Charmeoffensive auf dem Golf-Platz: So will Renault mit dem neuen Mégane die Kompaktklasse aufmischen
Es ist ein Kampf auf verlorenem Posten, aber Renault lässt sich den Schneid nicht abkaufen. Wenn die Franzosen im März zu einem unberänderten Grundpreis ab 16 790 Euro den neuen Mégane an den Start bringen, muss er sich zwar mit dem VW Golf messen. Doch satt sich in die technologische Übermacht des ewigen Bestsellers zu fügen und die Rolle als Außenseiter zu akzeptieren, bläst Renault zur Charmeoffensive in der Kompaktklasse und liefert einen überzeugenden Gegenentwurf zur gefühlskalten Technokratie des deutschen Dauerbrenners.
Das beginnt beim Design, das sich eher am Scirocco orientiert als am Golf: Kräftig und knackig, muskulös und mit deutlichen Rundungen, lebt es von heißer Leidenschaft und nicht von scharfen Linien. Dazu einen entschlossenen Blick mit markanten Lichtsignaturen von und 3D-Effekt hinten, proppere Proportionen und Platzverhältnisse im Bereich des gehobenen Durchschnitts – schon hat man eine verführerische Alternative zur ebenso einfältigen wie erfolgreichen Einheitsware aus der niedersächsischen Tiefebene.
Noch deutlicher werden die Unterschiede in dem bei 2,9 Zentimetern mehr Radstand und 6,5 Zentimetern mehr Länge ein wenig gewachsenen Innenraum – und zwar weniger, weil Materialauswahl und Verarbeitung im Golf eben doch eine Klasse besser sind als beim Mégane, weil man im VW nicht lange suchen muss, bis man das Radio leiser stellt oder die Türen entriegelt und weil die Sitzposition am Ende irgendwie doch besser passt. Sondern viel mehr, weil Renault ganz bewusst seine eigenen Wege geht: Der große Touchscreen in der Mittelkonsole, den man schon von Espace oder Talisman kennt, liegt deshalb nicht quer im Cockpit, sondern steht senkrecht. Und statt unterschiedlicher Fahrmodi wie beim VW wählt man beim Mégane verschiedene Sinneswelten. Klar, nimmt auch dieses Multi-Sense-System Einfluss auf Lenkcharakteristik, Motorsound, Getriebe-Strategie und die Gasannahme. Aber wer in den Komfortmodus wechselt, der sieht eben auch gleich ein anderes Cockpit über das Digitaldisplay flimmern, der Innenraum schimmert plötzlich in warmen Farben und der Sitz startet wie von selbst mit einer sanften Massage. So gefühlvoll war in der Golf-Klasse bislang noch kein Auto.
So viel Wert Renault auf solche „Soft-Skills“, solche weichen Faktoren legt, so viel Mühe haben sich die Franzosen auch bei der Hardware gegeben. Das gilt für Ausstattungsdetails wie die LED-Scheinwerfer, das Head-Up-Display oder die Assistenzsysteme von der Verkehrszeichenerkennung bis zum Notbremsradar. Das gilt für das spürbar gereifte Fahrwerk mit neuen Federn und mehr Spurweite. Und das gilt erst recht für den Antrieb, der ausschließlich auf kleinvolumige Turbo-Direkteinspritzer setzt. So reicht der Hubraum nur von 1,2 bis 1,6 Liter, es beginnt bei einem 90 PS-Diesel und einem Benziner mit 100 PS. Und weil den Franzosen 3,3 Liter für den sparsamsten Selbstzünder noch zu viel sind, bringen sie 2017 erstmals einen Diesel-Hybrid, mit dem sie die Drei-Liter-Marke knacken wollen.
All das wirkt betont vernünftig. Und wer mit dem in der Verkaufsplanung weit vorne einsortierten 130 PS-Diese unterwegs ist, wird auch das Fahrverhalten im positiven Sinne als „vernünftig“ beschreiben. Denn selbst wenn er vielleicht nicht ganz an die Berechenbarkeit und Bestimmtheit eines Golfs und die Sportlichkeit eines Focus heran kommt, kann der neue Mégane mit Astra & Co gut mithalten, wirkt lebendiger als die Japaner und erwachsener als Peugeot 308 oder Citroen C4.
Doch auch unter der Haube lässt Renault mehr Lust und Leidenschaft zu als die nüchternen Niedersachsen. Den Beleg dafür liefert der neue Mégane GT, der mehr ist als eine sportliche Ausstattungsvariante. Angetrieben von einem 1,6-Liter mit 205 PS und 280 Nm gibt er den wilden Wirbelwind, der munter aufbrüllt, gierig am Asphalt nagt und kräftig ausschreitet. Ja, mit einem Sprintwert von 7,1 Sekunden ist er nicht so flott wie der GTI. Und 230 Sachen sind für den täglichen Kampf auf der linken Spur zu wenig. Außerdem scharrt er öfter mit den Hufen und kratzt nicht so sauber die Kurve. Und die elektronische Launch-Control ist ein schlechter Scherz, mit der man sich beim Ampelspurt schnell blamiert. Doch weil Renault den GT als ersten Kompakten mit einer Allradlenkung anbietet, fühlt sich selbst das etwas schwächere Auto viel lebendiger an als ein GTI und macht mehr Lust auf die Kurvenhatz.
Mit Perfektion ist dem Golf nicht beizukommen und auch technisch ist der Bestseller nur schwer zu schlagen. Deshalb hat Renault den Mégane geschickt platziert: Er leistet sich in den „deutschen Disziplinen“ keine großen Schwächen, setzt sonst aber auf seine eigenen Stärken und punktet so mit Eigenschaften, die den meisten Erfolgsmodellen fehlen: Charme und Gefühl. Doch die Franzosen wissen nicht nur um die Qualitäten ihres Herausforderers, sondern sind mehr denn je auch von seiner Qualität überzeugt – und haben deshalb mal eben die Garantie auf fünf Jahre verlängert.