IAA 2013: Auf der Suche nach dem automobilsten Signal in die Zukunft
Um es vorweg zu nehmen: Ich bin kein großer Freund von Messen. Die massiven Marketing-Attacken beeindrucken mich wenig. Auch nicht die Shows. Wenngleich ich eigentlich die Zielgruppe bin — oder sein sollte. Auto-Messen haben zudem damit zu kämpfen, dass stehende Autos ihres natürlichen Umfeldes beraubt wurden. Dabei erhalten Fahrzeuge ihre Strahlkraft erst durch den Kontext aus Bewegung, ihrer Anwesenheit im Straßenbild und nicht zuletzt durch diejenigen, die sie benutzen. Aber eben all das kann man auf Messen nur schwer inszenieren. Geschweige denn erfassen.
Auf Messen sind Besucher Zaungäste, die einen Blick in die polierten Reagenzgläser der Industrie werfen dürfen. Sie lauschen den kommunizierten Superlativen und versuchen, zwischen den Zeilen zu lesen, welche Aussagen in der realen Welt funktionieren mögen. Die Mantras werden gleich mitgeliefert — größer, schneller, sicherer, effizienter und emotionaler. Und für die persönliche Argumentation werden sogar noch Zahlen gereicht. "Mehr Fassungsvermögen in Litern, mehr Leistung in PS/KW/Nm," oder was auch immer.
In meiner Rolle als Zaungast beschäftige ich mich aber nicht nur mit dem Bewerten einzelner Modelle oder Marken. Vielmehr geht es mir um Inspiration und um die Signale, die diese (Leit)Messe für die nächsten Jahre ausendet. Peter Ruch fragt provokant "Wasduwolle?" und interpretiert die Antwort der Industrie: "Abverkauf". Selbst wenn man seine Thesen wiederlegen möchte, so richtig gelingen mag das nicht.
Signale der IAA
Damit wären wir bei dem ersten Signal der Messe: Segmentvielfalt.
Die Auswüchse sind beachtlich. Jeder Hersteller, jede Marke bohrt die eigene Produktpalette auch in den kleinsten Nischen auf — ganz gleich, ob es dem eigenen Stammbaum entspricht. Große bis kleine SUVs, Crossovers, Sportwagen in jeglicher Bauform, Kombis, Kleinwagen, Evolutionmodelle. Alles ist mindestens als Konzeptstudie vorhanden, sowieso in jeder Mortorisierung, bei jedem. Auch nicht verwunderlich — die Modelle scheinen auf die Wachstumsmärkte Asiens zugeschnitten zu sein. Hier besteht Nachholbedarf, der mit vielen Modellen und mit wenigen formalen Unterschieden befriedigt wird. Es mag an meiner Sichtweise liegen, aber ich habe kein Modell gesehen, das kleiner oder schwächer geworden ist. "Downsizing" besitzt auf jeden Fall noch keine spürbare (kommunikative) Relevanz.
Vergleichbare Modelle im globalen Design führen zum nächsten Signal: Featurism.
Es gibt kaum einen Assistenten, der nicht in irgendeinem Fahrzeug nicht verfügbar ist. Sie dienen der Sicherheit, dem Fahrkomfort, dem alltäglichen Fahren. Viele der kleinen Helferlein sind längst zur Gewohnheit geworden. Beinahe inflationär halten sie jetzt Einzug in neue Modelle, auch um den schwachen USP zu stärken. Nächster Stopp: Automatisiertes Fahren. So interessant viele Features sein mögen, die das Fahren ergänzen, so absurd wirken dagegen die meisten Entertainment-Features. Denn zumeist hinken sie den technischen Kompetenzen eines Mittelklasse-Smartphones drastisch hinterher.
Neue Features in alter Hülle, das dritte Signal: (technische) Stagnation.
In den Reagenzgläsern der IAA erkennen wir kaum grundlegende Veränderung. Wir sehen keine Innovationen, die die Mobilität an sich neu definieren. Es wirkt stellenweise beschämend verzweifelt, wie die einzelnen Marken sich bemühen, visionär und jung zu wirken. Ohne es aber zu sein. Wir leben im Zeitalter der Energiewenden, der Finanzkrisen und der Werteverschiebungen innerhalb der Gesellschaften. Kaum ein Produkt reflektiert aber diese Entwicklungen. Es wirkt, als säße ein Kaninchen vor einer Schlange. Und die Schlange heißt mit Vornamen "Zukunft", mit Nachnamen "Innovation".
Ausrichtung auf die Jugend
Im übertragenen Sinn wirkt es, als habe sich ein Senior eine Jeans angezogen, um jünger zu wirken. Und um seine angezogene Jugend zu unterstreichen, hat er sich auch noch gleich ein paar modische Accessoires zugelegt. Dabei vergisst er nicht, in jeder Form der Kommunikation genau darauf aufmerksam zu machen. Das Problem nur: Der Mann bleibt älteren Semesters. Solange er nicht im Kopf seine Einstellung und seinen Habitus ändert.
Die Ausrichtung auf die Jugend hat gerade in den alten Märkten einen Grund. Denn jüngere Zielgruppen verweigern sich mehr und mehr den traditionellen Formen der Mobilität — und damit dem Besitz. Peter Ruch erkennt einen endlichen, traditionellen Markt. Die Branche wohl auch, ansonsten macht die Anstrengung, jung zu erscheinen, keinen Sinn. Das Dilemma: Es gibt noch einen funktionierenden traditionellen Markt, im dem abverkauft werden kann. Einen großen Markt, wie die IAA zeigt. Robert Basic interpretiert diesen Zustand treffend als Nokia-Effekt. Aber was kommt dann?
Jugend definiert sich über Mut, Neugierde, Risikobereitschaft und Ungeduld. Jugend ist aber eines nicht: rückwärtsgerichtet. Das gilt es zu verstehen, wenn man mit dieser Zielgruppe auf Augenhöhe kommunizieren möchte. Es geht um Menschen, Geschichten und Visionen. Auf der Messe muss man diese aber suchen. Und dennoch gibt es sie, die Marken, die sich trauen "jung" zu sein. Hersteller, die Alternativen liefern.
Jugentliche Highlights
Das sind die zaghaften Großen: Toyota, Mitsubishi, Nissan, Smart und GM/Opel. Sie haben es immerhin gewagt, frühzeitig auf Alternativen zu setzen. Oder zum Beispiel Renault, mit seinem Engagement im Bereich Elektroantrieb. Was mir besonders gefällt: Sie experimentieren mit dem Thema, sind mutig und trauen sich, neue Wege zu gehen. Twizzy und Zoe sind jugentliche Signale.
Mein persönliches Highlight auf dieser IAA ist BMW. Von den großen, etablierten Unternehmen schaffen sie es als einzige, ein echtes Statement abzuliefern. Sie haben nicht nur das Antriebskonzept verändert, sie haben es gewagt, das Auto neu zu denken. Von der Produktion, über die Materialien, bis zur formalen Aussage ist ein neuer Weg eingeschlagen worden. Und darüber hinaus wird eine Vision dokumentiert, die schon jetzt Grundlade für mehr Geschichten und Erlebnisse ist, als die meisten anderen Fahrzeuge liefern. Und das, obwohl bisher praktisch niemand dieses Auto erleben konnte.
Es gibt noch ein weiteres Highlight: Tesla. Auch, wenn es keine Neuheiten zu bestaunen sind. Es ist eher die Summe aus Standort und Design des Messestandes, was beeindruckt: Messe-Standard-Weiß. Nein, nicht der Stand an sich, nicht die Fahrzeuge, sind bemerkenswert — sondern die große Anzahl, das Alter und der Habitus der Besucher, die eben nicht aus "Spesenrittern und Büffetfräsen" besteht, wie Fabian Mechtel schulterzuckend aber treffend feststellt.
BMW und Tesla haben etwas gemeinsam. Beide Marken wirken jung, emotional und modern — und ziehen damit genau die richtigen Menschen an. Die einen (BMW), weil sie einen mutigen Weg beschreiten, die anderen (Tesla) weil sie jung am Markt sind und sich den Luxus leisten, über den Tellerrand zu schauen. Dadurch erzeugen sie Begehrlichkeiten, liefern Gesprächsstoff und nicht zuletzt einen neuen Zugang zur Marke bzw. zur Mobilität im allgemeinen.
So ist es nicht verwunderlich, dass meine Messe-Highlights auf deren Ständen zu sehen sind. Allen voran das Model S, dem einzigen Auto auf der Messe, für das ich echte Anstrengungen unternehmen würde, es zu besitzen. BMW i3 oder i8, weil ich damit ein Zeichen setzen könnte. Für mich, für meine Umwelt, weil ich eben mehr als nur ein neues Automodell benötige.
Der ganze Rest, auch die Frauen
Den Rest kann man als "Business As Usual" beschreiben, dessen Highlights eben über Leistungsdaten oder Preis (Luxus) definiert werden. Ab 300 PS oder jenseits der 100.000 EUR gibt es einiges, über das man sprechen kann. Für die Jugend sind das allerdings unerschwingliche Träume, die für die meisten in den nächsten Jahrzehnten (finanziell) unerreichbar bleiben werden — und doch die Kommunikation beherschen.
Sandra Schink hat übrigens ein weiteren, interessanten Aspekt behandelt. "Guckt doch nicht so böse!", titelt sie. Zwischen den Zeilen gelesen, liefert sie einen Ansatz, wie sich die Automobilindustrie den "jungen Kunden" vorstellt: Männlich, (motor)leistungsorientiert, sportlich dynamisches Design bevorzugend und nicht zuletzt wohlhabend. Demzufolge scheint es, als habe man 50% des Kundenkreises, die Frauen, auf dieser IAA außer acht gelassen.