90 Zitronen für ein Halleluja, 90 Jahre Citroën Schweiz-1820
Citroën in der Schweiz
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Die am meisten gesammelte Automarke der Welt? Nicht Porsche, nicht Ferrari, nicht Mercedes-Benz. Laut José Peixoto ist es Citroën. «Die Marke hatte schon immer einen speziellen Status in der Autoszene und steht für das französische Fahrzeug schlechthin», erzählt der Pressesprecher von Citroën Schweiz. Was die Anzahl Clubs hierzulande angeht, ist die Marke ebenfalls top. Und so muss es wohl nicht allzu viel Mühe bereitet haben, für jedes Jahr, in dem Citroën in der Schweiz offiziell vertreten ist, ein Auto aufzubieten. Von den Typen B2 Torpedo und Normande von 1924 über die «Gangsterlimousine» Traction Avant und seltene Augenweiden wie das DS Cabriolet von Karosseriebauer Henri Chapron bis hin zu 2CV, DS und LM ist auf der Jubiläumsfeier alles vertreten, was in der Firmengeschichte Bedeutung hatte. Und selbstverständlich reiht sich auch das eine oder andere aktuelle Modell unter die 90 «Zitronen», die vor dem Jungfrau Park in Interlaken versammelt stehen.
Der Kosename kommt nicht von ungefähr. Die Vorfahren des Firmengründers waren Früchtehändler in Amsterdam; Citroën ist vom holländischen Namen Lemonenman abgeleitet. André Citroën war wiederum Ingenieur, doch seine Arbeit trug genauso Früchte, denn er hatte sowohl Innovationsgeist als auch einen ausgeprägten Sinn für Marketing. Auf das Doppelwinkel-Logo brachten ihn Getriebe-Zahnradteile, die er in Polen entdeckte und patentieren liess. 1919 baute er mit dem Typ A 10HP sein erstes Auto – das erste auf dem Markt, das einen Elektrostarter hatte – und bewarb es, indem er den Eiffelturm mit dem Firmennamen beleuchten liess. Am 24. September 1924 wurde in Genf die erste Schweizer Niederlassung für den Import der Fahrzeuge eröffnet, doch Schlotterbeck in Basel und andere private Importeure hatten das Potenzial des Citroëns schon davor erkannt und mit dem Verkauf begonnen.
Heute erinnert man sich vor allem an den Traction Avant, der von 1934 bis 1957 vom Band lief. Dass dieses Auto über zwanzig Jahre in praktisch unveränderter Form gebaut wurde war nur möglich, weil es seiner Zeit voraus war. Es war der erste Serienwagen mit Frontantrieb und selbsttragender Karosserie, es wog weniger als zeitgenössische Fahrzeuge und bestach zudem mit überdurchschnittlichen Fahreigenschaften. Wirtschaftskrise und die Investitionen in das neue Modell trieben die Firma dennoch in den Ruin. 1935 wurde Citroën an den Hauptgläubiger Michelin verkauft, noch im selben Jahr starb der Firmengründer. Den Erfolg seiner neuesten Schöpfung durfte er nicht mehr erleben, sein Pioniergeist aber blieb erhalten, denn schon 1949 stellte Citroën mit dem 2CV einen weiteren Meilenstein in der Automobilgeschichte auf die Räder.
Die minimalistische, anfangs noch belächelte «Ente» blieb vierzig Jahre lang in Produktion und wurde über fünf Millionen mal verkauft.
Am Firmensitz von PSA in Paris scheinen historische Fahrzeuge keine Priorität zu haben. Eine Klassik-Abteilung wie bei Porsche oder Mercedes gibt es nicht. Es sind die Sammler, welche die Historie mit viel Herzblut und finanziellem Aufwand am Leben erhalten. Während die 90 Fahrzeuge sortiert nach Alter im Konvoi um den Brienzersee fahren, gibt es viel Applaus von der Strassenseite. Die Reaktionen erfüllen die Fahrer mit Stolz. So auch Gabriel Egloff, der Besitzer eines DS 21 Pallas, mit dem wir unterwegs sein dürfen. 13‘000 Franken kostete der DS 19 im Jahr 1957 – rund 1‘000 Franken mehr als ein Opel Kapitän oder Ford Zodiac. Aber die waren höchstens in der Grösse vergleichbar. Während wir wie auf einem Stubensofa über dem Asphalt schwebend die Aussicht auf See und Berge geniessen, erklärt Egloff, warum der DS zwanzig Jahre nach dem Traction Avant ein Quantensprung war. Stromlinienform, hydropneumatische Federung, variable Bodenfreiheit, Zweikreisbremsanlage, innenliegende Scheibenbremsen vorne, eine um 20 Zentimeter breitere vordere Spur um den langen Radstand zu kompensieren, serienmässige Gürtelreifen von Michelin, Ein-Speichen-Lenkrad, um den Fahrer bei Unfällen nicht aufzuspiessen, Kompressor-Horn – bis die Liste der Innovationen aufgezählt ist, sind wir schon fast wieder in Interlaken, vor dem Kursaal, angekommen. Auf die Frage, ob das jetzt das Auto von morgen sei, habe Flaminio Bertini, der Designer des DS Folgendes geantwortet: «Nein, das ist ein Auto von heute, alle anderen sind von gestern.»
Zweifellos hatte der DS viele Entwicklungen vorweggenommen, die heute selbstverständlich erscheinen. Doch es brauchte auch seine Zeit, bis die Händler und selbst das Werk alle revolutionären Eigenheiten in den Griff bekamen. Die Déesse, Göttin, hatte schnell den Ruf einer empfindlichen Diva mit einer Vorliebe für rostige Farben.
«Das Auto brauchte mechanisches Verständnis von geschulten Serviceleuten», weiss Egloff, «und bei den ersten Modellen hat die Hydraulikflüssigkeit Feuchtigkeit aufgenommen, was zu Korrosion führte. Erst später wechselte Citroën zu einer problemlosen mineralischen Flüssigkeit».
Dass sich viele DS als «Lemons» – auf Englisch Schrottkarre – erwiesen, tut ihrer Beliebtheit keinen Abbruch. Heute werden die Fahrzeuge bis zum Fünffachen des ursprünglichen Preises gehandelt. Und heute besinnt sich auch der Hersteller auf den Luxuscharakter des Klassikers und führt DS als eigenständige Submarke, sozusagen als eigene Sorte von Zitronen für besondere Feinschmecker. Ueber 530‘000 Citroëns wurden seit 1924 in der Schweiz verkauft; in diesem Jahr sollen es 13‘000 werden, was einem Marktanteil von über 4% entspricht.
Herzlichen Dank an Hans Treml. Der uns schon die schöne Story zu 40 Jahre Porsche Turbo geschrieben hatte.
Viel mehr wunderbare, alte Citroën gibt es in unserem Archiv.
Original: radical