24h-Rennen (Nürburgring, Nordschleife): Paul pennt.
by Roland Löwisch
Published in Chromjuwelen En Route
Es ist 20.32 Uhr. Paul - wir nennen ihn mal so, vielleicht heißt er auch ganz anders - hat sich eingerollt auf dem Sofa. Das Möbelstück steht auf einem alten Lastwagenanhänger. Und der ist am Brünnchen postiert. Ein Kult-Ort für Zuschauer in der Grünen Hölle - der Altar ist ein Asphalt-Band.
Keine Ahnung, wie lange Paul da schon seinen Rausch ausschläft. Seit gut fünfeinhalb Stunden jagen 217 Autos über die Rennstrecke - Fiat 500 gegen Porsche GT3, Fiat 500 gegen Gumpert Apollo Hybrid, Opel Manta mit Fuchsschwanz an der Antenne gegen Aston Martin DBRS9, Seat Leon Supercopa gegen Lamborghini Gallardo, Issigonis' Mini gegen Hackenbergs VW Scirocco. Lärm wie bei McDonalds zur Mittagszeit. Vielleicht hat Paul schon den Start um 15 Uhr verschlafen. Wie andere auch. Hier liegen bereits jetzt so viele Pfandflaschen auf dem Waldboden, dass von dem Erlös eine Familie nach Mallorca reisen könnte.
Am Brünnchen stehen, sitzen, liegen die wildesten Fans des 24-Stunden-Rennens am Nürburgring. Das ist das größte Motorsportspektakel der Welt, der alljährliche, ultimative Sündenpfuhl, die chaotischste aller Party-Meilen. 220.000 Menschen rund um den Ring, viele planen ihr persönliches Fest-Highlight 53 Wochen lang. Männer, Frauen, Kinder. Feiernd, saufend, mitfiebernd, schlafend, weinend, grillend. Um das ausgiebig zu zelebrieren wird schon eine Woche vorher die Eifel zugecampt, allerdings mit Duldung der Bauern und Behörden, die Wiesen und Auen dafür freigeben. Kein Wasser, kaum Strom, aber waschen und rasieren kann man sich danach ja auch wieder zu Hause. Und wer mutmaßt, dass die Bäume rund um den Ring so groß sind, weil Sie einmal im Jahr übermäßig gedüngt werden, liegt gar nicht mal so falsch.
Der Ring. Beim 24-Stunden-Rennen genau 25,378 Kilometer lang, weil Teile der GP-Strecke mitgenutzt werden. Schließlich sind da die Boxen - Refugium für waidwunde Autos, Fernseh- und Schlafraum für Mechaniker, Ziel von Tag- und Nachtschwärmern. Da sind auch die Lounges, das Hotel, die edleren Sitzplätze auf den Tribünen. Hier verfolgt der Zuschaueradel das Rennen, nicht ganz so naturnah wie im Wald, aber doch so ausdauernd, dass auch hier noch um fünf Uhr morgens ein paar Rennleichen rumhängen.
Wer sich für die Platzierungen von Teams, Autos, Marken interessiert, gehört meistens zu Teams, Autos, Marken. In den Boxen wird nachmittags, abends, in der Nacht, gefiebert, geschraubt, geschimpft, gelobt, am nächsten Morgen und Mittags hauptsächlich geschlafen. Viele Schrauber sind nach durchgemachter Nacht völlig fertig, die Kalorien aus den nächtlichen Currywürsten verbraucht, die Adrenalinvorräte erschöpft.
Der überlebende Rest der Zuschauer verrenkt sich unterdessen immer noch die Hälse nach Boliden, die man schon Kilometer vorher hört, bevor sie am jeweiligen Beobachtungspunkt vorbeirasen. An Wehrseifen und Breitscheid, am Hatzenbach, am Kallenhard, am Karussell, am Pflanzgarten. ''Vrrrrrooooooooaaaaaaarrrrrrrammmm'' macht nur die Viper, deren Lastwagenmotor für ein Beben in der Magengegend sorgt. ''Yeeeeeääääääähhhh'' mit kräftigem ''Äääääiiiouuuuh'' beim Runterschalten stammt vom Lambo-Zehnzylinder, und ein Honda Type R röhrt immerhin noch ein sportliches ''Rrrrrrrrhhhhhhh''. Mindestens 1440 Minuten lang. Oder 86.400 Sekunden. Eine besser als die andere. Das ist purer Wahn für die Sinne.
Der vor 38 Jahren begann. 1970, beim ersten Dauerlauf, siegte Stuck und Schickentanz auf einem BMW 2002 ti. Nur dreimal bis heute fiel das Rennen aus: 1974 und 1975 wegen der Ölkrise, 1983 wegen Umbaus der Strecke. Für viele Fans ist ein Jahr ohne 24-Stunden-Rennen am Ring undenkbar - ein Jahr ohne Ölgeruch, ohne den betörenden Duft von Rennabgasen, ohne blinkende Lichter auf den Autos der abschleppenden Streckenwagen und ohne Feuerwerk, Lagerfeuer, übersteuerter Musik von schmalzigen Schlagern bis zum 70er-Jahre-Rock ist ein verlorenes Jahr.
Paul pennt noch immer. Vielleicht hat er schon geschlafen, als der Werks-Porsche 911 GT3 RSR von Manthey sich mit einer riesigen Wasserdampfschleppe in die Boxen rettete, weil schon in der ersten Runde ein Billigschlauch platzte. Mit Sicherheit hat er dann die wilde Aufholjagd der Mannen um Timo Bernhard verpennt. Hat er die beiden VW Scirocco gesehen, die letztlich den Klassensieg auf Gesamtplatz 11 und 15? Hat er gemerkt, wie die Seat-Leute um einen Platz unter den ersten 20 zitterten und letztlich den 16. Rang feierten? Hat er getrauert, als der wunderschöne Aston Martin DBRS9 als letzter gewerteter Renner mit einem Rückstand von 67 Runden auf Gesamtrang 150 übers Ziel humpelte? Hat er überhaupt bemerkt, dass der angekündigte Audi R8 gar nicht mitraste?
Egal. Paul wird's nicht stören. Vielleicht schläft er nirgends besser als hier - bei der schönsten Fete der Welt. Wo jeder machen kann, was er will. Fast zumindest.
Chromjuwelen.com sagt Danke an Seat, Yokohama, IK media, Nürburgring GmbH
-> Link: Alle Fotos vom 24h-Rennen in der Fotogalerie
Keine Ahnung, wie lange Paul da schon seinen Rausch ausschläft. Seit gut fünfeinhalb Stunden jagen 217 Autos über die Rennstrecke - Fiat 500 gegen Porsche GT3, Fiat 500 gegen Gumpert Apollo Hybrid, Opel Manta mit Fuchsschwanz an der Antenne gegen Aston Martin DBRS9, Seat Leon Supercopa gegen Lamborghini Gallardo, Issigonis' Mini gegen Hackenbergs VW Scirocco. Lärm wie bei McDonalds zur Mittagszeit. Vielleicht hat Paul schon den Start um 15 Uhr verschlafen. Wie andere auch. Hier liegen bereits jetzt so viele Pfandflaschen auf dem Waldboden, dass von dem Erlös eine Familie nach Mallorca reisen könnte.
Am Brünnchen stehen, sitzen, liegen die wildesten Fans des 24-Stunden-Rennens am Nürburgring. Das ist das größte Motorsportspektakel der Welt, der alljährliche, ultimative Sündenpfuhl, die chaotischste aller Party-Meilen. 220.000 Menschen rund um den Ring, viele planen ihr persönliches Fest-Highlight 53 Wochen lang. Männer, Frauen, Kinder. Feiernd, saufend, mitfiebernd, schlafend, weinend, grillend. Um das ausgiebig zu zelebrieren wird schon eine Woche vorher die Eifel zugecampt, allerdings mit Duldung der Bauern und Behörden, die Wiesen und Auen dafür freigeben. Kein Wasser, kaum Strom, aber waschen und rasieren kann man sich danach ja auch wieder zu Hause. Und wer mutmaßt, dass die Bäume rund um den Ring so groß sind, weil Sie einmal im Jahr übermäßig gedüngt werden, liegt gar nicht mal so falsch.
Der Ring. Beim 24-Stunden-Rennen genau 25,378 Kilometer lang, weil Teile der GP-Strecke mitgenutzt werden. Schließlich sind da die Boxen - Refugium für waidwunde Autos, Fernseh- und Schlafraum für Mechaniker, Ziel von Tag- und Nachtschwärmern. Da sind auch die Lounges, das Hotel, die edleren Sitzplätze auf den Tribünen. Hier verfolgt der Zuschaueradel das Rennen, nicht ganz so naturnah wie im Wald, aber doch so ausdauernd, dass auch hier noch um fünf Uhr morgens ein paar Rennleichen rumhängen.
Wer sich für die Platzierungen von Teams, Autos, Marken interessiert, gehört meistens zu Teams, Autos, Marken. In den Boxen wird nachmittags, abends, in der Nacht, gefiebert, geschraubt, geschimpft, gelobt, am nächsten Morgen und Mittags hauptsächlich geschlafen. Viele Schrauber sind nach durchgemachter Nacht völlig fertig, die Kalorien aus den nächtlichen Currywürsten verbraucht, die Adrenalinvorräte erschöpft.
Der überlebende Rest der Zuschauer verrenkt sich unterdessen immer noch die Hälse nach Boliden, die man schon Kilometer vorher hört, bevor sie am jeweiligen Beobachtungspunkt vorbeirasen. An Wehrseifen und Breitscheid, am Hatzenbach, am Kallenhard, am Karussell, am Pflanzgarten. ''Vrrrrrooooooooaaaaaaarrrrrrrammmm'' macht nur die Viper, deren Lastwagenmotor für ein Beben in der Magengegend sorgt. ''Yeeeeeääääääähhhh'' mit kräftigem ''Äääääiiiouuuuh'' beim Runterschalten stammt vom Lambo-Zehnzylinder, und ein Honda Type R röhrt immerhin noch ein sportliches ''Rrrrrrrrhhhhhhh''. Mindestens 1440 Minuten lang. Oder 86.400 Sekunden. Eine besser als die andere. Das ist purer Wahn für die Sinne.
Der vor 38 Jahren begann. 1970, beim ersten Dauerlauf, siegte Stuck und Schickentanz auf einem BMW 2002 ti. Nur dreimal bis heute fiel das Rennen aus: 1974 und 1975 wegen der Ölkrise, 1983 wegen Umbaus der Strecke. Für viele Fans ist ein Jahr ohne 24-Stunden-Rennen am Ring undenkbar - ein Jahr ohne Ölgeruch, ohne den betörenden Duft von Rennabgasen, ohne blinkende Lichter auf den Autos der abschleppenden Streckenwagen und ohne Feuerwerk, Lagerfeuer, übersteuerter Musik von schmalzigen Schlagern bis zum 70er-Jahre-Rock ist ein verlorenes Jahr.
Paul pennt noch immer. Vielleicht hat er schon geschlafen, als der Werks-Porsche 911 GT3 RSR von Manthey sich mit einer riesigen Wasserdampfschleppe in die Boxen rettete, weil schon in der ersten Runde ein Billigschlauch platzte. Mit Sicherheit hat er dann die wilde Aufholjagd der Mannen um Timo Bernhard verpennt. Hat er die beiden VW Scirocco gesehen, die letztlich den Klassensieg auf Gesamtplatz 11 und 15? Hat er gemerkt, wie die Seat-Leute um einen Platz unter den ersten 20 zitterten und letztlich den 16. Rang feierten? Hat er getrauert, als der wunderschöne Aston Martin DBRS9 als letzter gewerteter Renner mit einem Rückstand von 67 Runden auf Gesamtrang 150 übers Ziel humpelte? Hat er überhaupt bemerkt, dass der angekündigte Audi R8 gar nicht mitraste?
Egal. Paul wird's nicht stören. Vielleicht schläft er nirgends besser als hier - bei der schönsten Fete der Welt. Wo jeder machen kann, was er will. Fast zumindest.
Chromjuwelen.com sagt Danke an Seat, Yokohama, IK media, Nürburgring GmbH
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