Fahrbericht Ferrari GTC4Lusso
Playstation
Es sei Busse getan. Als der Ferrari GTC4Lusso diesen Frühling (Frühling?) auf dem Genfer Salon vorgestellt wurde, haben wir ihn relativ massiv darniedergeschrieben. Dafür wollen wir uns in aller Form entschuldigen, jetzt, nachdem wir ihn fahren durften.
Der Passo Sella ist noch eher mühsam. Zu viel Verkehr, vor allem zu viele dämliche, sich selbst überschätzende Motorradfahrer sowie die sich seuchenartig allerorten ausbreitenden Holländer in Wohnmobilen und deutschen Rentner in Golf V. Und auch ein bisschen schmal ist die Gasse für ein Fahrzeug, das doch 1,98 Meter breit ist – ohne Spiegel. Und 4,92 Meter lang – es dürfte dies der grösste Ferrari aller Zeiten sein. Und nein, die Übersicht nach vorne gehört zu den Besten nicht.
Doch dann kommt der Pordoi. Der ist offener, das Asphaltband zwar holprig, aber auch breiter – und es gibt diese herrlichen Spitzkehren. Erfreulicherweise ist die Strasse irgendwann leer, und der rechte Fuss sitzt sehr locker, die Ohren wollen hören, wie der 6,3-Liter-V12 bis 8000/min hochdreht. Dann grob, sehr grob in die Eisen (von Brembo, 398 mm vorne, 360 mm hinten), einlenken, voll auf den Pinsel – und dann ist alles nur noch Playstation. Oder im Fall von Ferrari: PTU – Power Transfer Unit.
Nun ist «radical» ja nicht gerade berühmt dafür, solch computergenerierten Fahrspass wirklich zu schätzen. Und wenn wir davon schreiben müssen, wie all die verschiedenen Systeme denn nun miteinander arbeiten, die neue Vierradlenkung und der verbesserte Allradantrieb (heisst dann zusammen: 4RM-S) mit der vierten Generation der Side Slip Control (SSC4), dem elektronischen Differential (E-Diff) und der elektro-hydraulischen Dämpferregelung (SCM-E), alles zentral gesteuert über eben jene PTU, dann kriegen wir ja eigentlich Krätze. Bloss: das macht schon Freud. Es ist eine andere, neue Fahrfreude, man ist weniger aktiv, mehr so: Beifahrer, aber daran müssen wir uns wohl gewöhnen. Und man ist: unglaublich schnell. Wir sprechen von 690 PS, von 697 Nm, von 3,4 Sekunden von 0 auf 100, von 10,5 auf 200, von 335 km/h Höchstgeschwindigkeit.
Also, wir waren stehengeblieben beim Einlenken und dann voll auf den Pinsel (was man sich ja angesichts von 690 PS und 697 Nm maximalem Drehmoment bei 5750/min gar nicht getrauen dürfte). Wir haben uns bei der Anfahrt auf die Kurve auch quer durch das wunderfeine 7-Gang-Doppelkupplungsgetriebe geknipst und sind im ersten Gang, es steht also die volle Leistung zur Verfügung. Dann marschiert er. Hinten doch ziemlich quer, aber halt genau so, dass die 295/35 ZR 20 (eine spezielle Entwicklung von Pirelli) maximalen Grip haben. Alles schön kontrolliert, auch der Driftwinkel. Und wie viel Kraft an welches Rad. Und vorne (245/35 ZR 20) reisst es die ganze Fuhre auch herrlich aus dem Bogen, da muss nicht gross reagiert oder gar gegengelenkt werden, da hat man einfach Augenwasser und dem Mund weit offen und bald den zweiten drin, vielleicht den dritten. Und dann das ganze Spiel von vorne, es naht ja bereits der nächste «tornante». Das geschieht im Geschwindigkeitsbereich 80+, auch die Dezibel sind definitiv einiges höher – der Puls trotz all der Sicherheitsnetze ebenfalls. Obwohl man ja eigentlich gar nichts mehr falsch machen kann.
Wir anerkennen: auch dank der Hinterradlenkung ist der grosse, grosse Ferrari erstaunlich agil und wendig. Bergab am Pordoi hat es ein paar sehr mutige Motorrad-Buben auf groben Geräten, aber sie haben sowas von keinen Stich, sie müssen früher bremsen, den einen oder anderen schnappen wir uns ausserum in der Kurve (oder beim Beschleunigen; am einfachsten auf der Bremse), aber es würde auch innen gehen, wenn das nicht ein bisserl gar gefährlich wäre (für den erschrockenen Motorradfahrer). Das Heck schwingt schön mit, die Dämpferregelung ist grossartig auch auf schlechtesten Gassen, der Grip auch bei leichtem Heck fantastisch. Vom Gewicht von doch satten 1920 Kilo – es sollen dies eigentlich 60 Kilo weniger sein als beim Vorgänger – spürt man wenig; wir verspüren aber Hochachtung vor diesem eigenartigsten aller Ferrari.
Nicht total begeistert sind wir vom Sound. Sorry, Maranello, das könnt ihr besser. F12, zum Beispiel. Selbstverständlich ist der V12 alleweil wunderbar präsent, man spürt seine Kraft nicht nur, man hört sie auch. Im Dorf grummelt er ein bisschen, rollt mit 1200/min einher, sehr dezent, doch obenraus ist es weder ein Kreischen noch ein Knallen noch die «opera buffa», die wir an italienischen Fahrzeugen so sehr lieben. Wir möchte es souverän nennen, doch die ganz grosse Emotion – und die will man von einem Ferrari doch erwarten können, oder? – ist es nicht. Zu locker das alles – was man dann auf der Langstrecke wieder wird zu schätzen wissen. Und dafür wird er ja gebaut, der GTC4Lusso: man weiss von den FF-Fahrern, dass sie ihren Ferrari im Durchschnitt doppelt so viel bewegen wie andere Produkte aus Maranello. Beim neuen Modell mit seiner nochmals erhöhten Tauglichkeit für den ganz profanenen Alltag wird das wohl noch vermehrt der Fall sein. Wir würden ihn gern mal auf Schnee bewegen.
Unserer ist: weiss. So ein eigentlich nur fieses Perlmutt-Weiss. Als wir das hörten, bevor wir ihn sahen, wollten wir die Toilette aufsuchen. Doch dann sahen wir ihn, zwischen dunkelrot und dunkelblau und dunkelgrau – und er war irgendwie: schön. Weiss betont die Linien am meisten, gibt die klarsten Schattierungen und den hellsten Glanz – und dann sieht man auch am besten, dass der GTC4Lusso weit mehr als ein Facelift des FF ist. Er ist jetzt wirklich ein Shooting Break, durch eine gestrecktere Dachlinie mehr ein Kombinationskraftwagen als bislang, trotzdem eleganter, harmonischer in seiner gesamten Erscheinung. Gut, die +2-Sitze hinten sind weiterhin ein Witz, wir zitieren immer wieder gern die österreichische «auto revue» und ihre «beinamputierten Eichhörnchen», doch wenn man zu zweit verreist, stehen da immer 800 Liter Ladevolumen zu Verfügung. Das reicht für weit mehr als zwei Platin-Kreditkarten und ein bisserl sündige Lingerie. Was wir eigentlich sagen wollen: er sieht verdammt gut aus. Ganz besonders in Weiss.
Innen wurde der GTC4Lusso gegenüber dem FF deutlich verbessert, modernisiert. Es gibt selbstverständlich alles, was die Kundschaft heute so an Connectivity erwartet (erwartet man das in einem Ferrari wirklich – oder besser: braucht man das?), das Infotainment-System ist auf der Höhe der Zeit (Touchscreen!), und es sieht das alles auch ziemlich gut aus, der Bildschirm sieht nicht so aus, als ob man ihn nachträglich noch irgendwohin hat bongen müssen. Ob man sich nun mit dem Multi-Funktions-Lenkrad, genannt Manettino, wirklich anfreunden will, muss dem Kunden überlassen sein, wir brauchen solches Zeugs nicht; es ist zu überladen, zu kompliziert, unterdessen kann man wohl auch noch die Haarfarbe der Beifahrerin darüber steuern. Apropos Beifahrer und -in: es gibt neu vor eben dieser (oder diesem) ein Display, auf dem sich einige Funktionen des Fahrzeugs ablesen lassen. Solche Spielereien erachten wir als komplett unnötig. Auch deshalb, weil es nicht gut aussieht. Da es Aufpreis kostet, wird man bestens darauf verzichten können. Unbedingt haben muss man dagegen das neue Panorama-Glasdach, unbedingt.
Ein ganze Kapitel sollte man hingegen den Sitzen widmen. Nein, nicht jenen hinten, die eh ziemlich unnütz sind, sich aber immerhin wegklappen lassen, sondern dem Gestühl vorne. Wir schätzen diese Dinger extrem, eng, aber nicht beengend, sehr straff und doch nicht unkomfortabel, perfekter Seitenhalt und trotzdem auch auf der langen Strecke bequem. So muss das sein, ganz besonders in einem Gran Turismo; ausserdem sind sie auch noch ein schöner Anblick. Dass es im Innenraum ganz grosse Handwerkskunst ist, wunderbare Verarbeitung feinster Materialien, das versteht sich bei einem Fahrzeug aus der Emilia Romagna von selbst, denn nirgends sonst gibt es bessere Möbel-Produzenten und folglich Lederverarbeitung (nein, in England auch nicht).
In der Schweiz kostet der neue Ferrari GTC4Lusso den stolzen Preis von 310’700 Franken. Oh ja, das ist viel Geld, auch wenn der ungewöhnliche Ferrari auch aussergewöhnliche Leistungen bietet. Doch unterdessen kauft ja kaum mehr jemand einen Ferrari, um ihn auch zu fahren, zu geniessen; die Italiener sind zu Investionsobjekten verkommen. Das ist schade, ganz besonders bei einem Fahrzeug wie dem FF-Nachfolger.
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