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Mythos Porsche 911

Published in radical-mag.com

Ewige Liebe

Unzählige, auch hochbegabte Menschen haben schon versucht, den Mythos um das Modell 911 von Porsche zu erklären. Vielen ist es nicht gelungen – und es wird auch mir nicht gelingen. Denn eine solche Mensch-Maschine-Beziehung kann man, meiner bescheidenen Ansicht nach, nur sehr schwer in Worte fassen. Aber ich nehme – drei Jahre nach meine, Ausstieg aus dem Automobiljournalismus – die Gelegenheit wahr, meine Sicht auf dieses Modell darzulegen. Denn ich feiere ein kleines Jubiläum. Es ist nun ziemlich genau dreissig Jahre her, dass ich erstmal einen Elfer fahren durfte. Und mein Freund und langjähriger Wegbegleiter Peter Ruch hat mir pünktlich zum Jubiläum die neuste Version des 911 für ein paar Kilometer überlassen. Ich blicke gerne auf diese 30 Jahre zurück, in denen vieles passiert ist, und dennoch eines wie in Stein gemeisselt blieb: die Liebe zum 911er (auch wenn er irgendwann Konkurrenz bekam…).

Wer wissen möchte, wie sich das neuste Modell aus Zuffenhausen (oder kommt der schon aus Wolfsburg?) so fährt, was man mit ihm anstellen kann oder nicht und wie gross der Faszinationsfaktor ist, dem empfehle ich den Test des 911 Carrera 4 S von Peter Ruch (ok, der folgt dann noch…). Ich beschränke mich hier auf das, was alte Männer sehr gerne tun: in Erinnerungen schwelgen und ab und zu eine Anekdote zum Besten geben.

Alles begann mit einem 3.0 SC (ich glaube aus dem Jahr 1978), den mir ein Freund – zugegeben, er war nicht arm – für ein Wochenende überliess. Ich hatte damals noch wenig Ahnung von Autos, musste das Zündschloss erst suchen und dachte mir auf den ersten Metern: den krüppeligen Schalthebel hätte man auch liebevoller gestalten können. Aber dann wurden wir Freunde. Gaaanz langsam, es war keine Liebe auf den ersten Blick. Wie kann man nur einen Motor ins Heck bauen? Wieso nicht zwischen die Achsen? Und all die Schalter und Armaturen, irgendwie ein Bauern-Ferrari dachte ich. Obwohl ich natürlich damals noch keinen Ferrari gefahren hatte. Aber diesen Samstagabend in diesem Sommer vor genau dreissig Jahren werde ich trotzdem nie wieder vergessen. Der rote 911er und ich – immer sportlicher ging es über die engen und damals noch meist autofreien Strässchen im Emmental, Denn Herr und Frau Schweizer sassen damals abends vor der Glotze, um die Tagesschau zu sehen, dann gings ab ins Bett, egal, ob es Samstag oder Montag war. Und dann kam Chali ums Eck, störte mit dem kehligen Sound des Sechszylinders die Einschlafphase des halben Emmentals. Dieses enorm spontane Ansprechverhalten und das geringe Fahrzeuggewicht, die unmittelbare Reaktion auf die Befehle am Lenkrad – ein Traum. Ja, klar, ab und zu hatte ich mehr Glück als Verstand, dass ich mit den damaligen – sagen wir einmal: noch nicht völlig ausgereiften Reifen – auf der Strasse blieb. Zudem hatte mir nie jemand gesagt, dass man mit einem Elfer in der Kurve besser nicht vom Gas geht. Learning by doing heisst es heute neudeutsch – Glück gehabt, hiess es damals. (Foto typähnlich…)

Doch die grosse Liebe war es da noch nicht. Die grosse Liebe, die tiefe, emotionale Bindung entstand ausgerechnet: während einer Fahrpause. Es ist, als wäre es erst gestern gewesen: nach einer wilden Hatz von Wasen hinauf zur Fritzenfluh (kann man googeln) hat es vor dem Tunnelchen einen kleinen Parkplatz. Dort machte ich eine Rast, setzte mich auf das vom ACS gesponserte Bänkchen und betrachtete das Heck des Fahrzeugs. Da war es. Das Zirpen der Grillen und das metallische Klacken der luftgekühlten Zylinder. Ich war hin und weg, dazu der Mix aus kühler Luft, Benzin- und Oeldämpfen: ich war fürs Leben verdorben. Ich bekomme heute noch Hühnerhaut, wenn ich an diesen Abend denke. Für mich als passionierten Schrauber, Technikfan und damals Fabrikarbeiter war es das Nirvana, die Erfüllung meiner automobilen Träume. Ich konnte damals nicht ahnen, was ich sonst noch so alles mit vier Rädern erleben würde. Ich hätte das Auto am liebsten nie wieder hergegeben. Aber so ein Ding konnte ich mir weder damals noch heute leisten.

Natürlich fuhr ich – in all den Jahren als Journalist – nicht nur die neuen 911er. Wir berichteten stets über alle Marken. So konnte es passieren, dass ich von einem Dacia Logan MPV in einen Ferrari 360 Spider umstieg. Oder, was viel schlimmer war, umgekehrt. Aber eben, die Liebe zu den Sportwagen aus Zuffenhausen blieb. Und sie blieb nicht nur wegen der Autos, auch die Menschen bei Porsche waren von einem ganz besonderen Schlag. Zumindest, bis VW die Zügel übernahm. Unvergessen die Ausflüge mit Wendelin Wiedeking, dem Retter der Marke Porsche. Er war es auch, der die Marke nur ein paar Jahre später fast hingerichtet hat. Aber der heutige Nobelschuhverkäufer hatte den Laden zumindest gegen aussen echt im Griff. Und er war, im Gegensatz zu vielen seiner Nachfolger: nahbar. Unvergessen, wenn er spätabends in irgendeiner Hotelbar in Südspanien einen seiner Ingenieure ans Klavier zitierte und mit Presseleuten, Journalisten und Hotelangestellten fröhlich mal zwei Stunden sang und tanzte (also, ich interpretierte die Bewegungen zumindest als Tanz…).

Unvergesslich auch, wie ich einmal von Walter Röhrl kalt erwischt wurde. Ich glaube mich zu erinnern, dass es das Turbo-Cabrio der Baureihe 996 war. Jedenfalls war es auch in Spanien und man hatte, wie selbstverständlich, eine Bergstrasse für den Porsche-Event gesperrt. Walter Röhrl, auch damals schon in einem Alter, in dem andere lieber mit der Fernsehfernbedienung spielen, kam die 40 Kilometer zum Fusse des Berges angeradelt. Natürlich im typischen Walter-Tempo, welches ich als Fahrradniete als teuflisch bezeichnen würde. Item, der Walter stieg ins Auto, ich auf den Beifahrersitz und so tuckerten wir gemütlich plaudernd den Berg hoch. Topspeed so in etwa 60 km/h. Das kam mir dann doch irgendwann spanisch vor und so konnte ich es nicht lassen zu fragen: «Walter, wieso fährst du denn so langsam?» Der Rallye-Weltmeister lächelte nur, wendete auf dem «Gipfel» und entgegnete mir dann: «Schau, heute fahren wir schnell runter…». Ganz ehrlich, ich bezeichne mich als doch ziemlich drehfest. Mit mir kann man in einem Auto auch als Beifahrer fast alles anstellen. Aber mit einem Allradler fast die ganze Strecke sideways runterzuballern war dann doch etwas viel. Keuchend und schwitzend stieg ich aus dem Elfer, während Walter nur schelmisch meinte: «So was ist gut für den Blutdruck».

Natürlich gab es auch andere Porsche-Momente. Mit dem Cayenne Turbo S durch die Dünen der Vereinigten Arabischen Emirate zu pflügen, oder eine Verbrauchs-Challenge mit dem Panamera von Istanbul nach Budapest. Darunter auch die Passage des Transfăgărășan-Highways, also jener Bergstrecke, welche die Jungs von «Top Gear» (also: die echten Top-Gear-Jungs) einst zur geilsten Passstrasse der Welt erkoren. Aber nichts kam auf die Events mit den Elfern heran, egal ob auf der Strasse oder der Rennstrecke. Naja, fast nichts. Zwei Ausnahmen gab es dann doch. Nummer 1 ist da ganz klar der Porsche Carrera GT. Man kann sich kaum vorstellen, wie es ist, in der Boxengasse des Adria-Raceway in Norditalien den Schlüssel eines solchen Boliden in die Hand gedrückt zu bekommen mit den Worten: «Hier ist der Schlüssel, die Rennstrecke ist frei, vergnüg dich bis heute Abend». Und eines kann ich versichern: ich habe es genossen. Stundenlang. Dieser unglaubliche Zehnzylinder im Heck, kaum Schwungmasse, einfach ein Traum. Und das Verrückteste: das Auto ist eigentlich ganz einfach zu Fahren. So einfach, dass man bereits nach dreivier Runden locker einen Drift am Kurvenausgang hinlegt, ohne Achselnässe zu bekommen. Unvergessen, eigentlich unbeschreiblich und ganz sicher: unbezahlbar.

Und ja, dann, kurz vor Ende meiner Journalisten-Zeit kam er dann. Der beste Elfer aller Zeiten. Ich hätte nie gedacht, dass es ein Auto gibt, welches mich mehr faszinieren würde als der Porsche 911. Und doch hat es ein Fahrzeug geschafft. Natürlich war es auch ein Porsche, aber er hörte auf den Namen Cayman GT4. So, und nur so, hatte ich mir den Nachfolger der mittlerweile etwas fettleibig gewordenen Ikone vorgestellt. Echt, hätte man mir beide Autos hingestellt – ich hätte den Elfer auf dem Parkplatz zurückgelassen (Foto wieder typähnlich…).

Und heute? Nach der Spritztour mit dem aktuellen Modell muss ich gestehen: ich bin für den 911 geboren. Nach Jahren der Abstinenz setz ich mich rein, fahre los und fühle mich: geborgen. Ich weiss genau, was das Auto kann, obwohl ich es vorher noch nie gefahren bin, ich weiss genau, wie es sich anfühlen muss, wenn man schnell ist, und ich weiss auch haargenau, wann es etwas eng werden könnte. Es ist unfassbar, wie man es in Zuffenhausen geschafft hat, diesen Kern des Modells zu erhalten. Klar, er ist mittlerweile echt schwer, und der Retro-Tourenzähler zusammen mit den Käfer-Blinkeranzeigen sowie dem dazu passenden Geräusch wirken fast schon peinlich. Aber das ist nur Optik. Im Innern ist der Elfer auch mit Turbo-Sechszylinder ein wunderbares, faszinierendes Automobil geblieben. Eines, dass ich mir nie leisten konnte und nie leisten können werde. Aber genau daraus sind Mythen gemacht.

Die meisten Photos hier stammen von Dirk-Michael Deckbar, mit dem ich immer gerne zusammengearbeitet habe. Mehr Porsche gibt es im Archiv.

Der Beitrag Mythos Porsche 911 erschien zuerst auf radicalmag.