Die Göttin aus der Morgenröte: So küsst Rolls-Royce jetzt die Reichen wach
Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne – was bislang nur Philosophen verstanden haben, werden bald auch Autofahrer nachempfinden können. Zumindest wenn sie die Kleinigkeit von ziemlich genau 330 000 Euro aufbringen und den neuen Rolls-Royce Dawn bestellen. Benannt nach der Stunde der Morgenröte bekommen sie dafür ab April eine Göttin der Lüfte, die sie jeden Tag aufs Neue wachküsst. Denn kein anderes Cabrio der Welt bietet aktuell so viel luftigen Luxus wie das Traumschiff aus Goodwood – erst recht nicht, wenn in ein paar Tagen das letzte Exemplar des großen Bruders Phantom Drophead Coupé aus der Manufaktur rollt.
Im Grunde ist der Dawn natürlich nichts anderes als ein Wraith ohne Dach – selbst wenn die Briten steif und fest von 80 Prozent neuen Teilen sprechen und dem Auto tatsächlich eine etwas verführerische, dynamischere Note ins Blech gebügelt haben. Doch wer sich dem Cabrio nicht technisch, sondern philosophisch nähert, der sieht darin den sinnlichsten und sündigsten Rolls-Royce aller Zeiten und lässt sich von ihm zum König der Lüfte schlagen. Denn genau so fühlt man sich auf diesem Thronsessel über den Wolken, wenn man auf den schnöden Rest der Welt herabschaut wie von der Dachterrasse eines Grand Hotels und dem Elend des Alltags mit jener Mühelosigkeit enteilt, für die sie bei Rolls-Royce das Wort „Waftability“ kreiert haben, weil sie im etablierten Vokabular der PS-Branche keine passende Beschreibung gefunden haben. Selbst die legendäre Spirit of Ecstasy reckt sich da vor Stolz zwei Zentimeter weiter heraus aus dem imposanten Kühlergrill.
Majestätisch sind aber nicht nur Auftritt und Ansehen des Dawn, sondern auch sein Fahrverhalten. Zwar gebietet die Königin der Cabrios über die Macht eines 6,6 Liter großem Zwölfzylinders, der mit 570 PS und 780 Nm selbst die 2,6 Tonnen ungewöhnlich leicht werden lässt. Nicht umsonst beschleunigt er den Dawn in 4,9 Sekunden auf Tempo 100. Doch prahlt und protz er nicht mit dieser Macht, sondern setzt sie wie ein guter Regent nur leise, weise und zurückhaltend ein. Alles am Antrieb dieses Auto ist darauf ausgelegt, dass es sich möglichst mühelos anfühlt und dass man „effortless“ – noch so ein schönes Wort – durchs Leben schwebt: Vom riesigen Motor, von dem selbst beim größten Kraftakt nur ein weit entferntes Grummeln zu hören ist als wäre er in Watte gepackt, über die Luftfeder, die den Seegang des Dickschiffs wirkungsvoll im Zaum hält, bis zu den Schaltvorgängen der Achtgang-Automatik, die sogar ans Navigationssystem gekoppelt ist. Selbst das Lenkrad ist dünner und steht steiler als in den allermeisten anderen Autos.
Ja, es gibt schon für deutlich weniger Geld Autos, die beim Fahren mehr Spaß machen, die auch ohne zwölf Zylinder mehr Punch haben und die selbst mit ganz konventioneller Stahlfederung strammer auf der Straße liegen. Und auch wenn im Dawn wohl nie ein Chauffeur sitzen wird, ist er deshalb noch lange kein klassisches Fahrerauto. Zumindest nicht für Menschen, die ihre Freude am Fahren aus Querkräften ziehen, aus quietschenden Reifen und dem Gefühl, dass einem beim Tritt aufs Gaspedal das Herz in die Hose rutscht. Doch geht es in diesem Wolkenwagen nicht ums so etwas schöndes wie um Fortbewegung oder gar ums Ankommen. Sondern wer es auf einen der vier butterweichen Ledersessel geschafft hat, der genießt nichts als den Augenblick und will ihn möglichst lange auskosten. Das geht nirgendwo geht das besser als auf dem vornehmsten Sonnendeck der Autowelt – erst recht nicht, seitdem man plötzlich in einem Cabrio auch hinten formidabel sitzen diesen Luxus tatsächlich auch zu vier genießen kann. Wofür hat der Dawn schließlich 3,11 Meter Radstand und streckt sich auf 5,29 Meter?
Eile hat der Besitzer eines Rolls-Royce nicht mehr nötig und kann sich die bei einem Spitzentempo von standesgemäßen 250 km/h ohnehin nur gefühlte Langsamkeit lässig leisten. Und wenn er wirklich mal schnell und sportlich Fahren möchte, wird sich unter dem in der Regel mehr als einem Dutzend Autos in seiner klimatisierten Garage sicher auch ein Ferrari oder Aston-Martin finden.
Zwar fährt man in einem Rolls-Royce grundsätzlich auf der Sonnenseite des Lebens und muss sich deshalb wahrscheinlich auch nicht mit dem friemeligen Windschott abmühen, das – shocking! – tatsächlich noch von Hand eingebaut und aufgestellt werden muss. Sondern wenn überhaupt überlässt man die Montage dem Personal. Doch falls sich der Himmel tatsächlich einmal verdunkeln sollte, schält sich unter der hölzernen Abdeckung hinter der großen Sonnenbank im Fond ein Verdeck heraus, auf das die Briten zurecht stolz sind. Denn es ist nicht nur das größte Softtop am Markt, sondern es ist auch das leiseste: In den 22 Sekunden, in denen es sich über das Haupt legt, hört man kaum ein Summen oder Surren, so gut haben die Entwickler die Motoren und die Hydraulikpumpen gekapselt. Und wenn es erst mal zu ist, bekommt man auch vom Rest der Welt da draußen nicht mehr viel mit. Es pfeift kein Wind, es rauscht kein Regen und erst recht hört man keinen Motor: Das Cabrio ist auf das Dezibel genau so leise wie das Coupé. Und obendrein ist der Dawn eines der wenigen Cabrios, das auch geschlossen richtig gut aussieht.
„Mehr als jedes andere Cabrio verkörpert der Dawn damit zwei Autos in einem“, sagt Designchef Gilles Taylor und liefert damit sogar noch ein gutes Argument für all jene, die sich bei ihrem Vergnügen auch von der Vernunft leiten lassen. Denn wenn man es so sieht, ist der Luxusliner plötzlich auch nur noch halb so teuer.