Open Menu
Open Menu
 ::

Cadillac V-16

Published in radical-mag.com

In aller Ruhe

Am 7. Dezember 1929, nur wenige Wochen nach dem «schwarzen Freitag» (der übrigens ein Donnerstag war) an der New Yorker Börse, kündigte Cadillac am Radio ein neues, grossartiges Fahrzeug an. Gleichzeitig informierte Cadillac-Boss L.P. Fisher seine Händler per Post – um was genau es gehen würde, das stand in seinem Brief allerdings nicht. Am 27. Dezember 1929 war dann Bescherung für die Auto-Welt, im Cadillac-Werk in Detroit wurde der Schleier gelüftet. Fisher persönlich hob den Vorhang von einer Landaulet Imperial mit Fleetwood-Karosse – und einem 16-Zylinder-Motor. Ja, einem Motor mit 16 Zylindern.

Doch schauen wir zuerst kurz zurück. Es ist wieder eine dieser Geschichten, wie sie nur das pralle Leben schreiben kann. Henry M. Leland, geboren 1843, war einer dieser amerikanischen Pioniere mit Rauschebart, die Grossartiges vollbrachten, aber trotzdem immer wieder scheiterten. Leland hatte beim Pistolen-Hersteller Colt als Mechaniker gearbeitet – und er begann schon um 1870 an einem ersten Motor zu basteln. Dieses Aggregat sollte später das erste einigermassen erfolgreiche amerikanische Automobil antreiben, den ab 1901 in Serie hergestellten Oldsmobile Dashed Curve. Den gleichen Einzylinder-Motor brachte er 1902 auch zur Henry Ford Company. Doch die beiden Henry hatten bald Ärger miteinander, Ford verliess seine eigene Firma (und erhielt dafür 900 Dollar), Leland baute seinen Einzylinder in das von Ford entwickelte Auto ein – und nannte die Firma ab sofort Cadillac.

Cadillac war das Beste, was es in dieser Frühzeit des Automobils in den USA zu kaufen gab. Das wusste auch William C. Durant, der 1908 das Konglomerat General Motors gegründet hatte: am 29. Juli 1909 kaufte Durant Leland Cadillac für 4,5 Millionen Dollar ab. Leland blieb noch bei Cadillac bis 1915, dann verliess er sein eigenes Werk im Grimm, denn er wollte für die amerikanische Armee Flugzeug-Motoren bauen, doch Durant war ein strikter Pazifist und verweigerte Leland dieses Projekt. Leland trieb 10 Millionen Dollar auf, gründete eine neue Firma, die Lincoln Motor Company, und baute die V12-Liberty-Motoren. Nach dem 1. Weltkrieg stellte er sofort um auf die Herstellung von luxuriösen Automobilen – und hatte nicht ganz den Erfolg, den er erwartet hatte. 1922 war Lincoln insolvent – und die Ford Motor Company war zur Stelle. Henry Ford, der sich nur zu gut an Lelands Rolle im Jahr 1902 erinnern konnte, bot 5 Millionen Dollar für das Unternehmen, das mindestens 16 Millionen Wert hatte allein mit seinen Produktionsanlagen und Immobilien; ein Richter verfügte, dass Ford 8 Millionen zu bezahlen hatte. Am 4. Februar 1922 wurden die Verträge unterschrieben. Dies aber nur so am Rande, mehr zu Lincoln erzählen wir anderswo.

Auch ohne Henry Leland und seinen Sohn hatte sich Cadillac über die Jahre prächtig entwickelt. Bis in die 20er Jahre war die Marke in der automobilen Oberklasse ziemlich allein, ein paar wenige Europäer konnten mithalten, doch das kümmerte die Amerikaner wenig, sie verkauften in einem Monat so viele Autos wie Hispano-Suiza, Rolls-Royce, Isotta-Fraschini und Bugatti zusammen in einem Jahr. In den 20er Jahren gab es dann aber auch in den USA einige Konkurrenten, die Cadillac die Schlagsahne auf der Torte nicht ganz allein überlassen wollten, Packard etwa, Pierce-Arrow, Franklin, Marmon und natürlich auch Lincoln. Vor allem Packard machte Cadillac zu schaffen. 1926 beschloss die Plüschetage von General Motors, dass jetzt dringend etwas geschehen müsse, Cadillac lief Gefahr, ins Hintertreffen zu geraten. Verschiedene Möglichkeiten wurden diskutiert, zum Beispiel: ein Viergang-Getriebe. Und: aufgeladene Motoren (wie sie Duesenberg schon hatte). Mehr Hubraum für den vorhandenen V8, oder eine höhere Verdichtung. Doch die Entscheidung fiel bald: mehr Zylinder mussten her.

Der Auftrag für die Entwicklung des neuen Motors wurde Owen Milton Nacker übergeben. Bis 1926 war dieser beim Cadillac-Konkurrenten Marmon beschäftigt gewesen, vorher hatte er an einem Motor gearbeitet, der ihn wahrscheinlich zum Cadillac-V16 inspirierte: dem Bugatti U16. Diese gewaltige Maschine hate Ettore Bugatti schon 1915 konstruiert, indem er zwei Reihen-Achtzylinder aneinander koppelte. Der Motor hatte deshalb auch zwei Kurbelwellen, deren Karft über mehrere Zwischengetriebe in einer einzigen Antriebswelle mündeten, was aus dem eh schon komplizierten Gebilde zwar eine wahre Höllenmaschine machte, die sich aber trotzdem noch beherrschen liess. Trotzdem hatte Bugatti 2000 Stück davon an die amerikanische Regierung verkaufen können, die als Flugzeugmotoren eingesetzt werden sollten. Duesenberg hatte den Auftrag erhalten, doch liess sich bei der Feinabstimmung so viel Zeit, dass der 1. Weltkrieg schon vorbei war und die Amerikaner diese Motoren gar nicht mehr brauchten.

Nacker entwickelte seinen Motor vollkommen im Geheimen. Selbst seine engsten Mitarbeiter wussten anscheinend nicht, was er bastelte – er sprach gern von einem Lastwagen-Motor. Was er konstruierte, war eine technisch relativ einfache Lösung. Bohrung und Hub blieben im Vergleich zum vorhandenen Cadillac-V8, der sicher einer der besten Motoren jener Zeit war, mit 76,2 x 101,6 Millimeter in einem noch vernünftigen Rahmen, auch der Hubraum von 7404 ccm war nicht exorbitant (diese 452 cubic inch gaben dem neuen Modell dann auch gleich seinen offiziellen Namen). Trotz der relativ geringen Kompression von 5,5:1 wurde eine maximale Leistung von 165 PS erreicht; das maximale Drehmoment lag bei etwas über 300 Nm. Zu dieser hohen Leistungsausbeute, die den Cadillac zum zweitstärksten Motor hinter der Duesenberg-Maschine machten, trugen auch die hängenden Ventile bei, die aber hauptsächlich deshalb verwendet wurden, um einen besseren Zugang bei Reparaturen zu gewährleisten. Diese Ventile waren mit hydraulischen Dämpfern ausgerüstet, die den Geräuschpegel auf ein vorher nie erreichtes Niveau brachten.

Interessanterweise handelte es sich beim Cadillac-V16 um einen doppelten Reihen-Achtzylinder; interessant deshalb, weil Cadillac sich lange Jahre gegen den Bau von Reihen-Motoren gewehrt hatte. Das Triebwerk, das in einem 45-Grad-Winkel gebaut war, verfügte über eine sehr kurze, fünffache gelagerte 2-4-2-Kurbelwelle, die ohne grossen Aufwand ausbalanciert werden konnte. Es konnten sowohl bei der Konstruktion wie auch der Produktion viele vorhandene Teile des V8 verwendet werden, was die Stückkosten senkte und den Unterhalt erleichterte, auch wenn der V16 natürlich bedeutend mehr Aufmerksamkeit brauchte als der sehr robuste Achtzylinder. Weitere Unterschiede zu den «kleineren» Cadillac bestanden im verstärkten Rahmen, dem doppelt geführten Auspuff-System, dem grösseren Kühler, der längeren Antriebswelle, der verstärkten Kupplung den schwereren Federn und den vergrösserten Bremsen, die zudem von einer Vakuum-Hydraulik unterstützt wurden. Da General Motors Ende der 20er Jahre bereits über ein eigenes Testgelände verfügte, konnten Hunderttausende von Testkilometern unter Ausschluss der Öffentlichkeit gefahren werden. Auch bei der Gestaltung der V16-Karosserien herrschte völlige Geheimhaltung. Das war nicht unbedingt ein Problem, weil der verantwortliche Designer Ernest Scherbera von Fleetwood kam, einem Unternehmen, das ebenfalls zum GM-Imperium gehörte.

Die Series 452 wurde im Januar 1930 vorgestellt, und man weiss, dass damals gerade einmal drei Fahrzeuge fertig waren; der erste gebaute 16-Zylinder war ein Landaulet Imperial. Bis Ende 1931 gab es dann allerdings über 50 verschiedene Karosserie-Varianten, alle von Fleetwood, mit einer einzigen Ausnahme, ein Coupé von Fisher (wahrscheinlich die Chassisnummer 2904). Ab 1931 wurden die Karosserie-Formen wie folgt aufgeteilt: 4100 Madame X, 4200 Carriage-Stil (Fahrzeuge mit Trittbrettern), 4300 Standard, und noch einmal 4300 Pennsylvania. Man merkt schon in dieser Aufzählung, dass ein eigentliches Chaos herrscht, und es gab diverse Fleetwood-Entwürfe, die eine Bestell-Nummer hatten, aber (wahrscheinlich) nie gebaut wurden. Und was, bitt’schön, bedeutet «Madame X»? Man weiss nicht, wie Chefdesigner Harley Earl auf diesen Namen kam, doch es gab Anfang der 20er Jahre in den USA ein bekanntes Theaterstück, das diesen Namen trug (und später mit Lana Turner in der Hauptrolle verfilmt wurde).

Was aber klar ist: der Cadillac-V16 war sicher der feinste Motor jener Jahre – und er gilt noch heute als eine der grossartigsten Motor-Konstruktionen überhaupt. «Das lauteste Geräusch, das man bei einem Cadillac-Sechzehnzylinder im Leerlauf vernehmen kann, ist das Zünden der Kerzen», schrieb ein gewisser John Bond damals, «und beim Fahren hört man höchstens das Ansauggeräusch der mächtigen Lufttrichter.» Nicht ganz so überzeugend war der Benzinverbrauch, ein Journalist beschrieb, «auf den 20 Meilen von Cannes nach Nizza verbrauchte der Wagen fünf Gallonen» – das wären dann gut 60 Liter… Auch die Fahrleistungen wurden immer wieder kritisiert, vor allem in Europa. Dort wurde der Cadillac mit den feinsten Sportwagen verglichen, die es damals gab, etwa mit dem 8-Liter-Bentley sowie so genannten «speed models», speziell für Fahrleistungs-Messungen präparierten Fahrzeugen, einem Hispano-Suiza V12, einem Rolls-Royce Phantom II. Cadillac machte bei diesem Wettrüsten aber nicht mit, man sah in Detroit die Series 452 ja nicht als Rennwagen, und die Höchstgeschwindigkeit von etwa 150 km/h mit der längsten lieferbaren Übersetzung (4,07:1) war durchaus beachtlich. Ausserdem war der Antrieb ja auf Durchzug ausgelegt, und da konnte dem Cadillac niemand das Wasser reichen, mit Ausnahme des Duesenberg. Und vielleicht der Marmon 16 (eine 8-Liter-Maschine, etwa 200 PS, komplett aus Aluminium konstruiert), doch von diesem wunderbaren Wagen wurden innerhalb von drei Jahren nur gerade 390 Exemplare hergestellt (und auch davon werden wir noch erzählen…).

1934 verordnete Cadillac seinem Top-Modell mehr Leistung, der V16 erreichte ohne nennenswerte konstruktive Eingriffe dann 185 PS bei 3800/min (er drehte aber locker und auch unter Dauerbelastung über 4000/min); einige speziell präpapierte Fahrzeuge sollen auch 250 PS erreicht haben. Nicht vergessen werden soll in diesem Zusammenhang aber auch, dass Owen Nacker aus dem V16 auch gleich noch einen V12 «gebastelt» hatte, 6 Liter Hubraum, etwa 135 PS. Und weil dieser Motor deutlich geringere Abmessungen hatte, liess er sich auch die klassischen V8-Chassis einbauen – diese deutlich leichteren Fahrzeuge erreichten ausgezeichnete Fahrleistungen, für den sportlichen Fahrer waren sie die bessere Wahl als der «Sixteen». Ab 1934 verfügte die Series 452 dann über eine vordere Querlenker-Einzelradaufhängung, was das Fahrverhalten deutlich verbesserte. Sogar an einer Servolenkung sowie an einem automatischen Getriebe arbeitete Cadillac damals schon, doch die V16 kamen nicht in den Genuss dieser bahnbrechenden Erfindungen, sie wurden damals noch nicht als serienreif erachtet. 1936 lief bei Cadillac dann ein neuer V8 vom Band, der mit seinen 5,7 Litern Hubraum und 135 PS ein so gutes Angebot war, dass die V16 und V12 so ein bisschen alt aussahen.

1930/31 wurden insgesamt 3250 Cadillac mit dem V16 gebaut – von welchen Aufbauten wie viele Fahrzeuge entstanden, das ist dann eine Doktorarbeit. Man weiss genau, wohin die Series 452 ursprünglich verkauft wurde, so gingen in den ersten zwei Jahren 571 Stück nach New York, 247 nach Chicago, aber auch 18 nach Berlin und 13 nach Madrid. 1932 wurden noch 296 16-Zylinder gebaut, 1933 noch 125, 1934 waren es gerade noch 56, 1935 noch 50. Im Jahr 1936 wurde die Series 452 in Series 90 umbenannt, 52 Stück wurden gebaut, 1937 waren es dann noch 49 Exemplare. Insgesamt wurden also 3878 Exemplare hergestellt (für die allerdings 4425 Serienummern verwendet wurden…).

Und dann, 1938, entschied sich Cadillac zu einem radikalen Schnitt: der 16-Zylinder wurde nicht aufgegeben, sondern komplett neu konstruiert. Doch das ist dann eine andere Geschichte, die wir selbstverständlich auch noch erzählen werden. Irgendwann. Mehr schöne Amerikaner haben wir in unserem Archiv.

Der Beitrag Cadillac V-16 erschien zuerst auf radicalmag.