Zukunft: So sortiert der neue Honda NSX die Sportwagen-Elite zum alten Eisen
Als Honda vor 25 Jahren den ersten NSX gebracht hat, war das ein Sportwagen wie von einem anderen Stern. Jetzt geht die Zeitreise weiter. Denn nach zehn Jahren Pause treten die Japaner jetzt endlich wieder an gegen Audi R8 oder Ferrari 488 und wollen die etablierten Schnellfahrer einmal mehr zum alten Eisen sortieren. Zwar kostet der neue NSX stolze 180 000 Euro. Aber dafür gibt es nicht nur den stärksten Honda aller Zeiten und die Garantie für mehr als 300 km/h – sondern auch das Ticket für eine Zeitmaschine, die das Konzept des Supersportwagens in die Zukunft transferiert – ganz ohne den Fluxkompensator von Marty McFly und Emmet L. Brown.
Dafür setzen die Japaner auf einen Antrieb, wie es ihn diesseits des Porsche 918 noch nicht gegeben hat: Zum neuen V6-Turbo mit 3,5 Litern Hubraum und ohnehin schon üppigen 507 PS montieren sie gleich noch drei Elektromotoren – einen mit 48 PS im Heck und jeweils eine 37 PS-Maschine pro Rad an der Vorderachse. Das ergibt eine Systemleistung von 581 PS, ein kumuliertes Drehmoment von 698 Nm und ein Fahrgefühl, das schier unbeschreiblich ist. Schon der Antritt hat etwas von einem Katapultstart, wenn kurz jenseits von 2 000 Touren die Launch-Control die Krallen öffnet und sich der NSX mit einer Wucht und einer Spontaneität dem Horizont entgegenwirft, als hätte es nie ein Turboloch gegeben. Von 0 auf 100 in weniger als drei Sekunden – wenn man die E-Motoren derart zum Boosten nutzt, macht selbst ein Hybrid-Modell Spaß.
Noch eindrucksvoller als der Kavalierstart ist allerdings die erste Kurve. Denn Honda zelebriert beim NSX endlich mal Torque Vectoring im eigentlichen Sinne. Wo andere Hersteller kurzerhand das kurveninnere Rad abbremsen, um den Wagen leichter einzudrehen, packt Honda noch einen drauf, gibt stattdessen lieber am äußeren Vorderrad Gas oder vielmehr Strom und lässt den anderen E-Motor der Fahrtrichtung entgegen arbeiten. Ganz ruhig, ausgesprochen harmonisch und ohne dass es den Fahrer irritieren würde, fährt die Flunder damit so zackig und so eng um die Kurven, wie die Züge auf einer Achterbahn – und klammert sich dabei genauso fest an die Ideallinie. Zwar quietschen auch beim NSX die Reifen zum Gotterbarmen und auf den Fahrer wirken Querkräfte wie auf einen Jetpiloten. Aber das Auto selbst wahrt eine stoische Ruhe, wird weder im Heck nervös noch fängt es an zu untersteuern. Sondern obwohl man jede Kurve später anbremst und danach früher wieder aufs Gas tritt, lässt sich der Wagen nicht aus der Ruhe bringen. So surft man eher über die Strecke als dass man fahren würde, ist sofort ein einem zauberhaften Flow und lenkt den NSX mehr mit Gefühl und Intuition als mit den Armen: Die oft beschworene Einheit von Mensch und Maschine – hier wird sie endlich wahr.
Dass der NSX für diesen Kunstgriff ein paar extra Kilo mitschleppen muss, merkt man dem Sportwagen nicht an. Zwar summieren sich die vier Motoren und der Akkupack trotz Alu-Karosse und Leichtbauplattform auf 1725 Kilo. Doch weil alle schweren Teile tief unten am Boden montiert sind, hat der NSX den niedrigsten Schwerpunkt im Segment, prahlen die Japaner. Auch das ist ein Grund, weshalb er so satt auf der Straße liegt und so sicher auf der Ideallinie reitet. Genau übrigens wie die ausgefeilte Aerodynamik, die ohne übertriebenes Flügelwerk auskommt, die messerscharfe Lenkung, das bissige brake-by-Wire-System mit den riesigen keramik-Scheiben oder das sehr verbindliche und trotzdem überraschend komfortable Fahrwerk mit den variablen Dämpfern, das sogar auf schlechten US-Pisten nicht an der Lenkung rüttelt.
Dazu ein messerscharfes und bitterböses Design ohne die Grandezza eines Ferrari, die vorlaute Potenz eines Lamborghini oder die kühle Science-Fiction-Aura eines BMW i8, eine rasend schnelle Doppelkupplung mit neun Gängen und eine Kabine mit gutem Ausblick, reichlich Restkomfort und einem aufs wesentliche reduzierten Cockpit – fertig ist ein ziemlich einzigartiger Supersportwagen. Wenn stört es da, dass der Kofferraum mickrige 125 Liter fasst, dass es für den Sprint über den Boulevard der Eitelkeiten nicht einmal einen Schminkspiegel gibt und dass die Materialauswahl nicht so ganz zum stolzen Preis passen mag?
Selbst den brüllend lauten Auftritt seiner Artgenossen hat der NSX nicht nötig. Zwar kann auch der im Heck unter Glas verpackte V6 ganz ordentlich seine Stimme erheben und sich durch vier in die Mitte gerückten Endrohre mächtig Gehör verschaffen. Nicht umsonst liegen zwischen dem sanftesten Setting und dem Track-Mode den Soundpipes in den Innenraum sei dank 25 dB Unterschied. Aber in der Grundstellung surrt der NSX die ersten paar Meter sogar rein elektrisch vom Hof wie ein Honda Insight – die Nachbarn werden es dem Fahrer danken.
Die Zurückhaltung ist aber nur von kurzer Dauer. Denn es braucht nur einen Kickdown und vorher einen Dreh am Mode-Schalter auf dem Mitteltunnel, dann schaltet Captain Future in den Angriffsmodus, verschlingt heißhungrig den Asphalt, schießt in weniger als drei Sekunden auf Tempo 100 und kämpft mit 307 km/h Spitze gegen das Raum-Zeit-Kontinuum. Vom deutlichen Leistungsunterschied und dem Verzicht auf die Plug-In-Technik einmal abgesehen, kommt kein anderes Auto dem Porsche 918 so nah wie dieser Honda. Und nirgends sonst fühlt man sich so sehr in unterschiedlichen Epochen gefangen wie in dieser Mischung aus Audi R8 und BMW i8: Wenn Marty McFly und Doc Brown noch einmal Zurück in die Zukunft fahren wollen, sollten sie den DeLorean stehen lassen und einen NSX nehmen. Allerdings müssen sie sich dafür noch ein bisschen weiter gedulden.