Currywurst-Mekka, Techno Classica 2014-1773
Techno Classica 2014
Essen. Eine tolle Stadt. Wenn man durch die Gelände der alten Zechen streift, den einstigen Stolz der Stadt spürt und mit den Menschen am Büdchen bei Currywurst und Pils ins Gespräch kommt – selten fühlten wir uns wohler. Hier im Herz des Kohlenpotts ist die Welt noch eine ehrliche, auch wenn die Schlote schon lange nicht mehr rauchen.
Einmal im Jahr zieht die Stadt allerdings ein ganz anderes Publikum an. Club-Jackets, Harris-Tweed und breiter Cord in rostrot, senf oder auch dunkelgrün. Getragen von weisen Männern mit Hut, Fliege und kiloschweren Ledermappen unter dem Arm. Natürlich ähnlich patiniert wie die Gesichtszüge. Es ist Techno Classica, das Mekka des europäischen Oldtimerhandels.
Dieses Jahr voller denn je, bei zum Beispiel HK Engineering stapeln sich die Flügel am Stand wie anderswo gebrauchte VW Golf. Überhaupt, Mercedes-Benz war in diesem Jahr mit einer unübersehbaren Präsenz auf der Messe. Eine atemberaubende Installation der erfolgreichsten Silberpfeile des vergangenen Jahrhunderts bis hin zu den Formel 1-Renner der Neuzeit. Daneben Renntrucks, Le Mans-Raketen und Wüsten-Mogs. Fantastisch, wirklich. Das Beste oder nichts eben.
Bei den Händlern dann quasi inflationär die grossen W111er-Modelle. Ob Flach- oder Hochkühler, alle standen sie in Reihe und Glied, als hätte man in Stuttgart nie ein anderes Modell gebaut. Die Preise reichten dabei von teuer bis absurd. Aber wir wollen an dieser Stelle nicht an das allgemeine Wehklagen der weglaufenden Preise anknüpfen. Der Markt regelt das schon. Und an den wirklich wertvollen Exemplaren steht seit Jahren sowieso nur noch ein dezentes «auf Anfrage».
Denn für einige wenige ist es einfach egal, ob der 300SL jetzt eine Million, 1.2 oder gleich 1'800'000 EUR kostet – es wird gekauft, was da ist.
Stutzig hat uns nur eins gemacht, oder besser: dreierlei. Unsere Favoriten aus dem vergangenen Jahr.
Gut, wir mögen einen nicht ganz klaren Blick für Favorit Nummer 1 haben, doch der 911 ST-Klon von PS Automobile war bereits im vergangenen Jahr ein absoluter Augenschmaus. Auf Basis eines 1990er 964 hat man einen mausgrauen Umbau auf alte F-Modell-Optik vollzogen. Ganz ohne den Pathos der so umjubelten Singer-Kreationen, dafür einfach schön mit der richtigen Liebe zum Detail. Für 139'000 Euronen sicher kein Schnäppchen - aber für ein Auto, das weit besser fährt als der imitierte Ahne unserer Meinung nach nicht zu teuer. Wertsteigerung wird eine solche Bastelei natürlich weniger bis gar nicht erfahren, aber der Fahrspass sollte den Kaufpreis schon aufwiegen. Zumal in einem Markt, in dem Geld angeblich keine Rolle spielt. Vielleicht also doch?
Die nächste Überraschung erwartete uns in einer der privat bestückten
Hallen, irgendwo im Obergeschoss. Dort, wo sich blendend polierte
US-Importe in rot mit beigen Sitzen um das höchste Preisschild
bekämpfen, stand sie wieder: die hinreissende Fulvia.
Eine 1.3er Rallye-Version in aufregendem Petrol. Auf dem identischen Standplatz, angeboten vom gleichen Verkäufer, bloss einen guten Tausender teurer. Was ist los mit dem Markt? Eine schöne Fulvia für weniger als 15'000 Euro muss zweimal die Standgebühr zahlen, ohne einen Käufer zu finden?
Noch ärger war die Verwunderung nur bei Dorscheid. Was haben wir letztes Jahr vor dem mit Lightweight-Anleihen umgebauten E-Type Coupé mit dem grossen Glashaus gekniet. Eine unglaublich geschmackvolle Kreation. Komplett restauriert, im schönsten Grau, das je lackiert wurde, mit langer Achse, tüchtig leistungsgesteigertem Reihensechser, Leichtbau-Sitzschalen und integriertem Überollkäfig. Sollte 160'000 Euro kosten. Wobei, was heisst sollte? Er soll es kosten. Auch 2014 noch.
Wie soll man das deuten? Das unser Geschmack völlig daneben liegt und wir uns als Einzige für Autos begeistern können, die in Wahrheit furchtbare Standuhren sind? Oder dass es doch nicht so grenzenlos zugeht, wie gemeinhin erzählt wird? Gibt es im Preisgefüge bis etwa 250'000 Euro doch noch so etwas wie rationelle Kaufentscheidungen? Gehen Menschen, die vielleicht nicht jeden Euro, dafür aber die Zehntausender mit Bedacht ausgeben (müssen), doch sorgsamer mit Kaufvertragsunterschriften um?
Wir hoffen es. Denn die Techno Classica bot erste Anzeichen, dass sich die Werte, die man als Normalsterblicher irgendwann einmal erwirtschaften kann, nicht in unerreichbare Regionen abdriften. Und selbst wenn nicht: wir werden im nächsten Jahr wiederkommen. Für Currywurst und Bier. Und um unsere Fulvia zu tätscheln und uns in den Ansaugtrichtern des Semi-Lightweights zu spiegeln. Bis dann, wir sehen uns!
Herzlichen Dank an Fabian Mechtel.
Original: radical