Alfa Romeo 4C Spider
Plädoyer
Unten, in den ersten Kurven, bevor es dann endgültig hochgeht zum Julier, haben wir (also der Alfa und ich) noch frischfrommfröhlichfrei so einen PS-Protz vernascht; einverstanden, er fummelte gerade am Handy. Oder an der Beifahrerin, keine Ahnung. Weiter oben, auf der langen Geraden, ist das Selbstdarstellungsprodukt dann wieder an uns vorbeigeknallt, wohl in etwa doppelt so schnell, wie es der Schweizer Gesetzgeber grad noch so übersehen kann. Naja, schnell geradeaus, das kann ja jeder (und ja, wir könnten das Produkt erwähnen, machen wir aber nicht, denn diese Marke findet auf radical nicht mehr statt). Aber in der zweiten Haarnadel hängen wir schon wieder an seinem Heck, äh, ja, nah. Er macht sich breit, der Herr, er ist es ja auch, er hat mehr als doppelt so viele Pferde und drei Mal so viel Hubraum, und nein, beim Herausbeschleunigen haben wir keine Chance, an ihm vorbeizukommen, dafür hat der kleine Italiener einfach zu wenig Spitzenleistung. Und ausbremsen auf der öffentlichen Strasse, was problemlos möglich wäre, gilt irgendwie auch als unfein, zumal wir (also der Alfa und ich) uns so einigermassen an die Geschwindigkeitsbegrenzungen halten wollen. Aber da gibt es ja noch eine andere Möglichkeit…
Selbstverständlich war es dann schon frisch, dort oben auf dem Julier, auf fast 2300 Meter über Meer liegt im Februar ja Schnee. Andererseits gibt es ja kein schlechtes Wetter, nur die unpassende Kleidung dazu, also fuhren wir mit warmer Kappe und dicker Jacke, es schaut beim Alfa 4C Spider ja sowieso niemand ins, sondern alle nur aufs Auto. Ganz besonders dann, wenn es mitten im Winter so bewegt wird, wie man einen Alfa-Spider halt fährt: offen.
Es muss einfach sein. Denn offen ist der 4C, schon als Coupé kein Kind von Traurigkeit, ein noch grossartigeres Erlebnis. Der Sound ist noch unmittelbarer, die Geschwindigkeit wird noch intensiver gefühlt – man ist dem Himmel so nah wie der Strasse. Es kann durchaus geschehen, dass ein Jauchzer der Lebensfreud‘ durchs Gebirge schallt. Denn: der kleine Alfa, 240 PS stark und deutlich weniger als 1000 Kilo schwer, verkörpert derzeit die wohl wahrhaftigste Form von Freude am Fahren. In Zeiten, in denen quasi alle Sportwagen 1,5 Tonnen und meist noch mehr wiegen, in denen ihre 400 PS und auch noch viel mehr nur noch von der Elektronik gebändigt werden können, ist ein Fahrzeug, das die Herrschaft dem Fahrer überlässt, eine wunderbare Ausnahmeerscheinung.
Ja, natürlich verfügt der Alfa auch über ESP und ABS. Aber man kann die Traktionskontrolle auch ausschalten, ohne dass man als Fahrer dann vom Wagen gleich komplett überfordert wird: 240 PS liegen alleweil im Rahmen dessen, was eine geübte Fahrerin, ein erfahrener Pilot noch beherrschen kann. Zwar kommt der Italiener dann durchaus auch einmal quer aus der Kurve (Pirelli Sottozero, also Winterreifen…), doch weil er so leicht ist, die Lenkung von bemerkenswerter Präzision (und ohne Servo!), das Fahrwerk zwar sportlich, aber doch freundlich ausgelegt ist, fällt einem nicht gleich das Herz in die Hose in solchen Situationen. Und man freut sich über die Wendigkeit, die Agilität des Mittelmotor-Italieners, wie spät man das Leichtgewicht abbremsen kann (das Zauberwort heisst wie bei vielen anderen Herstellern auch: Brembo), mit welcher Lockerheit er beschleunigt. Denn 350 Nm maximales Drehmoment, die zwischen 2200 und 4250/min zur Verfüngung stehen, sind nicht von schlechten Eltern, davon zeugen auch die Fahrleistungen auf dem Papier (in 4,5 Sekunden von 0 auf 100 km/h, Höchstgeschwindigkeit 258 km/h). Ja, die fetten Brocken schaufeln doppelt so viele Newtonmeter auf die Räder, doch Kraft ist nicht alles, das wissen wir spätestens seit Arnold Schwarzenegger.
Viel zum Spass trägt das 6-Gang-Doppelkupplungsgetriebe bei. Wahrscheinlich schaffen deutsche Premium-Produkte die Schaltübergänge noch eine Spur sauberer, vielleicht könnten die Italiener noch ein wenig schrauben an der Abstimmung im rein automatischen Betrieb, doch wenn man unten am Julier den Fahrmodus auf «dynamisch» stellt, sich konzentriert auf den Weg, der das Ziel ist, den Gasfuss so weit lockert, wie das er Gesetzgeber gerade noch zulässt, dann ist das Spiel mit den Paddels am Lenkrad ein freudvolles. Ist man zu flott, zu euphorisch gerade beim Runterschalten, dann quittiert das der Alfa mit einem leisen Piepsen, doch in diese Bredouille kommt man eigentlich nur auf der Rennstrecke. Und will man mehr die Landschaft geniessen, dann lässt sich der 4C im Fahrmodus «A» auch ganz entspannt bewegen. Die Insassen werden dann auch nicht abgelenkt durch ein überkandideltes Innenleben des Wagens, es ist alles da, was man braucht. Und mehr nicht.
Erstaunt, ein wenig verwundert auch nimmt man unterwegs auch zur Kenntnis, dass die Italiener die aufwendige Bauweise mit einer teuren Mischung aus Karbon (etwa für das Monocoque) und Alu bestens im Griff haben: offene Fahrzeuge sind ja anfälliger für Verwindungen und eigenartige Geräusche, doch von solchen ist beim Alfa Romeo nichts zu vernehmen oder zu spüren. Was aber sich auch an den kompakten Massen liegt, der 4C ist weniger als vier Meter lang und steht satte 1,87 breit, ein gutes Format, um wie ein Brett auf der Strasse zu liegen. Dabei ist er aber nicht unkomfortabel, die Sitze sind auch für grossgewachsene Mitteleuropäer bestens passend. Wir müssen allerdings zugeben, wir wissen jetzt nicht, wie das mit geschlossenem Dach ist, denn wir sind ihn ausschliesslich offen gefahren. Was auch ein wenig daran gelegen haben könnte, dass die Stoffdachkonstruktion etwas kompliziert ist beim Ab- und Aufbau, Personen mit grosser Campingerfahrung sind da eindeutig im Vorteil. Andererseits: warum sollte man das Dach schliessen wollen? Damen, die um ihre teure Frisur fürchten, passen eh irgendwie nicht in den 4C – das Auto ist in seiner Gesamterscheinung schön genug.
Dick und fett ist er also vor uns. Er hat ja keine Chance, ich zünde mir noch ein Zigarettchen an, während der Herr vor uns wild am Rudern ist; er wird das Hemd dann wechseln müssen, wenn in seinem 5-Sterne-Hotel in St. Moritz angekommen ist, wir können seine Schweissränder quasi riechen. Beim Hinterhergondeln sieht man auch, wie die Elektronik wild arbeit, dauernd regelt, das Ding rutscht hinten so ein klein bisschen weg, steht dann quasi still – und knallt erst 20, 30 Meter nach dem Scheitelpunkt der Kurve wieder los. Ja, wir sind ein bisschen querer in der wunderschönen Landschaft, aber halt locker, fröhlich, rauchend, einen halben Meter am Heck des Boliden, könnten auch noch das Radio neu programmieren oder ein Handy-Update machen. Oben, kurz vor dem Hospiz des Julier, werden die Kurven dann eng, Haarnadeln, ich überleg mir das noch einmal mit dem Ausbremsen, denn, eben, ich hab viel weniger Gewicht und folglich viel weniger Bremsweg. Aber das ist mir zu klassisch. Zu wenig demütigend – ich hab da noch einen anderen Gedanken…
Ab 81’000 Franken ist der Alfa Roemo 4C Spider zu haben. Das ist nicht unbedingt ein Schnäppchen, könnte man schreiben, denn wir haben es ja «nur» mit einem 1,75-Liter-Vierzylinder zu tun, keinen Allrad, keine wilden technischen Spielereien. Doch andererseits wird der vergleichbare Porsche 718 Boxster in Zukunft ja nur noch vier Zylinder haben, andererseits macht etwa ein «quattro»-Antrieb, wie er beim Audi TT zu haben ist, nicht schneller, sondern nur schwerer – und die Konzentration auf das Wesentliche war halt schon immer ein bisschen teurer. Im Gegensatz zu der «Massenware» aus Deutschland hat so ein 4C Spider ausserdem das Zeug zu einem zukünftigen Klassiker. Ganz besonders dann, wenn er mit der Akrapovic-Auspuffanlage bestückt ist, die wir bisher leider erst hören durften. Da ist dann die Frage, ob die Nachbarn noch Freude haben an dieser «Musik», denn schon ein «normaler» 4C ist in Sachen Lärmemissionen eher grenzwertig. Den Alfisti sind genau die Klangwelten aber das, was ihnen das Herz erwärmt. Mir auch.
Innen. Ich glaub, ich mach es: innen. Wenn er wieder so weit ausholt vor der Haarnadel, dann: innen…
Wir, also der Alfa und ich, kehren dann auf der Passhöhe um, fahren noch einmal nach Bivio runter, dann noch einmal den Berg hoch. Im Hospiz wartet der Photograph, wir trinken dann entspannt einen Kaffee, plaudern ein bisschen. Ich erzähle: Der 4C Spider ist gerade als Spider ein Spielzeug, das die Eigenverantwortung weit über die Fahrhilfen stellt – und dafür kann es nicht genügend Lob geben. Man sollte diese ganz wenigen Antithesen zum Gefahrenwerden oder gar der «autonomen Mobilität» noch so lange geniessen, wie es sie noch gibt; ihre Zeit scheint leider abzulaufen. In der gleichen Kategorie wie der Alfa bewegen sich eigentlich nur noch die Lotus – die aber leider nicht einen solchen «beautiful noise» veranstalten wie der Alfa Romeo 4C Spider. Ja, wahrscheinlich wäre so ein neuer Ford Focus RS dort am Berg auch lustig, fröhlich, sicher auch richtigrichtig schnell, doch radical mag das Analoge, will mitdenken, dabei sein, etwas spüren, mit allen Sinnen. Einfach nur den Pinsel runter, pff, das ist Covenience-Food, Lasagne aus der Gefrierkühltruhe im Grossmarkt; ich steh lieber selber in der Küche.
Ach ja: das Thermometer zeigt minus elf Grad an, als wir dann fertig waren mit den Bildern und einem guten Nachtessen im Hotel Post in Bivio. Doch es gibt ja kein schlechtes Wetter – aber dafür mehr Alfa Romeo in unserem Archiv.
Photos: ©Romeo Gross. Unter den Alfisti einer der wahnsinnigsten, wunderbarsten – man beachte seine Website. Und unbedingt: sein Buch.
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