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Ferrari 195 Inter

Published in radical-mag.com

Der Stellvertreter

Noch befinden wir uns in den Anfangsjahren von Ferrari. Erst drei Jahre alt war das Unternehmen 1950, und doch präsentierte es in diesem Jahr mit dem 195 und dem 212 bereits sein drittes und viertes Modell (nach dem 125 und dem 166). Der 166 wurde weiterhin gebaut. Mit seinen 2 Liter Hubraum passte er in so ziemlich jede Sportklasse. Beim neuen 195 mit seinen 2,3 Liter Hubraum war das nicht mehr der Fall, und der 212 mit seinen 2,6 Litern Hubraum musste dann schon bei den ganz Bösen antreten. Doch während der 212 eine grosse sportliche Karriere machte, blieb der Palmares des 195 eher bescheiden. Mit einer Ausnahme, die sowieso fast niemand bemerkte: Giannino Marzotto, dieser extrem talentierte Gentleman-Driver, gewann 1950 die Mille Miglia zwar offiziell in einem 166 MM, doch angetrieben war dieses Fahrzeug von einem 2,3-Liter-V12 aus dem 195.

Wenn wir schon dabei sind: Wie schon beim 166 gab es einerseits die «zivilen» Varianten, die hiessen 195 Inter (166 Inter: hier). Und dann gab es die Rennmodelle, die hiessen 195 S – und hatten wieder den kürzeren Radstand (2,25 Meter). Von Letzteren soll es genau zwei gegeben haben – beide traten bei der Mille Miglia 1950 an, beide schieden aus. Es waren aber nicht die besten Trümpfe, die Ferrari bei der 17. Mille Miglia im Spiel hatte. Eigentlich wäre das Rennen samt Sieg ja für Alberto Ascari oder «Gigi» Villoresi gedacht gewesen, die beide in einem neuen 275 S (3,3-Liter-V12) antraten. Auch die Gegner schliefen nicht. Clemente Biondetti, schon stark von seiner Krebserkrankung gezeichnet, aber halt auch mit der Erfahrung von vier Mille-Miglia-Siegen, fuhr einen Jaguar, Alfa schickte 3-Liter-Rennwagen mit Rol, Sanesi und Fangio ins Rennen, aber das schärfste Gerät hatte wohl Bonetto, der einen Alfa-Roadster bewegte, der mit einem 4,5-Liter-Grand-Prix-Motor aus der Vorkriegszeit aufgerüstet worden war.

Doch die 17 ist in Italien eine Unglückszahl, wie sie es die 13 in anderen Ländern ist, dazu kam ein wirklich grauenhaftes Wetter. Regen, Sturm, Nebel waren genau die Bedingungen, die sich Marzotto in seinem leichten Ferrari gewünscht hatte, und er übernahm früh die Spitze. Als der Regen etwas nachliess, preschte Villoresi nach vorne, was sich Ascari natürlich nicht gefallen lassen konnte, und prompt ruinierten beide auf der Strecke zwischen Pescara und Rom ihre Getriebe. Marzotto fuhr den Sieg locker nach Hause – in Brescia traf er, Sohn eines reichen Stoff-Fabrikanten, im perfekt sitzenden Zweireiher ein. Aber wie kam der stärkere Motor in den kleinen 166er? Marzotto hatte mit einem 166 MM ein Bergrennen gewonnen und sich entschieden, dass genau dieses Fahrzeug perfekt ist für die Mille Miglia. Also bestellte er einen solchen Wagen, doch nach einer ersten Probefahrt war er völlig enttäuscht. Luigi Bazzi, der legendäre Werksmechaniker, versprach ihm, sich darum zu kümmern – was er dann auch wirklich tat, mit eben diesem 195er-Motor, von dem Marzotto aber nichts wusste. Nach dem Rennen kam Enzo Ferrari zu ihm und verlangte die Hälfte des Preisgeldes: Er, Marzotto, sei mit diesen speziellen Motor ja so etwa wie Mitglied des Werk-Teams geworden.

1950 war auch das erste Jahr mit einer offiziellen Formel-1-Weltmeisterschaft. Ferarri tat sich allerdings etwas schwer bei der Premiere, obwohl das Team mit Alberto Ascari, Clemente Biondetti, Luigi Villoresi und Peter Whitehead einige der besten Fahrer jener Jahre unter Vertrag hatte. Ein zweiter Platz von Ascari beim GP von Monaco, noch ein zweiter Rang von Ascari (der den neuen 375 mit 4,5-Liter-V12 von Dario Serafini übernommen hatte) beim Grossen Preis von Italien in Monza sowie ein dritter Platz von Whitehead beim GP von Frankreich waren die nicht so reiche Ausbeute. Zum Glück war Marzotto bei der Mille Miglia siegreich, sonst hätte Enzo Ferrari in jenem Jahr noch mehr Spaghetti essen müssen.

Beim 195 Inter übte sich Ferrari in der Deklination, der Wagen unterschied sich nicht entscheidend vom 166. Die Bohrung wurde um 5 Millimeter erhöht auf jetzt 65 Millimeter, der Hub betrug weiterhin 58,8 Millimeter. Das ergab den neuen Hubraum von 2341 ccm. Anfangs wurde nur ein Einfach-Vergaser installiert, doch schnell wechselte Ferrari auf die Weber-32-DCF-Doppelvergaser. Es soll auch Maschinen gegeben haben, bei den ein Dreifach-Weber montiert wurde. Ferrari nannte eine Leistung von 130 PS, doch das reichte, den knapp unter 1000 Kilo wiegenden 195 in unter 10 Sekunden von 0 auf 100 km/h zu beschleunigen. Die Höchstgeschwindigkeit lag gemäss Werksangaben bei 160 km/h, doch das kam natürlich sehr auf die Getriebe- und Achs-Untersetzungen an – im Renn-Trimm waren auch 200 km/h möglich.

Der 195 Inter, über den es mehr als nur widersprüchliche Produktionszahlen gibt, war ein wichtiges Fahrzeug für Maranello. Mit seinem längeren Radstand (jetzt 2,5 Meter statt 2,42 Meter) bot er eine ideale Basis für die italienischen Karosserie-Schneider. Es war auch das erste Modell, für das Ghia einen Aufbau zeichnete. Die Zusammenarbeit mit Maranello war für Ghia allerdings nie besonders fruchtbar, nur insgesamt 35 Ferrari tragen anscheinend eine Ghia-Karosserie. Carrozzeria Ghia war 1915 von Giacinto Ghia in Turin geründet worden. Der Massschneider machte sich schnell einen Namen mit seinen leichten Alu-Aufbauten. Berühmtheit erlangten etwa der Alfa Romeo 6C 1500, mit dem Giuseppe Campari 1929 die Mille Miglia gewann. Ein anderes schönes Beispiel für die handwerklich herausragenden Arbeiten: das Fiat 508 «Balilla» Sport Coupé von 1933. Doch 1943 wurden grosse Teile der Ghia-Fabrik von den Alliierten in Schutt und Asche gebombt, und davon sollte sich Giacinto nie mehr erholen. Er starb 1944 an einem Herzinfarkt, während er den Wiederaufbau seines Lebenswerks beaufsichtigte. Seine Witwe Santina übergab die Leitung von Carrozzeria Ghia den langjährigen Mitarbeitern Felice Mario Boano und Giorgio Alberti. 1948 wurde eine Niederlassung in der Schweiz gegründet (Ghia-Aigle). 1953 übernahm der heissblütige Luigi Segre die Firma, und es folgte die wohl beste Dekade des Design-Studios. 1970 wurde Ghia nach einem Umweg über deTomaso von Ford übernommen.

Das hier vorgestellte Modell, der 195 Inter Coupé mit der Chassisnummer 0105 S, wurde Ende 1950 gebaut und im Januar 1951 an einem Mailänder Kunden ausgeliefert. Noch vor Ende des Jahrzehnts wurde er in die USA verkauft, wo damals (wie heute) eine grosse Nachfrage nach den Ferrari bestand. 0105 S hatte über die Jahre viele Besitzer und machte für einige Jahre sogar einen Abstecher nach Japan, bevor er 1992 nach Europa zurückkam. Eine kleine Anekdote noch: 1997 soll der damalige Ferrari-Chef Luca di Montezemolo beim 50-Jahr-Jubiläum von Ferrari in Maranello in genau diesem Fahrzeug gesessen und dessen reine Schönheit gelobt haben.

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Der Beitrag Ferrari 195 Inter erschien zuerst auf radicalmag.