Alfa Romeo 8C – Erinnerungen
Opera buffa
Am besten funktioniert es vom 3. in den 2. Gang. Knapp unter 4000/min, eine Durchfahrt unter einer Brücke oder natürlich ein Tunnel sind tauglich. Dann, und nur dann, hört man die Symphonie des Bösen. «Les fleurs du mal», nach Baudelaire. Ein röchelndes Brabbeln, fies, gemein, heavy metal, AC/DC in ihren übelsten Zeiten, laut. Wirklich, wirklich laut. Und bösartig. Wie das Bellen eines räudigen, von Flöhen geplagten Strassenköters, dem man ins Familienglück tritt. Es könnten auch Fehlzündungen sein, sind es aber nicht, die Sound-Ingenieure von Alfa Romeo haben genau das gewollt.
Dieser Lärm macht süchtig. Wir fahren etwas öfter unter dieser einen Unterführung durch, als es der direkte Weg bedingen würde. Vergesst die Lambos, vergesst die Ferrari, auch die gröbsten Corvette können da nicht mithalten und Boxer mit nur sechs Zylindern sowieso nicht; man muss weit in der Geschichte des Automobils zurückblättern, bis man einen solch, Entschuldigung, geilen Sound findet. Doch bei Alfa Romeo hat «beautiful noise» ja Tradition, früher hiessen die Alfa auch 8C, und ihre Auspuffrohre dienten nur der Verzierung. Der neue 8C brüllt sich hoch bis 7500/min, und das Vergnügen ist grossartig, wirklich grossartig, wenn man es offen erleben kann.
8C heisst der schärfste Alfa seit Jahrzehnten natürlich nicht zufällig, otto cilindri, wie schon in den 30er Jahren; diesmal aber nicht als 2300 oder 2900, sondern mit 4,5 Liter Hubraum, 450 cavalli, in 4,5 Sekunden von 0 auf 100, Höchstgeschwindigkeit knapp unter 300 km/h: Den geschlossenen Competizione gab es ab 160’000 Euro, beim Spyder lag Kaufpreis 211’000 Euro oder 320’000 Franken; von beiden Varianten wurden je 500 Exemplare gebaut. Wir wissen jetzt, wer uns ganz viel zur Entstehung dieser Fahrzeuge erzählen kann, wir hoffen, wir können das irgendwann als grosse, schöne Geschichte auch erzählen.
Was schad ist: wie selten man einen dieser 8C auf der Strasse sieht. Vor 10 Jahren kamen sie auf den Markt, der Spider folgte dann 2010, doch die meisten wurden gleich weggesperrt; Sammlerstücke heisst das dann. Und in ein paar Jahren werden sie dann mit null Kilometern und ein Einfamilienhaus teurer wieder angeboten. Wobei: bisher scheint es sich noch nicht gelohnt zu haben, es werden schöne Exemplare für weniger als 250’000 Franken angeboten. Wie auch immer: Das ist ein dämliches Geschäft, aber es scheint auch in diesen immer schwerer werdenden Zeiten noch zu funktionieren. Solches Tun gehört unserer bescheidenen Meinung nach unterbunden, von Alfa selbst. Denn die Mailänder schiessen sich selber ins Knie, da bauen sie diesen unglaublich schönsten Imageträger seit einer kleinen Ewigkeit, und die wahren Fans, das Volk, kriegt gar nichts davon mit.
Und es gibt noch einen Grund, weshalb der 8C weder als Coupé noch als Spider in die Garage gehört; er macht so richtig viel Laune beim Fahren. Motor vorne, wobei: er ist so weit hinten wie nur möglich eingebaut. Das Getriebe hinten, klassische Transaxle-Bauweise, Gewichtsverteilung halbe-halbe, das ist doch schon einmal eine gute Ansage. Das Fahrwerk könnte für unseren Geschmack noch etwas straffer abgestimmt sein, doch Alfa lächelt und sagt: cruising. Der Spider sei offen, also nichts für die Rennstrecke. Da haben die Italiener irgendwie auch wieder recht, eine schöne Kurvenhatz auf der Landstrasse geht sich aber alleweil aus. Den Automatikmodus des sequentiellen 6-Gang-Getriebes sollte man sich aber auch beim entspannten Cruisen verkneifen, die Schaltvorgänge dauern so lange, dass man Angst kriegt, das Getriebe sei hin. Handgeschaltet macht der Alfa seine Passagiere dafür zu Ja-Sagern, die jedesmal freundlich nicken, wenn die nächste Gangstufe kommt. Grob auch die Bremsen, aber im guten Sinne, Karbon-Keramik, das packt mächtig zu. Allerdings müssen die Dinger zuerst auf Temperatur gebracht werden, da merkt man dann, dass seit der ursprünglichen Entwicklung des 8C schon ein paar Jahre vergangen sind.
Aussen und innen: toll. Fantastisches Design, ganz hohe italienische Schule (schön, was sich aus der Basis eines doch klobigen Maserati GranTurismo machen lässt). Und endlich wieder einmal ein Alfa, in dem man nicht sitzt wie der Papst dort, wo er seinen Schäfchen am ähnlichsten ist. So etwas wie einen Kofferraum gibt es auch, aber da ist bei manch anderem Automobil das Brillenfach geräumiger; aber wenn das Auto eh nur in der Garage steht, ist das auch nicht weiter wichtig. Wunderbar ist, dass alles, was nach Alu aussieht, auch aus Alu ist. Und was nach Karbon aussieht, ist auch aus Karbon. Und der Plastik, der ist einfach nur Plastik, sogar von der eher billigen Sorte.
Gut 1,7 Tonnen wiegt der offene Alfa, 90 Kilo mehr als das Coupé. Und auch wenn Alfa bei der Vorstellung behauptet hatte, der Spider sei fast so verwindungssteif wie das Coupé, dann stimmt das nicht – gerade auf den nicht besonders edlen italienischen Landstrassen zieht und windet das Ding schon. Aber nicht schlimm. Denn, eben, eigentlich gehört ja er nicht auf die Rennstrecke. Und eigentlich hat er nur deshalb ein Verdeck, weil sich das irgendwie gehört. Doch den Spider fährt man offen. Immer. Keine Ausreden.
Doch was halt wirklich erfreulich ist: der 8C ist ein Automobil für Menschen, die noch selber gerne fahren. Zwar gibt es da schon ein ESP, doch das kann man getrost ausschalten, dank der hervorragenden Gewichtsverteilung bleibt der Alfa auch dann freundlich, einfach, problemlos kontrollierbar, wenn die Haftung einmal etwas knapp wird. Es gibt kein elektronisch geregeltes Fahrwerk und auch keine ebensolche Lenkung, Alfa hat 2008 dazu gesagt, man habe kein Geld für solche Entwicklungen gehabt. Und das ist irgendwie gut so, man fühlt sich wohl im Italiener, er ist eine ganz ehrliche Haut, wie der Porsche GT3. Was wir aber hassen, wirklich abgrundtief hassen: dass dies Auto piepst beim Rückwärtsfahren. Wie ein Lastwagen. Aber irgendwie passt das bestens zur komischen Oper, die der 8C Spider bietet. Mehr Alfa Romeo haben wir in unserem Archiv.
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