Eilige Drucksache: Mit dem neuen Porsche 911 sind die Vorbehalte gegen den Turbo wie weggeblasen
Wir leben schon in merkwürdigen Zeiten: McDonald’s brät Burger aus Bio-Fleisch und packt sie auf Vollkorn-Brötchen, Coca-Cola lässt den Zucker weg und jetzt mustert Porsche beim Elfer auch noch den Sauger aus. Denn wenn die Schwaben Ende des Jahres zu Preisen ab 94 344 Euro das Update für ihren Bestseller in den Handel bringen, dann werden die vier LED-Punkte fürs Tagfahrlicht genauso nebensächlich wie die Längsrippen hinten auf der Motorabdeckung oder die Rückleuchten mit Tiefenwirkung. Sondern das einzige, was zählt, ist die Umstellung auf Turbo-Motorem: Auch bei Carrera und Carrera S wird dann geblasen statt gesaugt.
Dafür montieren die Scharfmacher künftig in beiden Varianten einen neuen Einheitsmotor mit nur noch drei Litern Hubraum, dem zwei Lader mächtig Druck machen. Porsche-Puristen mögen da Zeter und Mordio rufen und um den Charakter der Ikone fürchten. Doch Motorenchef Jörg Kerner lässt auf diesen Schritt nichts kommen: „Das ist unsere Antwort auf weltweit verschärfte Gesetze bei Verbrauch und Emissionen“, sagt der Leiter der Antriebsentwicklung und verspricht einen Verbrauchsvorteil von bis zu einem Liter. Der sparsamste Porsche 911 braucht deshalb nur noch 7,4 Liter. Aber Porsche geht es nicht nur um Gesetze, sondern auch im Genuss. „Für uns ist die Umstellung auch der Schlüssel zu mehr Fahrspaß,“ sagt Kerner und verweist auf 40 Jahre Turbo-Erfahrung, die nicht zuletzt gerade in einem LeMans-Sieg gegipfelt hat. Außerdem sei das mit dem Downsizing so eine Sache. Ja, der Carrara büßt 0,4 und der Carrera S 0,8 Liter ein. Aber wenn der neue Grundmotor noch immer solide drei Liter Hubraum und natürlich auch weiterhin sechs Zylinder habe, könne man vielleicht von „kleiner“, aber sicher nicht von „klein“ sprechen, verteidigt der Entwickler die Schrumpfkur. Fürs Gefühl verspricht er zudem Drehzahlen bis zu 7 500 Touren und fürs Gehör zwei Direktleitungen aus dem Heck, die das Sauggeräusch vor dem Einsetzen der Turbos in den Innenraum übertragen. „An Emotionen herrscht da kein Mangel.“
Da hat Kerner recht: Sorgen über die Emotionalität des Elfers bläst der Turbo schon mit dem Anlasser aus der Welt. Denn nicht nur von außen klingt der Boxer rau und rotzig wie eh und je. Sondern auch am Steuer hat man den Sound der sechs Zylinder jetzt förmlich direkt im Ohr. Und dass sich in das vertraute Brabbeln bei hohen Drehzahlen das heißere Singen des Turbos mischt – da werden die Porsche-Fahrer bald drauf Pfeifen.
Der Sound intensiv und lebendig wie man es kennt und der Motor mit Drehzahlen bis 7 500 Touren hinreichend lebendig, so bleibt der Elfer ein Pulsbeschleuniger erster Güte. Und auch was den Elan angeht, ist das Update des Stuttgarter Urmeters über jeden Zweifel erhaben. Nicht so sehr die 20 PS mehr Leistung, die der Turbo aus dem kleineren Motor presst und so den Basis-Efler auf 370 und den Carrera S auf 420 PS bringt, machen denn Unterschied. Sondern es sind vor allem die 60 Nm mehr Drehmoment. Zumal die Anzugskraft von 450 Nm im Carrera und 500 Nm im Carrera S jetzt bereits bei 1 700 Touren gipfelt und die Kurve erst jenseits der 5 000 Touren wieder abfällt. Egal wie schnell man gerade fährt und in welchem Gang man ist, kann man jetzt spürbar mehr Leistung abrufen: Ein leichter Tritt aufs Pedal, schon spürt man einen schweren Tritt im Kreuz und geht auf Kollisionskurs mit dem Horizont. Nicht umsonst liegt die Sprintzeit nun im besten Fall bei 3,7 Sekunden und in der schnellsten Konfiguration kommt er Carrera auf 308 km/h.
Das Vergnügen lässt sich mit dem neuen „Sport Response-Button“ noch weiter steigern. Der rote Knopf prangt mitten im neuen Mode-Schalter, den Porsche wie das Manettino von Ferrari ins Lenkrad geschraubt hat, und hat fast eine magische Wirkung. Zwar sieht er ungewöhnlich billig aus und ist nun wirklich kein Handschmeichler. Doch wenn man ihn drückt, dann schaltet die Elektronik alle Systeme scharf und der Elfer fühlt sich an, als hätte er einen tiefen Schluck aus der Flasche mit dem Zaubertrank genommen. Eben noch übermotorisiertes Alltagsauto wird er dann gar vollends zum Rennwagen – zumindest für 20 Sekunden. Länger dauert es nämlich nicht, bis der Timer auf Null gezählt hat und der Porsche wieder in den Normal-Modus zurück fällt. Wer dann am Vordermann noch immer nicht vorbei ist oder vom Rasen partout nicht genug bekommt, der muss halt schnell am Rädchen drehen und von Hand in den Sport-Plus-Modus schalten.
Damit man das nicht nur auf der Geraden genießen kann, hat Porsche dem Carrera noch eine weitere Finesse spendiert: Wie bislang nur den Turbo gibt es jetzt auch die Grundvarianten des 911 mit einer Allradlenkung: Weil sie die Hinterräder um bis zu 2,8 Grad entgegen der Vorderräder einschlägt, wirkt der 911 unter Tempo 50, als hätte jemand den Radstand um 25 Zentimeter beschnitten und fräst entsprechend eng um die Kehren. Fährt man schneller als 80 km/h, lenken die Hinterräder genauso wie die Vorderräder. Damit streckt sich der gefühlte Radstand sogar um 50 Zentimeter und das Auto liegt bei hohem Tempo noch stabiler auf der Straße: Länge läuft – diese Weisheit gilt schließlich nicht nur für die Bootsbauer. Dazu noch einen Zentimeter weniger Bodenfreiheit und das adaptive Fahrwerk – fertig ist der neue King of the Ring, der seinem Vorgänger auf der Nordschleife nicht ohne Grund glatte zehn Sekunden abnimmt.
Eine andere Neuerung hilft vor allem im Alltag abseits der Rennstrecke: Das überarbeitete Porsche Communication Management System. War das Infotainmentcenter bislang noch ein Gruß aus der elektronischen Steinzeit, findet Porsche jetzt auch auf der Datenautobahn den Anschluss und geht mit seinem Navigationssystem endlich online. Außerdem kann man die Ziele jetzt auch per Handschrift eingeben, es gibt ein fahrzeugeigenes WLAN-Netzwerk und die Option auf Apple Car-Play. Und so sehr es Porsche-Puristen stören mag: Vielen Kunden ist die Frage nach dem Betriebssystem für die Smartphone-Integration wichtiger als die nach Saugen oder Blasen. Aber wie schon gesagt, wie leben eben in merkwürdigen Zeiten.