände waren wir auch nicht. Hingegen bleiben einige Fragen offen.

Wenn man so liest, was die Fachpresse über den neuen Defender schreibt, dann ist die Begeisterung dort: gross. Als Besitzer eines unterdessen auch bald 15-jährigen Defender 110 Td5 (das erste und auch einzige Automobil, das ich je neu gekauft habe), der sein Auto gerne als «komplette Fehlkonstruktion» bezeichnet, nach mehr als 200’000 Kilometern einigermassen kennt, schon viel Geld investieren musste und es trotzdem über alles liebt, verfolge ich das ein bisschen. Und kann noch so manchen Punkt auch verstehen, die bessere Verarbeitung zum Beispiel, denn ja, eine solche hätte ich mir bei meinem Td5 auch gewünscht. Die «schönere» Gestaltung des Innenraums ist auch nicht wirklich schwierig, denn die Ur-Defender waren ja nicht «gestaltet», sondern ausschliesslich zweckmässig. Alltagstauglicher soll der Neue zudem sein, aber da wäre dann schon die erste Frage: wie genau sieht denn der Alltag eines Geländewagens aus?

Einst, da waren Geländewagen: Geländewagen. Sie waren konstruiert für den Einsatz abseits der Autobahnen und schicken Boulevards in Grossstädten, sie wurden gekauft von Gemeinden für den Einsatz im Wald, am Berg, im Schnee oder sonst schwierigem Gelände, von Organisationen wie dem «Roten Kreuz» aus ähnlichen Gründen – und von ein paar wenigen Menschen, die das Abenteuer suchten in der Wüste, im Dschungel oder sonst Regionen, wo es mehr Dreck und Schotter und Sand gibt als breite, asphaltierte Bänder. Die Prioritäten waren ganz einfach: Geländetauglichkeit, Zuverlässigkeit, einfach zu reparieren. Zusammen mit dem Landcruiser von Toyota und so ein bisschen auch noch der G-Klasse von Mercedes war der Ur-Defender bis zum Auslaufen seiner Produktion der letzte Mohikaner in diesem Segment. Nein, es sei hier nicht auf die schleichende Verweichlichung der wenigen wahren Geländewagen zu ganz vielen geleckten SUV eingegangen, irgendwann vor ein paar Jahrzehnten nahm das Automobils die falsche Abzweigung – und fährt seither immer tiefer in eine Sackgasse.

Und in der befindet sich, unserer bescheidenen Meinung nach, jetzt auch der neue Defender. Klar, eine selbsttragende Karosserie mit Hilfsrahmen ist moderner als ein Leiterrahmen – aber halt auch viel, viel schwerer. Gut, er ist länger geworden (5,02 Meter anstatt 4,6 Meter), er ist breiter geworden (2,01 Meter anstatt 1,79 Meter), dafür etwas flacher (1,97 Meter anstatt 2,06 Meter). Aber dass dies dann gleich mit mindestens 300 zusätzlichen Kilos zu Buche schlägt? Am meisten wundert uns aber die Breite, gut 20 Zentimeter mehr sind es aussen – und im Innenraum bietet der Neue trotzdem mehr als 10 Zentimeter weniger nutzbaren Raum. Noch mehr Zahlen: zwar ist das Ding über fünf Meter lang, aber die Ladetiefe des Kofferraums ist bei abgeklappten Rücksitzen trotzdem um 15 Zentimeter geringer. Hinten im neuen Defender schlafen ist dann eher etwas für magersüchtige Pygmäen. Und nein, das deutlich geringere Kofferraumvolumen brauchen wir da nicht noch extra zu erwähnen.

Weiter: Wie fährt sich ein Automobil mit einer undichten Luftfederung, mit einer kaputten elektrischen Servolenkung, mit einem nicht mehr ordentlich funktionierenden 8-Gang-Automat, ohne AdBlue für den hochgezüchteten, 240 PS starken 2-Liter-Diesel mit Twinturbo und Direkteinspritzung – und wo kann ich das reparieren lassen in einer afrikanischen Kleinstadt am Rande der Wüste (wenn schon die hiesigen Werkstätten davon überfordert sind)? Wie gut vertragen Drehdrückschalter mit gefühlt 72 Funktionen den Staub, ebendort, oder die Luftfeuchtigkeit auf der V8 zwischen Brasilien und Guayana? Wer genau braucht ein hochkomplexes Infotainmentsystem, wenn das Navi dort im Niemandsland sowieso keinen Empfang hat, man auf sowieso nicht kartographierten Strassen fährt? Wo genau ist der Fortschritt, wenn das neue Ding im Alltag genau so viel säuft wie das alte? Im mindestens 20’000 Franken höheren Basispreis vielleicht? (Die von uns kurz gefahrene «First Edition» kostet doch tatsächlich ziemlich genau 90k – unfassbar.)

Und überhaupt: all diese Elektronik. Wahrscheinlich kann der Neue halb-autonom über gewaltige Sanddünen rauschen. Und sucht sich dann mit «Clearsight Ground View» selber den Weg durch das Flüsschen. Und parkiert sich mit 360-Grad-System-Hilfe in der Wüste zwischen zwei Oasen auch sauber selber ein. Und hat dank der 255/60-R-60-Räder so viel Grip, dass er die Steigungen nicht erklimmen muss, sondern gleich plättet. Man darf Land Rover durchaus dafür loben, dass ihre elektronischen Fahrhilfen im Gelände wirklich Wunderdinge tun können, das ist beim Range Rover so, auch beim Disco 5, und jetzt auch noch beim Defender. Bloss: was kann er, wenn etwas ausfällt? Und, viel wichtiger: macht so etwas denn Spass? Kauft man sich nicht deshalb so einen «echten» Geländewagen, weil man selber fahren will, die fahrerische Herausforderung sucht, schaffe ich diese Klippe, wie komme ich durch diesen Bach?

Andere Fragen: Wieso genau gibt es Fake-Sandbleche (aus Plastik) auf der Motorhaube, wenn man die vorderen Kotflügel eh nicht betreten sollte? Wie ist das mit den ausgestellten Kotflügeln/Radkästen, wenn man da der Umgebung mal etwas zu nah kommt? Was, zum Beispiel, kostet eine neue hintere Tür, wenn man sie, aus welchen Gründen auch immer, kaltverformt hat? Und was spricht eigentlich gegen einen Discovery 5 und für den neuen Defender, wenn das Urban Cowgirl eh nur ein Gerät braucht, um die Kinderchen zu «International School» zu fahren? Aber vielleicht ist ja die Zufahrt zum Hof des so schicken Gemüsebauern, der diese so einmalige Bio-Petersilie zu 12 Franken pro Bündchen anbietet, nicht gepflastert. Wie sehen Sie das?

Der Beitrag New Defender – einige Überlegungen erschien zuerst auf radicalmag.