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Gealterter Jugendtraum, Fahrbericht Porsche 959 (1)

Published in radical-classics.com

Fahrbericht Porsche 959 (1)

Noch nicht erstellt
Bei 5000/min wird es dann, äh, interessant. Dann haut es den zweiten Turbo rein; Registeraufladung heisst das und ist heute wieder so ein bisschen in Mode, aber in den 80er-Jahren konnten der kleine und der grosse Turbo noch nicht so fein aufeinander abgestimmt werden, wie das heute zum Beispiel BMW schafft. Bei 5000/min kommt er, und wer das vorher noch nie erlebt hat, sollte sich dieses Vergnügen besser auf gerader und mit Vorteil auch breiter Strasse gönnen. Denn der Knall, mit dem der Porsche 959 dann abgeht, der ist, sagen wir mal: gewöhnungsbedürftig. Andere würden sagen: gefährlich, einfach nur gefährlich. Und wieder andere meinen: das Zeugs hat Suchtpotenzial.

Er kommt mit einem fiesen Schlag, dieser zweite Turbo. Auch wenn man darauf gefasst ist und den Tourenzähler schön im Aug hat, kommt dieses Rums in seiner Heftigkeit überraschend. Das Kleinhirn wird an den Schädel gedrückt, dieser Schädel an die Kopfstütze gehauen, und wir können uns gut vorstellen, dass der eine oder andere Fahrer dann etwas unkontrolliert am Lenkrad reisst. Was dann ziemlich fatale Folgen haben kann. Es gibt andere, die lassen ihren Gasfuss dann auf dem entsprechenden Pedal, und finden es einfach nur geil, geil, geil, wie das Ding abgeht. Es ist absolut faszinierend - und irgendwie ist es auch sehr ernüchternd.

Doch vielleicht sollten wir zuerst einmal die Geschichte erzählen, wie es überhaupt zu diesem grossen Knall kommen konnte. Die 80er waren ja nicht die besten Jahre für Porsche. Der 924 und vor allem der 928 hatten die Marke nicht vorwärts gebracht, und der ewige 911er lief längst nicht mehr so, wie man sich das in Zuffenhausen wünschte. Im Chefsessel sass Peter Schutz, und als der damalige Chefingenieur Helmuth Bott ihm einige Änderungen am 911 vorschlug, da hatte Schutz ein offenes Ohr. Vor allem auch deshalb, weil Bott ihm Veränderungen vorschlug, die den 911er zu einem Gruppe-B-Rallyeauto machen sollten. In Le Mans fuhr Porsche von einem Sieg zum anderen, doch auf den Rallyepisten hatte man in Stuttgart noch kaum Erfolge vorzuweisen. Die am weitesten gehende Neuerung, die Bott vorschlug, war ein neuartiger Allradantrieb.

Wild ausuferende Kotflügelverbauungen.


Und bitte beachten Sie die Spoiler-Konstruktion, nicht «trashy blonde».

Obwohl Bott erst 1982 grünes Licht für sein Projekt erhielt, stand im Herbst 1983 bereits ein erster Prototyp des 959 auf der IAA in Frankfurt. Die Reaktionen des Publikums und vor allem der potenziellen Kunden waren begeistert - obwohl der 959 aussah wie ein mächtig aufgeblasener 911er. Das gesamte Heck wurde zu einem überdimensionalen Spoiler umgearbeitet, und was Porsche an Kotflügel-Verbreiterungen anbaute, wie das Heck aus Kevlar, das hatte die Welt noch nie gesehen. Der Wagen sah aus wie ein misslungener Versuch mit Plastikverformungen. Aber was Porsche durchsickern liess, was sich unter der Haut des Prototypen verbergen sollte, das liess nicht nur Kennern das Wasser im Mund zusammenlaufen: ein 2,85-Liter-Sechszylinder mit zwei Turbos, ein spezieller Allradantrieb, eine geschwindigkeitsabhängige Niveauregulierung. Noch während der IAA wurden die 200 Exemplare, die für eine Gruppe-B-Homologation nötig waren, bestellt.

Doch bevor Porsche weiter am 959 feilte, wurde zuerst einmal am offiziell 911 4x4 genannten Rennwagen (intern als 953 bezeichnet) gearbeitet.

Wild ausuferende Kotflügelverbauungen.


Und bitte beachten Sie die Spoiler-Konstruktion, nicht «trashy blonde».




In Zusammenarbeit mit dem englischen Prodrive-Team wurde ein 953 für die Rallye Paris-Dakar vorbereitet, und mehr aus Versehen gewann René Metge das Rennen. 1985 wollte Porsche diesen Erfolg wiederholen, doch die geplanten, 600 PS starken Biturbo-Motoren wurden nicht rechtzeitig fertig, und die jetzt offiziell als 959 gemeldeten Porsche schieden alle kläglich aus. 1986 hingegen gab es dann wieder einen Doppelsieg bei der legendären Wüstenrallye, doch dieser Erfolg kam zu spät, denn nach dem tödlichen Unfall von Henri Toivonen/Sergio Cresto bei der Korsika-Rallye in jenem Jahr wurde die Gruppe B abgeschafft - und das Sportprogramm mit dem 959 kam zu einem abrupten Ende.

Doch 1987 war es dann so weit: Die ersten 959 wurden an die Kunden ausgeliefert. Und der Porsche war nicht nur das schnellste Serienfahrzeug seiner Zeit, sondern in erster Linie ein herausragender Technologieträger. Die Verwendung von Kevlar an der Aussenhaut wurde schon erwähnt, dazu kamen die Frontschürze und der Frontspoiler aus Polyurethan; aussergewöhnlich waren auch die Magnesiumfelgen. Darin war allerdings auch eine ziemliche Spassbremse montiert, die Reifendruckkontrolle, die Porsche zwar bereits 1980 erstmals beim Porsche 936 in Le Mans eingesetzt hatte, die aber im 959 Ärger machte. Eigentlich hätte der Porsche mit den neuen Denloc-Reifen von Dunlop ausgerüstet werden sollen, doch im letzten Moment zog Porsche dann doch noch Bridgestone auf.

Der Allradantrieb war für die späten 80er-Jahre sehr fortschrittlich. Über ein noch ganz gewöhnliches Differential werden die Hinterräder angetrieben, das vordere Differential ist über die Antriebswelle mit dem Sechsgang-Getriebe verbunden. Bei Schlupf kommt dann die Lamellenkupplung ins Spiel, welche das Drehmoment optimal verteilt; über Sensoren werden Raddrehzahl, Schlupf, Motordrehzahl und Lenkwinkel erkannt. Was aber all die Computer nicht verarbeiten konnten, das war die gewaltige Kraft, die der Sechszylinder-Biturbo an die Räder schickte.

Die Fortsetzung gibt es: hier.

Wild ausuferende Kotflügelverbauungen.

Original: radical

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