Mit Risiko zum Erfolg, 40 Jahre Porsche turbo-1815
40 Jahre Porsche turbo
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Antizyklisches Verhalten nennt man bei Börsenanlegern, wenn sie dem Trend nicht mehr trauen und genau das Gegenteil davon tun, was die Mehrheit vorgibt. Sie spekulieren damit, dass sie die Trendwende früher als alle anderen erkennen, eine meist riskante Strategie.
Dass ein Automobilhersteller sich so verhält und damit millionenschwere Investitionen aufs Spiel setzt, gilt als eher unwahrscheinlich. Genau dies geschah jedoch vor vierzig Jahren, als Porsche mitten in der Rezession und der Ölkrise von 1974 den 911 mit Turbomotor auf den Markt brachte. Zu einer Zeit, als die Benzinpreise in die Höhe schossen und einzelne Regionen bereits Tempolimits oder ein Fahrverbot am Sonntag in Erwägung zogen, erschien ein neuer 911 mit hohem Benzinverbrauch und Abgaswerten an der Grenze des Erlaubten, ein ökologischer Big Foot. Wahrscheinlich ein Suizid für jede andere Automarke, aber Porsche hatte ja seine betuchten Stammkunden, die mehr Leistung wollten und sich wortwörtlich einen Dreck um den Rest kümmerten. Kurz: die geplanten 400 Turbos waren schnell ausverkauft und nach dem zweiten Produktionsjahr wurde die Tausendergrenze bereits überschritten. Seither sind die 911 Turbos ein fester Bestandteil von Porsches Programm. Ein überdurchschnittlicher Anteil davon geht in die Schweiz, wo man der Marke aus Stuttgart schon immer besonders zugetan war, seit 1948 eine Frau Rosemarie Muff als erste Kundin einen Porsche auf unsere Strassen brachte.
Drei Schweizer hatten Anteile ganz unterschiedlicher Art bei der Entwicklung des Porsche Turbo. Der Ingenieur Alfred Büchi sicherte sich schon 1905 ein Patent für einen mittels Turbine und Verdichter aufgeladenen Viertaktmotor. Damit konnte er bei Schiffsdieselmotoren die Leistung um vierzig Prozent steigern. Anfangs der siebziger Jahre bot der Ex-Rennfahrer und Ingenieur Michael May ein Turbo-Kit für den Ford Capri an, der die Leistung auf 180 PS aus 2,3 Liter Kubik steigerte.
Porsche-Entwicklungschef Ferdinand Piech wurde auf dieses Auto aufmerksam und kaufte ein Exemplar zum Studium, wandte sich aber nach Testfahrten bald ernüchtert wieder davon ab. 1974 schliesslich war es Herbert Müller, der unvergessene «Stumpen-Herbie» aus Reinach, der den 911 Carrera RSR Turbo 2.1 auf den Rennstrecken fuhr und damit bei den 24 Stunden von Le Mans erstaunlicher Zweiter wurde. Mit dem Turbolader von KKK wurde die Motorleistung von 330 auf über 500 PS erhöht, wobei die 90‘000 Umdrehungen des Laders einen Pfeifton erzeugten, der sogar das typische Brummen des 911 übertönte. Der Rennsport als Prüflabor für die Serienfahrzeuge galt bei Porsche schon immer als feste Devise.
Das vierzigjährige Jubiläum war Anlass für Porsche, drei Exemplare aus ihrem wunderbaren Museumsbestand ins Tessin zu bringen, wo sie auf den engen Strassen und Kurven des Centovalli und im Maggiatal zum Vergleichstest zur Verfügung standen.
Mit dem diesjährigen Turbo S gibt es inzwischen bereits acht Generationen, angefangen mit dem Typ 930, der von 1974 bis 1989 gebaut wurde. Ein solcher Wagen aus dem letzten Baujahr mit 300 PS aus 3.3 Litern Hubraum stand neben einem 964 Turbo von 1991 mit Vierradantrieb und einem feuerroten 993 Turbo WLS II von 1996 mit 408 PS. Neben dem grosszügigen Platz für Fahrer und Beifahrer ist ihnen allen gemein, dass sie leicht und problemlos im Stadtverkehr bewegt werden können wie ein Alltagsauto. Erst wenn das Gaspedal durchgedrückt wird, «tut sich etwas», und zwar geräuschvoll und pulsbeschleunigend. Aber das Beherrschen dieser Autos war wohl bei ihrer Einführung noch nicht so einfach. Dieter Landenberger, Leiter des Historischen Archivs bei Porsche, erzählte von Auffahrunfällen auf der Autobahn, weil der brutal eintretende Turboschub die Fahrer überraschte, bevor sie auf die Überholspur gewechselt hatten. Dies war eine Folge des «Turbo-Lochs», das entstand, weil die im Abgasstrom laufende Verdichter-Turbine deutlich verzögert auf Veränderungen von Gaspedalstellung und Motorendrahzahl reagierte. Porsche behalf sich damit, dass den Kunden Fahrkurse angeboten wurden, aber die ersten Turbos behielten den Ruf als Fahrzeuge für harte Männer und Frauen.
Tempi passati. Nichts von alldem war bei den getesteten Fahrzeugen zu spüren, der Einsatz der Turbolader war kaum wahrzunehmen. Aber wenn sie beim Beschleunigen und Überholen gebraucht wurden, spürte man auch bei den neueren Modellen die Tigerkrallen - die Autos mutierten zu hochkarätigen Geschossen. Dass es aber keine Rennwagen waren, zeigten die Innenausstattungen, die sonst nur die zeitgenössischen S-Modelle der Stuttgarter Konkurrenz aufweisen konnten. Auch in punkto Umweltverträglichkeit und Benzinverbrauch passte man sich über die Jahre dem Zeitgeist an, eben zyklisch dem allgemeinen Trend folgend. Trotzdem blieb über die vier Jahrzehnte ein Porsche Turbo immer mehr eine Sache des Herzens als der Vernunft.
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Original: radical