Ferrari 488 Spider
Besserwisser
Die Zwangsbeatmung. Selbstverständlich wollen und werden wir die Diskussion immer wieder und weiterhin führen. Selbstverständlich sehen wir die Vorteile, mehr Leistung aus kleineren (und folglich leichteren) Motoren, mehr (und einfacher zu kontrollierendes) Drehmoment, zumindest gemäss geltender Normen und folglich auf dem Papier ein geringerer Verbrauch. Das macht in manchen automobilen Bereichen Sinn, bei Lastwagen etwa, bei Dieseln ganz allgemein ebenfalls, auch bei kleinen Benzinern. Gegen die Turbos, die unterdessen ja meist paarweise auftreten, spricht der im richtigen Leben höhere Verbrauch, die verzögerte Leistungsentfaltung, die kümmerliche Geräuschentwicklung; gerade die beiden letzten Punkte gereichen bei Sportwagen nicht unbedingt zur Freude.
Einst hätte man auch noch anführen können, dass die Zwangsbeatmung ein technisch relativ einfaches, aber dafür brachiales Mittel zur Leistungsverbesserung ist, doch die Zeiten haben sich geändert, die Ingenieursleistungen sind auch bei den Turbos unterdessen auf höchstem Niveau. Porsche zeigt beim «echten» Turbo ja schon seit längerem, dass da viel Potenzial in der Maschine steckt – und hat beim jüngsten Up-date nochmals massiv zugelegt (siehe: Test Porsche 911 Turbo S). Doch auch die neuen «kleinen» Turbo sind ganz anständig (Fahrbericht Porsche 911 Carrera 4S kommt bald…); luftgekühlt ist aber immer noch besser.
Bei Ferrari ist das ein bisschen anders. Natürlich kamen auch schon Turbo aus Maranello, F40 als glorioses Beispiel, und der Carlifornia T ist prinzipiell auch kein Nasenbohrer. Doch dann, wenn wir nicht von einstigen Grössen und aktuellen Cruisern schreiben, sondern von echten Sportwagen, bei denen der pure Fahrspass im Vordergrund stehen muss, da hatten wir vor der ersten Ausfahrt mit dem neuen 488er schon so ein paar Zweifel. Dies sicher auch deshalb, weil wir die ultimative Form des 458 als «Speciale» als den wahren Gipfel der Fahrfreude, wie wir sie verstehen und lieben, kennenlernen durften. Und schätzen und lieben. (Wir werden die Fahrberichte von California T und 458 Speciale von unserem früheren Site mal noch nachreichen…)
Nun hat man aber in Maranello wohl ein bisschen besser verstanden als bei allen anderen Herstellern, dass es nicht angeht, der Maschine einfach ein paar Lader einzupflanzen – und gut ist. Es war den italienischen Ingenieuren von Anfang an bewusst, dass an der Charakteristik eines Sportwagen-Motors nichts verändert werden darf, sprich: extrem spontane Gasannahme, turbinenartiges Hochdrehen, hohe Drehzahlen, guter Sound. So etwas wie ein Turboloch wäre der Tod. Und deshalb haben sie in Maranello sich gerade in der gesamten Umgebung der Zwangsbeatmung besonders viel Mühe gegeben, zusammen mit den japanischen Spezialisten von IHI die Lader so entworfen, dass sie über exakt längengleiche Krümmerrohre angeblasen werden können. Und dann natürlich: Elektronik. Jede Menge Digitales achtet darauf, dass der Pilot nie das Gefühl hat, in einem aufgeladenen Fahrzeug zu sitzen, «torque mapping» heissen die Zauberworte, eine Form von perfekt ausgeklügelter Ladedruck-Freigabestrategie, die der Maschine immer das gibt, was sie braucht.
Auf dem Papier ergibt das für den klassischen V8 mit seinen 3,9 Liter Hubraum dann eine maximale Leistung von 670 PS bei 8000/min. Und vor allem ein maximales Drehmoment von 760 Nm bei 3000/min. Letzteres tönt mehr nach dem Wert eines Schiffsdiesel, soll aber nicht falsch verstanden werden; da draussen, im richtigen Leben, wo man auch einen Ferrari nicht dauernd mit dem Messer zwischen den Zähnen bewegen kann, wird man diese Macht schätzen lernen, denn schon knapp über Leerlaufdrehzahl stellt das Aggregat mehr Drehmoment zur Verfügung als sein Vorgänger on top. Und verbraucht, zumindest gemäss Norm, 11,4 Liter auf 100 Kilometern, einen halben Liter weniger als der 458 Speciale. Dem er in Sachen Fahrleistungen nicht nachsteht, 3 Sekunden für den Sprint von 0 auf 100 km/h, 8,3 Sekunden auf 200, oben ist bei 330 km/h dann Ende Feuer. Ach ja, wir plaudern von 1370 Kilo, ganz, ganz leer allerdings und als Coupé; unser 488 Spider wiegt dann nach EU-Norm schon noch mehr so grossartige 1525 Kilo.
Nun wollen wir aber doch endlich zum Punkt kommen, das Vorspiel war ja doch länglich. Wie fährt er sich denn nun also, der 488er-Ferrari mit dem Turbo? Sagenschreiben wir es einmal so: gut. Und wer «radical» so ein bisschen kennt, der weiss jetzt schon, dass wir nicht ganz so restlos begeistert sind wie alle andern Medien, die den zwangsbeatmeten Italiener schon in den Himmel gelobt haben. Aber das müssen wir jetzt so ein bisschen im Detail beschreiben, denn das Grosseganze, das ist bestens, besser als jeder andere Turbo, den wir bisher fahren durften, also inklusive dem ganz neuen 911 Turbo S (Testbericht: hier) und auch den feinen McLaren. Doch der Teufel, wir wissen es, sitzt halt dort in den Kleinigkeiten.
Zuerst die Lobhudelei. Das Ansprechverhalten des Aggregats ist höchst erfreulich, Ferrari hat 0,06 Sekunden Verzögerung zwischen Tritt aufs Fahrpedal und Reaktion der Maschine gemessen, das ist eine Zeitspanne, die der Mensch gar nicht spüren kann. Wir wissen vom 458 Speciale und auch von der F12 berlinetta, dass die Sportwagen aus Maranello in diesem Bereich wirklich «benchmark» sind, man denkt etwas, der Wagen setzt es sofort um; das gilt auch für den 488. Und selbstverständlich auch für die unglaublich präzise Lenkung sowie die wunderbaren Bremsen, die hervorragend zu dosieren sind – und so richtig den Anker werfen, falls Bedarf besteht. Wir lieben das Fahrwerk, das auch auf den teilweise miserablen italienischen Strassen immer Herr der Lage bleibt; der Ferrari ist erfreulich komfortabel, tut aber auch bei sehr flotter Kurvenfahrt eine mittlere Ewigkeit lang keinen Wank. Ja, auch da hilft jede Menge Elektronik, doch das muss heute so sein – und ehrlich, honey, wer könnte 670 PS und 760 Nm nur an der Hinterachse allein mit dem feinen Füsschen im Griff haben?
Denn es geht: jenseitig. Wenn man den 488er so bewegt, wie man einen Sportwagen bewegen soll, ihn also nicht im 7. Gang durchs Dorf würgt und dann erwartet, dass er ausserorts abgeht wie die sprichwörtliche Sau, der wird immer genügend Leistung und Kraft zur Verfügung haben; mehr als beim Sauger, souveräner sogar – und schön hochdrehend bis 8000/min. Allerdings: die Leistungsentwicklung ist sehr, sehr linear, es läuft nicht auf einen Höhepunkt hinaus, sondern wirkt halt irgendwie – klinisch. Alles schönst kontrolliert. Das weiter verfeinerte 7-Gang-Doppelkupplungsgetriebe hat dafür immer den perfekten Anschluss bereit, sowohl hoch wie auch runter, da dürfen es vor der Kurve auch einmal drei Gänge sein; da müssen wir Ferrari ein Kränzlein binden, das Getriebe kommt zwar ursprünglich von ZF, doch wie sauber sie das in Maranello an die Bedürfnisse ihres Wagens angepasst haben, da könnte manch ein feister Premium-Hersteller noch etwas lernen. Was nicht ganz so fein ist: da zuckelt man durchs Dorf, auf eine Kreuzung zu, sieht, dass die Gasse leer ist – und dann hat der Turbo hin und wieder etwas Mühe mit der Gasannahme, verschluckt sich. Kann vorkommen, müsste aber nicht.
Es bleiben uns noch ein paar Worte zur Geräuschentwicklung. Auch da, das ist ja wirklich nett und gut, sicher viel besser als bei den Sportwagen aus Stuttgart, das italienische Teil kreischt dann schon, wenn es gefordert wird. Aber es ist auch da, sagen wir mal: geil ist anders. Irgendwie wird man das Gefühl nicht los, der Ferrari ist auf jedem Millimeter des Weges irgendwie kontrolliert, macht genau das, was die Algorithmen für ihn als passend berechnet haben. Wirklich, das ist grossartig, das ist fantastisch, wir haben es hier wohl mit dem besten Turbo-Sportwagen der Gegenwart zu tun. Aber es ist trotzdem Turbo und Elektronik allerorten und «big brother is watching you», überall. Ferrari nähert sich immer mehr der Perfektion – die Frage darf so ein bisschen sein, ob das wirklich nötig ist. Wenn der Klassenbeste dann auch noch am besten aussieht und die coolsten Klamotten trägt und am Sporttag abräumt und alle Mädels abgreift und überhaupt alles besser weiss, dann hat er wohl kaum mehr Freunde. Und wir verstehen, dass die Preise für den 458 Scuderia gerade durch die Decke schiessen…
In Sachen Design ist der 488 offensichtlich ein 458 Evoluzione, da wurde mehr verbessert als verändert. Doch auch da muss man die Italiener halt schon beglückwünschen, das ist alles elegant gemacht und sauber; so ein Turbo braucht ja mehr Luft, doch die wird ihm sehr unaufällig zugeführt. Dass dabei die Aerodynamik und auch der Anpressdruck noch besser wird, das ist ganz hohe Schule; dass es dafür keinerlei Spoiler braucht – bewundernswert. Was genau innen passiert ist, wissen wir im Detail jetzt auch nicht, aber wir fühlten uns im 488er wohler als im 458er, die Sitze passten irgendwie besser.
Ach ja, wir waren mit dem Spider unterwegs. Der ist feinst, von Verwindungen oder solchem Zeug verspürten wir rein gar nicht, die fehlenden 10 km/h bei der Höchstgeschwindigkeit haben uns nicht gefehlt, irgendein Zehntel bei Paradesprint auch nicht. Ob man für ein wenig frische Luft noch rund 25’000 Franken auf den schon satten Basispreis von knapp 250’000 Franken aufzahlen will, das muss der potenzielle Käufer selber wissen; heute ist der Kauf eines Ferrari ja immer auch ein mögliches Investment, und Spider bringen eigentlich immer mehr als Coupé.
Ja, mehr Ferrari haben wir in unserem Archiv. Und wir geben der geneigten Betrachterin, dem Betrachter hier noch ein Video, ungeschnitten (wir lernen noch…), von einer kleinen Bergfahrt. Und eine Betrachtung von aussen. Und eine Betrachtung von aussen mit offenem Dach. So, das wars nun aber endgültig. Wir bedanken uns für Ihre Aufmerksamkeit – sollten Sie mit unserem Service zufrieden gewesen sein, dürfen Sie uns gerne weiterempfehlen.
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