Porsche 911 Turbo S
Übers Ziel
Es ist ja nun etwas schwieriger geworden im Porsche-Programm, auch die 911 Carrera verfügen ja unterdessen über Turbo-Motoren. Doch der «911 Turbo» bleibt das Sahnehäubchen im Programm, ist noch ein Stufe höher angesiedelt, sowohl, was die Leistung betrifft, als auch preislich. Den 911 Carrera (mit Turbo) gibt es ab 116’400 Franken, für den 911 Turbo müssen mindestens 209’200 Franken berappt werden. Beim unserem Testwagen handelt es sich zudem um einen 911 Turbo S mit einem Basispreis von 246’600 Franken, der mit ein paar wenigen Extras dann auf die Kleinigkeit von schwindelerregenden 258’320 Franken kommt. Damit sei das Thema Geld auch gleich abgehandelt, die Frage, ob der Wagen seinen Preis auch wert ist, muss sich der potenzielle Kunde selber stellen. Wobei er (oder sie) sich, angesichts der unfassbaren Hausse bei den Preisen von «gebrauchten» Porsche, wohl auch gleich noch die Frage stellt: ist das auch noch ein gutes Investment?
Erst kürzlich haben die Stuttgarter den 911 Turbo also erneuert. Exakt zwanzig PS legen die beiden Spitzen der Elfer-Baureihe zu, 540 PS demnach für den «normalen» Turbo und schon ziemlich arge 580 PS beim Turbo S. Möglich machen das eine neue Gestaltung der Einlasskanäle, neue Einspritzdüsen und einer höherer Kraftstoffdruck. Am Turbo S haben sie ausserdem den Turbolader gleich ganz neu konstruiert und ihn dabei auch noch ein Stück grösser gemacht. Dass sie bei Porsche vielleicht ein wenig übers Ziel hinaus geschossen sind, zeigt der Blick auf die Fahrleistungen. Mit 2.9 Sekunden notiert der Turbo S für den Paradesprint; icht nur genug, um die hauseigene Konkurrenz in Form des überragenden GT3 RS zu panieren, nein, es werden gleich noch Lamborghini Aventador LP700 und Ferrari F12berlinetta vollstreckt. In der Spitze holen die italienischen Supersportler den Turbo dann zwar wieder, 330 km/h sind aber dennoch ein Wort – und ein dutzend Kilometer pro Stunde mehr, als es der Vorgänger schaffte. Im kleinen Turbo sind es bloss 320 in der Spitze.
Damit ist natürlich noch längst nicht genug an Neuerungen. Es gibt eine neue Dynamic Boost-Funktion gegen das ärgerliche Turboloch, beim kurzen Gaslupfen versiegt einfach nur die Kraftstoffquelle, während Kolben weiter fröhlich ansaugen und die Luft zu den Ladern schaufeln. Die hochklassige Die Schleuder-, Stabilitäts- und Spasskontrolle PSM kann nun analog zu neuen Carrera nicht nur digital an- und ausgeschaltet werden, nein, nun gibt es auch für den Turbo den Sport-Modus, in dem das Zügel gelockert, der Drift eingeleitet und der Einschlag dennoch verhindert werden kann. Weiter wäre da der «Sport Response»-Knopf am Lenkrad, der in Zusammenarbeit mit dem serienmässigen Sport Chrono-Paket alle Systeme auf «extra scharf» schaltet. Und er bietet mit einem stark überarbeiteten PASM-Fahrwerk noch mehr Komfort als bislang (wobei: über fehlenden Komfort hatte sich nie jemand beklagt), die aktive Wankunterdrückung PDCC reagiert noch sensibler.
Er ist also ein Höhepunkt an Ingenieurs-Leistungen, der 911 Turbo S, ein wahres Wunderwerk der Technik. Und wenn man solches schätzt, auch versteht, was es alles braucht, damit das Zusammenspiel der einzelnen Komponenten sich zu einem grossartigen Ganzen fügt, dann verharrt man schon ein wenig mit Respekt vor diesem Fahrzeug. Wahrscheinlich gibt es derzeit kein anderes Automobil, das die technischen Möglichkeiten derart perfekt und präzis ausschöpft wie dieser Porsche. Dass er dazu noch für die Ewigkeit gebaut ist, also in Sachen Verarbeitung und Qualität kaum mehr zu übertreffen, versteht sich bei Stuttgartern von selbst. Innen ist es, wie es innen schon immer war, da bewegt man sich zu Stuttgart nicht mehr wirklich; ob ein Navi, das online nach dem Ziel sucht, der Weisheit letzter Schluss ist, wagen wir stark zu bezweifeln.
Nun aber will man solchen einen Wagen auch bewegen. Das ist sein Sinn, sein Zweck. Und man erinnert sich daran, dass solche 911 Turbo, einst, ziemliche Biester sein konnten. Das heute ist heute anders, ganz anders, auch im Stadtverkehr ist der stärkste 911 völlig handzahm, kein Ruckeln, kein Schieben, er rollt einfach vor sich her. Gut, breit ist er geworden, adipös um die Hüften, aber es hat ja auch jede Menge Piepsereien, die dem Piloten im engen Parkhaus helfen. Durchs Städtchen gleitet er wie ein Kätzchen, über schön geschwungene Landstrassen mit der Leichtigkeit einer – ach, wir wissen es jetzt auch nicht so recht, denn wirklich leicht ist der Stuttgarter ja nicht, es kommen mit aller dieser technischen Brillianz halt fast 1,7 Tonnen zusammen. Doch gerühmt sei der Komfort, das ist wirklich absolut souverän, fühlt sich an wie in einer Oberklasse-Limousine. Und wenn man dann mit 80 km/h durch die Landschaft rollt, im 7. Gang, dann kommt auch das Ohr nicht auf die Idee, dass es sich hier um einen der potentesten Sportwagen überhaupt handeln könnte.
Und damit fangen dann die Fragen an. Gut, der Turbo (also: der echte Turbo) war in Sachen Geräuschentwicklung noch nie der Brüller. Mehr so: ein Staubsauger. Ja, das mögen gewisse Zeitgenossen sehr schätzen, der Auftritt bleibt diskret, zurückhaltend, doch das geht ja auch in einem Prius oder Tesla. Es ist eben auch kein schöner Sound, den der Porsche von sich gibt, mehr so: ein Wimmern. Das wird auch über 4000/min nicht viel besser, und da fragt man sich dann schon, wohin die Stuttgarter all die wilden Pferde versteckt haben. Und: warum?
Was dann gleich die nächste Frage aufwirft: für welche Kundschaft hat Porsche dieses Fahrzeug konstruiert? Gut, in der Schweiz erübrigt sich die Frage sowieso, man lächelt einmal das Fahrpedal kurz an – und schon ist man in Geschwindigkeitsbereichen, bei denen der Gesetzgeber gar keinen Spass mehr versteht; hierzulande hat man besser immer den linken Fuss auf der Bremse parkiert. Auch auf die Rennstrecke will man mit dem Wagen nicht, sein Allradsystem ist zu perfekt abgestimmt, um auch nur einen Hauch von Fahrspass aufkommen zu lassen – und man bewegt sich in Tempi, die dann wirklich gefährlich sind, falls das Auto seinen Piloten nicht mehr kontrollieren und elektronisch einbremsen kann.
Es geht hier nicht um autonomes Fahren, sondern um die Macht der Computer, die alles einberechnen vom Grip über das Wetter bis hin zum Fahrvermögen des Lenkers, die dann innert Tausendstelsekunden die optimale Konfiguartion wählen können und auch höchst zielgerichtet umsetzen. Selbst der Driftwinkel ist vorprogrammiert, je nach gewähltem Fahrmodus; man kann den Pinsel voll durchtreten, das Fahrzeug schaut dann schon, dass alles gut kommt. Denn auch wenn Mut und Talent und Erfahrung des Piloten schon durch manche harte Probe gegangen sind – der Porsche 911 Turbo S kann es besser, viel besser. Ja, man kann alle elektronischen Helferlein ausschalten, aber dann: viel Vergnügen, wir würden das nicht einmal auf der Rennstrecke mit reichlich Sturzraum empfehlen. Natürlich: hervorragendes Fahrwerk, unfassbar gute Bremsen, alles nur vom Allerbesten.
Es gibt eigentlich nur ein Revier, in dem der 911 Turbo S seine Stärken ausspielen kann: die deutsche Autobahn. Wahnsinn, wie schnell er auf 300 km/h ist – und noch viel wahnsinniger, wie brutal er sich auch aus diesen Tempi einbremsen lässt. An Souveränität ist er auf der Autobahn wohl nicht zu übertreffen, andere Sportwagen machen dann das ganz grosse Theater – und der 911 Turbo macht sie einfach und ohne mit der Wimper zu zucken: platt. Aber, und ja, da haben wir schon ein Aber: so what? Der potentielle 911-Turbo-Kunde ist wohl kaum je morgens um 3, wenn die Gassen leer sind, noch auf der Autobahn anzutreffen, und zur Freundin in Hamburg oder München oder wo auch immer fliegt er wohl eher mit dem Privat-Jet. Und Hand aufs Herz: bei den heutigen Verkehrsverhältnissen ist man einem Diesel wahrscheinlich schneller von Basel in Hamburg als mit dem 911 Turbo S, der gemäss Norm zwar nur 9,1 Liter verbrauchen soll, aber bei artgerechter Bewegung keine 400 Kilometer mit einem Tank schafft. Der ist mit nur 68 Literchen eh ähnlich winzig wie das Kofferraumvolumen von 115 Litern. Ach ja, Verbrauch: unter 10 Litern geht tatsächlich, macht aber keine Freud‘. Über 20 Liter geht auch, aber dann schwitzt man Blut und Wasser und hat dauernd nur Angst um den Führerschein.
Wir wissen es einfach nicht, was uns der Turbo sagen will. So ein 911 Carrera mit Heckantrieb und manueller Schaltung reicht eigentlich völlig; wer Spass will auch auf der Rennstrecke, wird sich einem GT3, vielleicht sogar als RS, zuwenden. Es macht fast ein bisschen den Eindruck, als ob Porsche sein Top-Modell durch die ständigen Verbesserungen an den günstigeren Modellen in einen Erklärungsnotstand gebracht hätte: der 911 Turbo S ist zu perfekt, zu grossartig, zu schnell – und viel zu wenig emotional.
Eigentlich hätten wir auch noch Filmchen gehabt, aber dann ging die Speicherkarte kaputt. Doch wir haben ja noch mehr Porsche in unserem Archiv.
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