Mercedes-Benz E Klasse: Zwischen Tradition und Moderne

"Willkommen zu Hause" – das war der Titel der Kampagne für die Mercedes-Benz E-Klasse der Baureihe W 124 von Springer & Jacoby, der damals vielleicht hippsten Werbeagentur Deutschlands. Die gewohnte Athmosphaäre eines Mercedes-Benz erleichtert, gibt Ruhe, wirkt wohltuend entstressend, so die Werbebotschaft. Damals um 1990.

Warum diese Einleitung? Ganz einfach: Für die Vorstellung der aktuellen E-Klasse verschlägt es uns ebenfalls in das marokkanische Marrakesch. Also genau in den Landstrich, der in besagtem Werbespot für Unbehagen sorgte. Wir sind von Mercedes-Benz eingeladen, Hintergründe zu Design und Zukunft dieser Baureihe zu erfahren.

  

Seit dem polarisierenden Werbefilmchen sind ein paar Jahre vergangen. Die E-Klasse hat einige Evolutionsstufen hinter sich, die Welt ebenfalls. Die 90er waren in vieler Hinsicht besondere Jahre: Wiedervereinigung, das Internet begann seinen Aufstieg zum Massenmedium, Hong-Kong wurde chinesisch, die Globalisierung begann. Und bei Mercedes-Benz begannen sich die Baureihen zu diversifizieren.

Bis zu der 124er Baureihe war man bei Mercedes-Benz sehr fokussiert, und drei Baureihen bestimmten die Modellpalette. Ein Mercedes-Benz war ein deutsches Produkt: Gebaut in Deutschland, angeboten in Deutschland, gemacht für Deutschland. International kaufte man genau das, ein deutsches Produkt. Deutsche Produkte hatten auch geforderte Eigenschaften: Zuverlässigkeit, Langlebigkeit, herausragende Fertigung – eben "German Engineering".

Wenn man so will, stand Mercedes-Benz für Deutschland, wie das Schwarzwaldhaus oder das Design des Bauhaus. Wo immer man auf der Welt war, konnte man diese "deutschen Werte" finden, und als Deutscher war man stolz, ein Teil davon zu sein.

Heute, wo die Welt längst zusammengerückt ist, haben Produkte andere Prämissen. Sie müssen sich in einem globalen Markt behaupten. Deutsches Design ist international geworden, aber geblieben ist vielleicht der wertvollste Aspekt der 90er Jahre: das "German Engineering". Eben die exponierte Stellung, die sich die deutsche (Auto-)Industrie in den letzten Dekaden des 20en Jahrhunderts erarbeitet hat.

Wie viel "Willkommen zu Hause" steckt in der neuen E-Klasse?

Noch einmal Marrakesch, hier lässt sich die Blutlinie der E-Klasse ideal nachvollziehen. 40.000 Taxen, allesamt E-Klassen ab der Baureihe W123, dominieren das Straßenbild. Nicht selten haben sie eine Million und mehr Kilometer hinter sich. German Engineering – spätestens jetzt kann man es nachvollziehen, hat viel mit Funktion zu tun. Und Zuverlässigkeit.

    

Die neue E-Klasse setzt diese Blutlinie deutlich dynamischer fort. War das Design der 80er Jahre eher funktional und gediegen, wird es in den Folgejahren zunehmend dynamisch. Den Werbespot von damals auf die neue E-Klasse umzusetzen hieße, aus "Willkommen zu Hause" ein "Lass uns (schnell) nach Hause fahren" zu machen.

Die E-Klasse war immer schon schnell, jetzt sieht sie schnell aus. Besonders dann, wenn man die Ausstattungsvarianten "Avantgarde" wählt, mit SL-typischem Zentralstern. Es gibt auch die Möglichkeit, das Design zu entschleunigen. Die Ausstattunglinie "Elegance" besitzt den typischen Mercedes-Benz-Kühler inklusive Stern.

Autofahren mit einem anderen Stern

Ob mit oder ohne entschleunigtem Design – die E-Klasse macht Spass, fährt tadellos und hat so ziemlich alles, was man in einem modernen Auto vermutet und noch mehr. Fahrassistenten für jede Lebenslage und Verkehrssituation beweisen: Autonomes Fahren ist längst möglich. Wer es mag, kann sich mit einem Minimum an Eingriffen chauffieren lassen, auch wenn es etwas unheimlich anmutet, so viel Kontrolle an eine unsichtbare Technik zu übergeben, die u.a. auf die Namen PRE-SAFE® PLUS und DISTRONIC PLUS hören.

    

Das Licht ist serienmäßig ein Voll-LED Scheinwerfer, der sich auf die äußeren Gegebenheiten anpasst. Ein Unterschied zwischen Fernlicht und Abblendlicht gibt es nicht mehr. Vielmehr werden die Lichtkegel entsprechend der Anforderungen angepasst, was sehr beeindruckend funktioniert – und, das ist vielleicht das Erstaunliche, ein komplettes Autoleben lang wartungsfrei funktionieren soll.

Biturbo-Stern E 63 AMG

    

Es ist unbestritten: Die Evolutionsmodelle der meisten Baureihen üben die größte Faszination aus. Beim E 63 werden diese durch einen wohlklingenden V8 Biturbo mit 500-600 PS und einem Drehmoment von 800 Nm erzeugt. Besitzt man etwas Testosteron im Blut, mutiert man unweigerlich zum Mr. Hyde. Man vergisst alles, was irgendwie mit Vernunft zu tun hat, blendet CO2 Emmisionen, Verbrauch oder Geschwindigkeitsbegrenzungen einfach aus. Es scheint da nur konsequent, dass fast alle Testfahrer die meisten Fahrhilfen abgeschaltet oder wenigstens eingeschränkt haben. Im Testosteronrausch möchte man nicht bevormundet werden, schon gar nicht von seinem Auto.

Stern oder nicht Stern

Zum ersten Mal seit Bestehen der E-Klasse rückt Mercedes-Benz von dem Stern auf der Motorhaube ab und bietet eine Alternative mit Zetralstern an. Auch hier sei noch einmal die Kampagne von S&J aus den 80er zitiert:

Es ist wohl ein Tribut an die Verjüngung der Marke, dass ein schleichender Wegfall dieses Ersatzteils stattfindet. Und dass es passiert, ist angesichts der Rückmeldungen aus dem Markt verständlich. Nachfragen führen zu einer klassischen Pattsituation. Während die traditionellen Mercedes-Benz-Fahrer auf ihren Stern nicht verzichten möchten, sind andere, markenferne Befragte der SL-Optik zugeneigt.

So wird sich die Wahrheit auf dem Gebrauchtwagenmarkt der nächsten 10 Jahre zeigen, welche Front auf lange Sicht begehrter oder wertstabiler ist.

  

Ich bevorzuge das klassische Mercedes Design. Ich mag Tradition, diesen besonderen Effekt, den ein Stern auf der Motorhaube im täglichen Straßenverkehr vermittelt. Das ist der Dr. Jekyll in mir. Aber es gibt diese Momente in denen Mr. Hyde die Oberhand gewinnt. In diesem Zustand ist Tradition nicht so wichtig.

Weitere Artikel aus dem Netzwerk:

• Die neue E-Klasse, der Zentralstern und überhaupt.
• Fahrbericht E63 AMG und E63 AMG 4Matic S Modell
• Angefahren: Die neue E-Klasse im Fahrbericht
  
• Yippie Yah Yei Schweinebacke! 8 Stunden im Mercedes-Benz E63 AMG S 4MATIC
  

Weitere Impressionen aus Marrakesch und Barcelona

     

Link: Fotogalerie
Link: Mercedes-Benz E-Klasse