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Fahrbericht McLaren GT

Published in radical-mag.com

fast & smooth

Vielleicht werde ich auch einfach älter. Aber bei dieser ersten Ausfahrt mit dem McLaren GT im Süden Frankreichs wurde ich doch tatsächlich überholt von einem anderen Journalisten im gleichen Fahrzeug – keine Ahnung, wann mir das zuletzt passiert ist, ob überhaupt je. Es könnte aber auch am Automobil gelegen haben. Und das darf man jetzt nicht falsch verstehen, es ist sicher nicht so, dass man den Engländer nicht auch wirklich flott bewegen könnte (also so, dass man mit Garantie nicht überholt wird), es liegt auch nicht an seinen Qualitäten als Sportwagen (dazu gleich noch mehr), sondern vielleicht, wahrscheinlich an seiner Auslegung, oder besser: an seinem Charakter. Man weiss, dass man kann – aber man muss nicht dauernd. Bei Fahrzeugen mit 400 PS plus ist man doch quasi immer in Versuchung, allein schon das Motorengeräusch verführt zu mehr, gröber, näher an den Randstein, härter aus der Kurve, man hat stets das Messer zwischen den Zähnen. Und stattdessen rolle ich mit dem 620 PS starken McLaren GT in aller Ruhe und im Frieden mit mir selbst, ganz in der Nähe der von der Rennleitung vorgegebenen Limiten über den Berg; etwa einen Tausendstel hat der Fuss auf dem Fahrpedal gezuckt, als ich den anderen GT im Rückspiegel näher kommen sah. Doch dann lächelte ich, auch über mich selbst.

«radical» hatte sich ja im Vorfeld Gedanken darüber gemacht: Was ist ein (moderner) «Gran Turismo»? Und vielleicht, wahrscheinlich haben wir die Antwort genau in jenem Moment gefunden, als der McLaren GT den McLaren GT überholte: er ist die eierlegende Wollmilchsau. Er eignet sich zum sehr entspannten Cruisen – und er wird auf der Rennstrecke keine schlechte Figur machen (was wir nicht ausprobieren konnten). Er geht mit wunderbarer Leichtigkeit und herrlicher Präzision um die Kurven (ich war ja nicht immer im ganz entspannten Modus, es gab da schon Streckenabschnitte, da wurde ich nicht überholt…) – und mit sehr lässiger Eleganz über die Autobahn. Man kann sich gut vorstellen, mit dem McLaren von Bern nach Hamburg zu fahren, locker, entspannt – und am Donnerstagmorgen in der Früh vor der Arbeit noch so ein paar Pässe zu fressen, damit der Adrenalinspiegel so richtig schön hoch ist. Auf «Comfort» ist der Engländer zwar nicht gerade ein Lämmchen, aber dank dem neuentwickelten adaptiven Dämpfersystem doch wirklich komfortabel, freundlich – auf «Sport» kann er dann auch ganz anders, verbeisst sich im Asphalt, da haut er die sieben Gänge dann auch kräftiger rein. Erstaunlich ist aber auch dann, wie gut seine Manieren ganz allgemein sind, gerade im Vergleich zu einem 600LT, dem vielleicht bösesten Tier unter den McLaren. Im Vergleich zu einem Porsche 911 ist er: ruhiger. In jeder Beziehung. Er verfügt ja auch über ein extrem steifes Carbon-Monocoque. Und ist unter anderem deshalb auch nur 1530 Kilo schwer – so ganz anders als das, was man derzeit gern als GT bezeichnet, der Conti von Bentley, der DB11 von Aston, allenfalls ein 6er von BMW oder eines dieser adipösen Coupé aus Stuttgart. Von denen es keiner unter zwei Tonnen macht.

Gerade hat sich Freund Axel ja Gedanken gemacht zum 911er – und ist zum Schluss gekommen, dass der Wagen besser ist als ein auch guter Fahrer (Axel ist ein ausgezeichneter Pilot). Und dass es irgendwie frustrierend ist, wenn man als Pilot die Grenzen früher erreicht als das Spielzeug. Das stimmt in gewisser Weise auch beim McLaren (und wohl praktisch allen modernen Sportwagen oberhalb der Alpine), er hat diesen unglaublichen Grip (was auch den Reifen zu verdanken ist, massgeschneiderte Pirelli PZero), er hat diese wunderfeine Balance (das ESP greift eigentlich nur ein, wenn es einen Fahrfehler korrigieren muss, viel zu früh viel zu heftig auf den Pinsel am Kurvenausgang etwa), er lässt sich auch ohne elektronische Helferlein lange, lange völlig problemlos kontrollieren (trotz Mittelmotor…). Aber anders als einem 911er, den wir so kennen wie schätzen, begegnet man dem Engländer irgendwie mit mehr Respekt. Man versucht irgendwie gar nicht, die letzte Rille auszuloten, sondern sucht mehr so: den Flow, die ganz flüssige Bewegung und die Schönheit ebendieser. Und ist vielleicht sogar schneller in dieser Demut. Ach ja, Zahlen: 3,2 Sekunden auf 100 km/h, Höchstgeschwindigkeit 326 km/h, 95 Prozent des maximalen Drehmoment von 630 Nm stehen zwischen 3000 und 7250/min zur Verfügung. Die Keramik-Bremse gibt es nur optional, doch wir würden sie unbedingt empfehlen, denn meist ist man deutlich schneller als man das Gefühl hat.

Ja, es ist ein Spagat, den die Engländer da wagen – eigentlich gibt es diese Kategorie, die sie da im Auge haben, in dieser Form gar nicht (mehr). Der GT ist das bislang luxuriöseste Modell der Marke, feines Leder allerorten (wenn auch mit einer für Engländer so typischen, teilweise eher exzentrischen Farbwahl), sehr sauber verarbeitet, auch ein paar Kilo mehr Dämmmaterial. Und Klappenauspuff, der auch ganz leise kann (laut ist eh nicht so das Ding des Doppelturbo, unter den ernsthaften Sportwagen haben die McLaren das langweiligste Klangbild). Abgesehen von der edlen Ausstattung (die sich mit genügend Spaziergeld sowohl noch aufwerten wie auch heftig individualisieren lässt) bleibt alles gleich im Innenraum, das Lenkrad ist frei von Knöpfen (danke!), der Bildschirm steht im Hochformat und mächtig, die Bedienung ist ein Kinderspiel, auch deshalb, weil fünf Mal schnellere Prozessoren als bisher zum Einsatz kommen. Das Navi setzt den Wagen aber trotzdem immer noch ziemlich häufig neben die StrasseDer grösste Unterschied findet sich hinter dem ausgezeichneten Gestühl (eng – und trotzdem bequem, auch auf längeren Strecken; vielleicht wäre etwas mehr Auflage vorne noch ein Pluspunkt für den Langstreckenkomfort): 420 Liter Kofferraum. In einer allerdings etwas eigenartigen Form, lang und flach, denn darunter verbirgt sich ja der 4-Liter-Achtzylinder-Doppelturbo und das Doppelkupplungsgetriebe. Da könnte man sich jetzt Gedanken machen über den Sinn, denn mächtige Koffer finden da keinen Platz, doch man muss halt strategisch packen, denn vorne gibt es ja auch noch einmal 150 Liter Volumen. Also kleinere Taschen, dafür mehr davon.

Jetzt einmal abgesehen vom höchst erfreulichen Fahrerlebnis, das der McLaren GT bieten kann, gibt es noch einen weiteren sehr guten Kaufgrund: er ist ein sehr, sehr schönes Automobil. In einer dunklen Lackierung, mit der die grossen Glasflächen besser betont werden, hat er tatsächlich etwas von einem Diamanten. Mit 4,7 Metern Länge wirkt er sehr gestreckt, sehr elegant, sehr harmonisch – man kann ihn auch einfach nur minutenlang anschauen. Er hat allerdings auch den Preis eines Edelsteins: 198’000 Euro sind mindestens fällig. Und die Liste der Sonderausstattungen ist lang, sehr lang, in unseren Testwagen waren noch einmal 40’000 Euro zusätzlich verbaut. Leider hat alles seinen Preis. Aber dafür kann man den GT auch jeden Tag fahren, samt elektrisch bedienbarer Heckklappe.

Mehr McLaren und andere Sportwagen haben wir in unserem Archiv. Und die Diskussion, was denn ein «Gran Turismo» ist, darf weitergehen.

Der Beitrag Fahrbericht McLaren GT erschien zuerst auf radicalmag.