Motorshow Essen - Warum Tuning nicht gleich Tuning ist.
Mir ist durchaus bewusst: So wie ich Tuning betreibe, betreibt kaum einer Tuning. Eigentlich ohne Geld mit viel Improvisation und teilweise bescheuerten Ideen. Aber kann man Tuning überhaupt in eine Schublade stecken? Macht nicht jeder irgendwie seinen eigenen Stiefel? Trotzdem lassen sich Gruppen, Stile erkennen. Und es gibt Modebewegungen. Ob irgendeine Art von Tuning Sinn macht - selbst darüber kann man streiten. Muss man aber nicht. Denn letztendlich ist es wichtig, dass derjenige, der das Auto aufgebaut hat, oder aufbauen lassen hat, Spaß an dem Fahrzeug hat. Das ist sein persönliches Stück Glück, das man ihm gönnen darf.
Auf eine Art des Tunings will ich nicht groß eingehen. Das sind die kommerziellen Tuner, die fertig aufgebaute Fahrzeuge verkaufen. Sie wollen heute eher Fahrzeugveredler genannt werden. Und sicherlich: Da sind Dinge dabei, wo Otto Normalbürger mit den Ohren schlackert. PS Zahlen, für die man einen Taschenrechner mit viele Ziffern braucht, brachiale Fahrwerke und jeglicher Luxusschnickschnack.
Sicherlich: Tolle Fahrzeuge. Aber der Durchschnittsbürger kann sich so etwas kaum leisten. Und es fehlt mir eine entscheidende Komponente: Der Stolz, das selbst erschaffen zu haben.
Komischerweise fehlt mir der bei historischen Tuner Fahrzeugen nicht. Bei denen kommt eine historische Komponente dazu. Nehmen wir diesen W126er Flügeltürer:
Das war in den 80er Jahren etwas für Scheichs und Luden. Eine Mischung aus Faszination und Trash. Und gerade die Trashkomponente macht mich bei der Karre an. Anderes Beispiel dieser Ford Escort:
Das ist historisches Motorsportfeeling. Genietete Verbreiterungen, Spoiler Overflow. Aber eben ein Zeitzeugnis. Und das finde ich sehr spannend. Gab es auch eine Generation älter zu sehen.
Authentisch und deshalb sehr geschmeidig. Schon fast aus der Generation als Tuning noch Frisieren hieß. Da kommt der Oldtimerfan in mir durch. Für mich sind das keine Tuningfahrzeuge im eigentlichen Sinne, sondern richtige historische Fahrzeuge.
An historischem Blech vergreifen sich auch oft die Bling Bling Fraktion. Das ist wieder eine ganz andere Hausmarke.
Die sind nicht sauber aufgebaut, sondern klinisch rein. Motorräume, in denen man sich nicht traut etwas zu essen, weil man sie schmutzig machen würde.
Auch wenn wir von der Schmuddelfraktion uns gerne mal das Maul drüber zerreißen: Irgendwie gut sieht das schon aus. Leider fast ungeeignet, um damit rumzufahren. Man würde die Optik riskieren. Aber das kann man durchaus toppen. Dieser Motor in einem Golf 1 hatte keinen Verteilerdeckel mehr, damit man die verchromten Nockenwellenhalter sieht. Auch Froststopfen suchte man vergebens etc.
Vergoldetes Getriebe, auch die Federn der Skulptur waren vergoldet. Ich schreibe absichtlich Skulptur, denn mit Auto hat das wenig zu tun, denn das Ding kann nicht mehr fahren. Will es auch nicht. Ein reines Trailertier. Nehmt es mir nicht übel, wenn da meine Verständnisskala von 0-10 im Bereich -2 bis -10 ausschlägt.
Ähnlich verhält es sich bei mir mit den Tuning Kevins, wie ich sie gerne bezeichne. Da verfalle ich gerne in den Lästermodus.
Das sind die Blüten, die der Tuning Wettkampf mit sich bringt. Meiner Meinung nach eine Modeerscheinung. Man baut, was Trend ist und Kevin 1 versucht Kevin 2 zu toppen auf der Jagd nach Pokalen auf Tuningtreffen. Du hast 10 Monitore in deinem Wagen verbaut? Ich habe 20! Aber mal Hand aufs Herz - wer soll im Kofferraum DVDs ansehen? Die in GFK eingebetteten Bassboxen? Die klingen vermutlich nicht einmal gut, sondern sind einfach nur laut, weil auf dem Papier 100 Watt mehr Leistung stehen, als bei Kevin 1.
Die Sinnfrage darf ICH sicherlich nicht stellen - ich mache es trotzdem. Denn hier geht es fast nur noch um eine Materialschlacht. Der teuerste Lack, die neusten Felgen... Aber macht Ihr mal.
Ich finde dann faszinierender, wenn echte Technik Cracks Gas geben, wie bei diesem VW Fridolin.
Nicht nur, dass da ein VW W12 Motor als Mittelmotor verbaut ist...
...er steckt auch sonst voller technisch ungewöhnlicher Lösungen, wie beim Fahrwerk. Man beachte die Position der Dämpfer:
Da steckt viel Hirnschmalz drin. Keine ausgelatschten Wege, sondern einfach mal von Null anfangen, wie könnte das funktionieren und dann seine eigenen Weg gehen. Sehr geil.
Gerüchten zufolge fährt der Bock noch nicht. Aber ich denke mal, wer DEN Aufwand gefahren hat, wird den Rest auch noch durchziehen. Sowas zu bauen und dann nicht fahren können? Das würde zumindest an meinem Ego mächtig kratzen.
Dann gibt es diese Fraktion: Alt, exotisch, tief. In vielen Facetten. Über viele Jahre schaffte es der Ur-100er Audi erfolgreich, komplett an der Tuning Scene vorbeizuschlittern. Das war eine DER Spießerkarren und weder Lehrer noch der Finanzbeamte frisierte so etwas. Vor ein paar Jahren knallte irgendwer einen tief runter auf den Asphalt und jeder stand daneben und sagte sich: Ey, eigentlich sieht das sehr stylish aus.
Auf der Motorshow waren min. 2 davon zu sehen.
Das selbe Spiel funktioniert auch bei anderen Exoten, wie z.B. dem VW Brasilia - wie der Name schon sagt in Brasilien gebaut.
Auch sein jüngerer Bruder, der VW Fox, ebenfalls aus Brasilien, wirkt tief ganz anders.
Exoten, einfach nur tief und Felgen - hab ich ein Herz für. Ich liebe Underdogs. Und man hat die Show auf seiner Seite. bei einem Massenauto, wie einem 2er Golf kann man umbauen, wie man will - es bleibt einer unter vielen.
Gehen wir unter den verschiedenen Tunern weiter zu den New School Ratten, denen in der Galeria eine Ecke bei der Motorshow eingeräumt wurde.
Ich mag durchaus die Detailliebe mancher dieser Moderatten. Es lohnt sich durchaus, davor einmal stehenzubleiben und zu suchen, was man alles entdeckt.
Dennoch: Was auf der Motorshow ausgestellt wurde, fand ich sehr unspannend. Schöne Details hin oder her: Die meisten der ausgestellten Fahrzeuge ist unTÜVbar. Und gerade in dem Bereich ist vieles, vielleicht mit etwas Augenzwinger, TÜV konform zu lösen. Und ich frage mich dann: Wieso machen die Jungs das nicht? Min. die Hälfte der ausgestellten Fahrzeuge war ohne Grund zum Trailerqueendasein verdonnert. Das ist genauso unsinnig, wie die bereits erwähnten verchromten Nockenwellenhalter im Golf ohne Ventildeckel.
Deswegen nenne ich das auch gerne Hauptschul Rat Tuning. Nichts gegen gefakte Patina. Aber die Dosis macht’s, was Gift ist.
Nehmen wir als Vergleich diesen Mercedes Hot Rod, der auch schon im Motor Maniacs Magazin war:
Auch das ist ein Mix aus gefakter und echter Patina - aber irgendwie deutlich geiler gemacht.
Hot Rods sind eh ein Thema für sich. Ist das noch Tuning? Ich denke ja. Idee ist identisch: Man nehme ein Auto und macht was draus. Sehr geil finde ich z.B. den Opel von Christian, den ich auf der Motorshow das erste Mal live gesehen habe.
Auch wenn es ebenfalls Tuning ist - Hot Rods haben doch irgendwie einen Sonderstatus beim Publikum. Zu exotisch, zu weit weg?
Ich finde das Thema sehr faszinierend, nicht nur, weil ich selbst einen baue. Schade finde ich die Strukturen in der Hot Rod Community. Es gibt da sehr weltoffene Menschen, aber leider auch sehr intolerante Typen, die genau wissen wollen, was "true" ist und was nicht. Welche Felge geht, welcher Motor, das ist wie eine Religion. Und wenn es religiös wird, schalte ich automatisch ab.
Ich könnte jetzt noch seitenweise weiterschrieben, über diverse Arten und Unterarten des Tunings. Aber Tuning ist gelebter Individualismus und dementsprechend individuell sind all die Richtungen, in die es mehr oder weniger ausartet. Und auch die Menschen, die dahinterstehen, sind glücklicherweise nicht alle vom selben Schlag.
Mir geht es oft so, dass ich Leute zu mir unverständlichen Autos mag und Besitzer von extremst geilen Karren als Kotzbrocken empfinde. Das ist eben so. Eine Karre definiert den Menschen dahinter nicht und auch wenn es viele Leute nicht so sehen: Uns eint ein gemeinsames Hobby.
2 persönliche Highlights von der Motorshow Essen 2013 möchte ich Euch noch außerhalb der Konkurrenz zeigen.
Da ist zum einen dieser Nissan:
Nein, das ist kein Tippfehler. Das ist ein Nissan Cabstar Diesel Bj. 1985, auf den ein Holländisches Unternehmen "nur" ein VW T2 Fahrerhaus gesetzt hat. Hat technisch wirklich null mit VW zu tun, aber das hat echt Style.
Das zweite Highlight ist ein ganz besonderer Mercedes 300SL Flügeltürer. Klar, Designicone, aber irgendwie alle komplett überrestauriert. Und in Essen steht ein originaler Überlebender, sogar aus prominentem Vorbesitz (Bernie Ecclestone):
Würde mir Spaß machen, da einen Dieselmotor reinzuhängen (Motor fehlt) und den genau SO zu bewegen. Was ein toller Wagen! Fahrzeughistorie pur. Leider können sich den nur wenige leisten und die, die sich sowas leisten können, wollen meist ein perfektes Auto und so wird der wahrscheinlich auch totrestauriert. Schade drum.
Ich habe noch mehr fotografiert, man kann aber nicht alles beschreiben - alle anderen Bilder in der Galerie.
Original: Fusselblog - KLEs Schrauberblog