
Automobile aus unserer Leserschaft (2)
Volvo V70 eDrive, 2012
Eine gute Idee, zugetragen von unserem Leser Christian Pachernigg: Leser- und innen beschreiben ihre Automobile. Er macht das hier – und sehr ausführlich – schon zum zweiten Mal, eine erste Geschichte galt seinem Fiat Dino 2400 Coupé. Falls Sie auch mittun wollen, melden Sie sich doch einfach bei: ruch@pruductions.ch.
Weniger ist mehr – oder der Volvo V70 eDrive
Als Überschrift für den Bericht über den Volvo V70 habe ich einen weltbekannten Ausspruch bzw. ein Zitat des Architekten Ludwig mies van der Rohe gewählt, weil ich der Meinung bin, dass das Auto damit treffend beschrieben wird. Mit dem Zitat ziele ich direkt auf den Motor und weniger auf das Fahrzeug als Ganzes. Ja, neudeutsch Downsizing. Also ein Motor mit vergleichsweise wenig Hubraum und durch Turboaufladung zu Leistungen gebracht, die früher Motoren abgaben, deren Hubraum deutlich grösser war. So einen eher „kleinen“ Motor baute Volvo in den V70 ein, der ja jetzt nicht unbedingt der Kleinwagen- oder Kompaktklasse angehört. Das Auto ist 4,82m lang, 1,86m breit und wiegt leer 1714 kg! Der Motor hat 1,6 Liter Hubraum, 115 PS und 270 Nm Drehmoment. Wenn dann der geneigte Interessent die Höchstgeschwindigkeit von 190 km/h und die Beschleunigung von 0 auf 100 km/h mit 11,9 s für die Version mit 6-Gang-Schaltgetriebe im Prospekt erblickt, winkt er müde ab und fragt sich: was soll das?
Allerdings, bei näherer Betrachtung ist die Kombination wohl doch nicht so übel, denn wie ich heute weiss, wurde dieses Auto in Skandinavien und in den Beneluxstaaten gut verkauft. Hier ist die Klientel wohl eher nach der Suche nach Transportvolumen, bequemen Reisen und günstigen Unterhalt als nach Fahrleistungen. In Deutschland, sagte mir ein Volvo-Händler, sei diese Version ein Ladenhüter – allerdings war der erste Besitzer meines Wagens so von dem Auto angetan, dass er seinen Leasingvertrag für das Auto von drei auf vier Jahre verlängerte. Dann stand er allerdings fast ein Jahr bei besagtem Händler und der hatte schon fast die Hoffnung aufgegeben, dass er das Auto wieder vom Hof bekommt… bis ich kam – der eben genau so ein Auto suchte. Eine vier-(früher fünf-)köpfige Familie mit Hund braucht einfach Platz. Und nein, ich will keinen VW-Bus und will nicht Lastwagen fahren! In dieser Disziplin spielt der Volvo seine Stärke voll aus und er fährt eben wie ein „normales“ Auto und nicht wie ein LKW!

Dank der steil stehenden Heckpartie, die meine Tochter zum wenig schmeichelhaften Kosenamen „Leichenwagen“ für den Volvo animiert, transportieren wir keine solchen darin und das Transportvolumen ist wirklich grossartig. Bei Umzügen, z. B. der Kinder wegen Studium, oder der Urlaubsfahrten zeigt der Volvo seine wahre, innere Grösse. Das Gepäckabteil ist wirklich gross, aber bei umgeklappten Rücksitzen entsteht ein Raum wie eine Kegelbahn – über zwei Meter Ladelänge! Da geht ein Bett rein, auch ohne dass man viel zerlegen muss – und die Matratze kommt auch einfach so mit rein. Dank Anhängerkupplung könnte ich auch ins Speditionsgeschäft einsteigen… Das ist aber nur die praktische Seite des Autos. Ja, es ist ein Volvo, ja, manches im Innenraum ist skandinavisch durchdacht und praktisch-schick, aber es ist durch die Edelstahlbauteile auf den ersten Blick ein wenig „kühl“- aber es ist nicht Ikea.

Das Auto eignet sich hervorragend für lange Reisen. Die Ledersitze mit Popogrill sind mehr auf Ergonomie und Bequemlichkeit ausgerichtet als auf Seitenhalt. Das Ergebnis ist, dass man wirklich bequem „schwebt“ und nicht profan fährt. Sicherlich ist auch das Fahrwerk nicht sportlich hart abgestimmt, obwohl diese Version werksseitig tiefergelegt ausgeliefert wurde. Alles zusammen, also Sitze, Geräuschdämmung, Innenausstattung und Fahrwerk ergeben eine harmonische Reiselimousine und nicht eine Raserlimousine, die heute so gerne „herbeigeschrieben“ wird, damit Papa sagen kann, dass seine Familienkutsche auch sportlich ist… Sowohl auf Seiten der elektronischen Helferlein als auch von der Sicherheitsausstattung ist „alles an Bord“. Ich weiss jetzt zwar nicht, wie viele Airbags verbaut sind, aber es sind viele. Der Tempomat mit Abstandsradar macht lange Autobahnfahrten erträglich, so man ein „Schleppfahrzeug“ vor sich hat, das die gewünschte Geschwindigkeit fährt. Es gibt eben viele „Spielereien“ in diesem V70, nur auf die Start/Stopp-Automatik könnte ich verzichten, da ich davon nichts halte. Im Stau oder vor einer geschlossenen Bahnschranke kann ich meinen Motor auch selbst ausschalten…hab ich noch in der Fahrschule gelernt. Aber, auch diese Spielerei kann man per Knopfdruck deaktivieren. Warum eine Handbremse elektrisch per Knopfdruck betätigt werden muss, habe ich bis heute nicht kapiert. Praktisch ist dagegen die Öffnung der Heckklappe durch die Fernbedienung. Für das tägliche Autofahrerleben bietet der V70 alles und es macht auch von der Einkaufstour bis zur „grossen Reise“ alles brav mit.

Bis hierher war das „Mehr“ beschrieben und jetzt sollte ich noch ein paar Zeilen zum „Weniger“ schreiben. Es geht um den Antrieb. Um es gleich vorweg zu nehmen. „Weniger“ bezieht sich jetzt in Sachen Antrieb tatsächlich auf den Hubraum. Zugegeben, ich war anfangs auch skeptisch, aber nach nunmehr über 175’000 km zurückgelegter Strecke über Pässe, Autobahnen, Landstrassen und Innenstädte, kann ich sagen, dass ich mehr als positiv überrascht bin. Natürlich ist das Auto keine Rakete, siehe die technischen Daten weiter oben. Aber, die Leistungen reichen für das heute normale, tägliche Autofahrerleben vollkommen aus. Ja, man kann auch auf einer Landstrasse überholen und ja, auch auf einer Passstrasse ist man kein Verkehrshindernis, sofern man Pässe fahren gelernt hat! Die Getriebeabstimmung haben die Volvo-Techniker m. E. nach gut hingekriegt. Man liest zwar immer von einer Anfahrschwäche, aber das ist ein generelles Turbodiesel-Problem und liegt auch mehr auf Seiten des Fahrers. Ich kann diese Anfahrschwäche nicht bestätigen. Die Abstufung der Gänge finde ich bei diesem 6-Gang-Getriebe sehr gelungen und um Längen besser als z. B. bei manchen Mitbewerbern. Besonders befriedigend wird die Sache, wenn ich mir dann die Betriebs- und Unterhaltskosten ansehe. Egal ob auf der Autobahn, egal ob mit oder ohne Klimaanlage, der Verbrauch liegt immer bei 5,1 l/100 km. Die von Volvo angegebenen 4,9l/100 km erreiche ich nur auf Urlaubsfahrten mit entsprechend gedrosseltem Gasfuss eingedenk der möglichen Prämien, die nach Sanktionen durch die Rennleitung fällig werden. Den tatsächlichen Mehrverbrauch von 4% gegenüber des öffentlich verlautbarten Verbrauchswerts finde ich nicht so dramatisch wie die dreisten Münchhausengeschichten so manch eines anderen Herstellers, wo der tatsächliche Verbrauch dann schon mal gerne bei +30% über dem angegebenen Verbrauch lag!

Mein Resümee ist eben genau wie im Zitat von Ludwig Mies van der Rohe: „Weniger ist mehr“. Ich mag den V70 in seiner Konzeption, Bauweise und Ausstattung so sehr, dass ich zwar immer wieder einmal nach einen neuen Auto suche, aber dann nach einem „tieferen“ Vergleich immer wieder auf meinen V70 zurückkomme. In der Summe der Eigenschaften ist es ein sehr gutes Auto, auch wenn er jetzt schon über 13 Jahre alt ist und mehr als 340’000 km auf „der Uhr“ hat. Das Auto hat noch den ersten Auspuff, die Kupplung wurde bei 320’000km das erste Mal gewechselt, es gibt zwar einige Steinschläge, aber keinen Rost. Das Auto fährt sehr gut, ist sehr bequem und hat viel, viel Platz und ist verdammt zuverlässig. Ich bin zufrieden damit, und das ist wiederum in der heutigen Zeit ein sehr schöner Zustand – und ich weiss, dass „Weniger mehr sein kann“, auch beim Auto! Ach ja, auch wenns heute Mode ist, ich habe meine Autos immer lange gefahren. Da geht
s mir wie mit Skischuhen, die gut passen und wie Hausschuhe sind: bloss nicht ohne Not wechseln. Es hat also gar nix mit Nachhaltigkeitsgetue zu tun oder so etwas. Never change a running System, also wird er weitergefahren.

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