Open Menu
Open Menu
 ::

Die Künstler und das Auto, 50 Jahre Opel Design (2)-1783

Published in radical-classics.com

50 Jahre Opel Design (2)

(Hier geht es zum ersten Teil...)

Die Idee für ein neu ausgerichtetes Design- Studio brachte der Amerikaner Clare M. MacKichan bereits 1962 mit nach Rüsselsheim. Als ehemaliger Chefstylist von Chevrolet in Detroit übernahm er zunächst die Leitung des Stylings bei Opel. Und was in den Vereinigten Staaten funktionierte, konnte für die Alte Welt nicht schlecht sein. General Motors war der erste Automobilhersteller der Welt, der 1927 eine Designabteilung gründete: die Art & Colour Section in Detroit, die vom legendären Harley Earl geleitet wurde. 1937 wurde sie in GM Styling Section umbenannt und Harley Earl beauftragte das Advanced Styling Team mit der Entwicklung des ersten wirklichen Konzeptfahrzeugs der Automobilgeschichte.

Die Formenphilosophie der Y-Job-Studie – eines grossen Cabrioletts der Marke Buick – war von Solidität, Klarheit und Anspruch geprägt. Grosse, glatte Flächen und klare Linien machten den Y-Job zu einem aufsehenerregenden Konzeptfahrzeug, dessen formale Ansätze im weiteren Verlauf der Geschichte in vielen Automobilen der Muttergesellschaft GM und ihren Tochterunternehmer wiederzuerkennen waren.

Die vergleichsweise kleine und eher stiefmütterlich behandelte Abteilung im sogenannten «Modellraum» unter dem Dach des früheren Gebäudes E36 muss MacKichan schon zu Beginn seiner Arbeit in Rüsselsheim als eng und bedrückend empfunden haben. Wenig Platz und hausbackene Entwicklungsmethoden waren gar nicht nach dem Geschmack des ehrgeizigen Designers aus den Vereinigten Staaten. Die altmodischen Strukturen und Vorgehensweisen, die mit denen aller anderen Marken in Europa vergleichbar waren, konnten ihn nicht zufriedenstellen. Schliesslich prägten die Erfahrungen in der grössten und modernsten Styling-Organisation seine Erinnerungen an das GM-Styling, in dem mehr als tausend Designer und Kreative nicht nur futuristische automobile Formen erdachten, sondern sogar die gesellschaftlichen Strukturen der Zukunft prägten.

Opel

In Warren (Michigan), ganz in der Nähe der damals boomenden Autostadt Detroit, hatte General Motors schon 1956 ein komplett neues und überaus grosszügiges Design-Studio eingerichtet, das seinen Platz im weltweit ersten Industriepark hatte, dem GM Tech Center. Gestaltet hatte es der finnische Architekt Eero Saarinen. Vor diesem Hintergrund entstand Clare MacKichans Traum, das Styling-Center in Warren in Rüsselsheim nachzubauen.

Und er verwirklichte diese Vision. Nicht nur die Strukturen und Arbeitsmethoden, auch die Architektur des Gebäudes und das Layout der Studios einschliesslich des ausdrucksstarken Eingangsbereichs wurden im verkleinerten und den Geländegegebenheiten angepassten Massstab nach Rüsselsheim übertragen. Das neue Studio in Deutschland, dem Geburtsort des Automobils, war ein nur folgerichtiger Schritt. Stark waren die Einflüsse Europas auf dem Gebiet der Gestaltung – diese Kräfte, diese Kreativität galt es zu bündeln und zu ordnen.

Opel

Opel

Opel

 

Opel

Opel

Nun setzte ein wahrer Sturm auf die geheimen Studios in der aufstrebenden Stadt am Main ein. Automobil-Visionäre und Zukunfts-Designer aus aller Welt bewarben sich, als sich die Nachricht in Europa verbreitete, Opel habe das erste echte Studio für Automobildesign des Kontinents errichtet – mit einer Advanced Design-Abteilung, die eine nahezu grenzenlose Plattform für automobile Kreativität bot. Was früher im Modellraum von 50 Stylisten, Modelleuren und Ingenieuren geleistet worden war, erhielt nun mit mehr als 120 Designern in drei Studio-Segmenten einen völlig neuen Antrieb.

Der Ideen-Austausch, der Funke einer neuen Designära sprang in Windeseile auf die Hoch-Schulen und Designschulen über. Die Interessenten gaben sich in Rüsselsheim die Türklinke in die Hand, manche versuchten mit dem Weg über die Konzernzentrale in Detroit an einen der begehrten Arbeitsplätze zu gelangen. Und – wie nicht anders zu erwarten – liest sich die Personalliste der Studios auch aus heutiger Sicht wie ein Who is Who der Designerwelt: Wolfgang Möbius, Dick Söderberg, Anatole Lapine, Erhard Schnell, Hideo Kodama, Chris Bangle, Jean- François Venet, Murad Nasr, Herbert Killmer, Hans Seer, George Gallion, Martin Smith, Bryan Nesbitt oder Mark Adams – sie alle haben das Gesicht von Opel in den vergangenen 50 Jahren entscheidend mitgeprägt und der Marke zu ihrem optisch unverwechselbaren Auftritt verholfen.

Das Rüsselsheimer Designstudio hatte den Ruf einer Hochschule. Wer hier nicht gearbeitet hatte, war andernorts weit weniger interessant als die polyglotten, weltoffenen Designer aus dem N10. Das brachte allerdings auch weniger erfreuliche Aspekte mit sich. Der Legende nach rollte Ende der 60er Jahre kein geringerer als Ferry Porsche vor das Opel-Hauptportal in der Innenstadt von Rüsselsheim und marschierte direkt in die eigentlich geheimen Büros von Anatole Lapine. Der legte dem Sportwagenfabrikanten seine Zeichnungen und Pläne vor – und wurde 1969 abgeworben, um in Zuffenhausen den Porsche 928 zu entwickeln. Söderberg und Möbius nahm er gleich mit.

Opel

 

Opel? Ja, Opel.

Interessanterweise sollte einige Jahre später Michael Mauer, der Chef-Designer der einstigen GM-Tochtermarke Saab, einen ähnlichen Weg nehmen. Er machte ebenfalls den Karriereschritt von Trollhättan über Rüsselsheim ins Württembergische.

Nicht nur die Entwürfe und die designerischen Denkansätze in den Rüsselsheimer Studios waren revolutionär, auch die Arbeitsweise auf dem Weg zur Formenfindung beschritt neue Wege. Ursprünglich mussten neue Modelle nach ersten Skizzen und Zeichnungen mit Hilfe von Gips zu dreidimensionalen Studien umgesetzt werden. Diese Methode war vor allem von den italienischen Designern entwickelt worden und wurde für nahezu alle Entwicklungen genutzt. Allerdings hatte Gips den Nachteil, dass er schnell aushärtet, also Eile beim Modellieren geboten war. Ausserdem, so erinnert sich Hideo Kodama, ehemaliger Designer im N10 heute, war es den Formen anzusehen, wie sie entstanden waren. „Die Linien hatten immer eine horizontale Ausrichtung, denn die Schablonen, mit denen der Gips geformt wurde, mussten waagrecht über den noch weichen Gips gezogen werden.“ Dies schränkte die Möglichkeiten der Gestaltung erheblich ein und machte die Prozesse langsam, weil umfangreiche Nacharbeiten mit Fräsen und Schleifmaschinen erforderlich waren.

Von GM Styling in Detroit kam ein neues Material: Ton. Der weiche, braune Werkstoff trocknete langsamer und liess freies Gestalten zu. Er ist zwar schwerer als Gips, das Gewicht spielte aber in dieser frühen Phase der Entwicklung keine Rolle. Radien liessen sich leichter darstellen, die Formen wurden feiner und ausdrucksstärker.

Neben dem eigenen, sogenannten KAD-Studio, in denen die Nachfolger der grossen Drei von Opel (Kapitän, Admiral und Diplomat) gestaltet wurden, arbeiteten die Designer der Research- und Advanced-Abteilung an einem Traumwagen, der selbst intern ein grosses Geheimnis war, von dem nicht einmal der Vorstand Kenntnis hatte. Die Studie eines Sportwagens sollte entwickelt werden, man dachte an eine aussagekräftige Form, an zwei Sitze und kompakte Masse. Die Idee hatte der neue Designchef in Rüsselsheim, Clare MacKichan, aus Amerika mitgebracht, er hatte wohl die Sportwagen- Ikone Corvette im Hinterkopf, als er beschloss, ein ähnliches Fahrzeug auf die Räder zu stellen, das zielsicher auf die europäischen Verhältnisse zugeschnitten sein sollte.

Erhard Schnell war es, der das Projekt in seinem Studio leitete. Klappscheinwerfer, Vollrahmentüren und der Verzicht auf einen klassischen Kofferraum waren die wesentlichen Charaktermerkmale des Zweisitzers. Präsentiert werden sollte der Wagen auf der IAA des Jahres 1965 – die Designer arbeiteten unter erheblichem Zeitdruck an der Studie. Gerade rechtzeitig wurde das Konzeptfahrzeug fertig und debütierte als Experimental GT auf der Frankfurter Autoshow unter gewaltigem Beifall der Experten und Besucher. Und obwohl das Auto nicht für die Produktion designt wurde, entstand in der unglaublich kurzen Zeit von nur drei Jahren aus dem Konzept ein Serienauto, das die Marke in einem neuen Glanz strahlen liess: der Opel GT. (Von dem werden wir dann auch noch berichten, und von einigen anderen Opel-Modellen auch noch.)

 

Original: radical

 

 

 

 

Related Items from Catalogue Show Related