Corvette, 1956/57
Frische Luft
Noch nicht erstellt
Es war ein undankbarer Job, den Bob Cadaret da erhielt. Der Chevrolet-Designer hatte sich mit einem neuen Design für die 56er-Corvette zu beschäftigen. Undankbar deshalb, weil die Corvette ja alles andere als ein Bestseller war und die Händler das Ding hassten. Ausserdem musste die Hardware unangetastet bleiben, und schliesslich mussten die optischen Verbesserungen so günstig wie möglich umsetzbar sein. Nach den schlechten Erfahrungen mit den ersten Fiberglass-Aufbauten in den Jahren 1953-55 hatte man bei Chevrolet auch einiges an Respekt vor dem neuen Werkstoff, dessen Handhabe sich als deutlich schwieriger als erwartet erwiesen hatte.
Aber Cadaret machte unter diesen schwierigen Voraussetzungen einen ausgezeichneten Job. Vorne stellte er die Lampen steiler und befreite sie aus ihrem Käfig; so wirkte dann der unverändert übernommene Grill weniger massig. Hinten gab es, abgesehen von den vermaledeiten Auspuffrohren, nicht viel zu tun. Doch an den Flanken führte Cadaret die entscheidende Änderung ein, welche die Corvette bis 1962 begleiten sollte: die so genannten «coves». Diese Einbuchtungen, die gerne mit einer Zweifarben-Lackierung betont wurden, hatte er nicht selber erfunden. Sie waren 1955 schon am «LaSalle II»-Dream-Car zu sehen gewesen, doch sie gaben der 56er Vette einen neuen Look, den zumindest die Presse ziemlich positiv aufnahm. Im Gegensatz zu den Käufern, denn es konnten nur gerade 3467 Exemplare abgesetzt werden.
Und das, obwohl sich in erster Linie Zora Arkus-Duntov alle Mühe gab, die Corvette zu einem einigermassen anständigen Sportwagen aufzubessern. Zuerst schickte er einmal den müden Sechszylinder in Pension, dann wurde ein manuelles Dreigang-Getriebe zum Standard erklärt - die träge Zweigang-Powerglide-Automatik gab es nur noch gegen Aufpreis. Der 4,3-Liter-Achtzylinder, ja, der legendäre «small block», leistete weiterhin 210 PS, doch Arkus-Duntov gab seinem liebsten Kind noch einen zweiten Vierfach-Vergaser (Option 469) mit auf den Weg, der noch einmal 15 PS brachte. Und wer diese 172 Dollar teure Option 469 bestellte, hatte auch Zugriff auf schärfere Nockenwellen (Option 449), die als «Duntov Cam» berühmt wurden.
Ganz knapp kann man die Lufteinlässe auf den Kotflügeln sehen: Airbox!
Rot-Rot war für eine 57er Corvette eine eher seltene Kombination.
Das Ding ging ordentlich. John Fitch schaffte bei der Daytona Speed Week im Januar auf einem serienmässigen Fahrzeug 145 Meilen, immerhin 233,3 km/h. Auch setzte Chevrolet die Corvette erstmals bei einem Rennen ein, bei den 12 Stunden von Sebring, und ein Fahrzeug schaffte einen Gruppensieg (und wurde auf dem 9. Gesamtrang klassiert).Dazu gab es bei der 56er-Vette einige technische Erleichterungen: etwa die elektrischen Fensterheber (65 Dollar Aufpreis), die aussenliegenden Türfallen und vor allem ein elektrisches Verdeck (108 Dollar) sowie ein Hard-Top (215 Dollar); das Innenleben blieb ansonsten gleich. Die beliebteste Farbe war Rot (Venetian Red). Es folgten Onyx-Schwarz, Polo-Weiss, Kupfer (Aztec Copper), Arctic-Blau und ein komisches Grün (Cascade Green). Der Basispreis betrug 3120 Dollar.
Die gleichen Farben gab es auch 1957, dazu gab es neu noch ein Inca-Silber; beliebteste Farbe des Jahres war jetzt aber Schwarz. Aussen und innen waren die 57er ansonsten Zwillinge der 56er, und auch der Preis stieg nur gerade um 56,32 Dollar an, auf 3176,32 Dollar.
Ganz knapp kann man die Lufteinlässe auf den Kotflügeln sehen: Airbox!
Rot-Rot war für eine 57er Corvette eine eher seltene Kombination.
6339 Stück wurden verkauft. Die Corvette befand sich auf dem Weg zur Besserung.
Und das war auch irgendwie verständlich, denn die Corvette erhielt jetzt endlich Muskeln. Der Hubraum des «small block» wurde auf 4,6 Liter erhöht, 283 ci, und es gab jetzt 220 PS bei 4800/min als Standard. Mit den zwei Vierfach-Vergasern waren es 245 PS oder sogar 270 PS. Doch nicht diese für die Amerikaner so typische Erhöhung des Hubraums war aussergewöhnlich, sondern die gegen Aufpreis erhältliche Benzineinspritzung, genannt Ramjet. Man spricht heute gern davon, dass der Mercedes 300 SL ab 1954 das erste Automobil gewesen sein soll mit einer Benzineinspritzung. Doch das System war schon 1884 bekannt, und Gutbrod hatte es 1951 erstmals serienmässig eingesetzt. Sowohl Gutbrod wie auch der Benz arbeiteten aber mit einer Direkteinspritzung, wie sie heute Mode ist. Übrigens hat Moto Guzzi schon ab 1930 mit einer elektrischen Benzineinspritzung, ähnlich dem Ramjet von GM, experimentiert. Wie auch immer - die Vette durfte ab Jahrgang 1957 auch. Eingespritzt gab es mindestens 250 PS, und die schärfere Variante kam auf 283 PS. 283 cubic inch, 283 Pferde, das war in jenen Jahren eine grobe Ansage, die auch von der Chevrolet-Werbung heftig genutzt wurde. Ganz neu war das allerdings nicht: Schon im Jahr zuvor hatte Chrysler den 300B mit 354 ci und 355 PS lanciert.
Teuer war diese erst ab April 1957 erhältliche Option 579B. 484,20 Dollar mussten bezahlt werden, und nur 240 Kunden entschieden sich in diesem Jahr für den Ramjet. Noch teurer war da nur die «Heavy Duty Racing Suspension» für 780 Dollar. Bestellte man auch noch die kurz untersetzte Achse sowie das erstmals erhältliche manuelle Vierganggetriebe (188,30 Dollar), hatte der Kunde ein veritables Renngerät unter den Hintern. Allerdings musste er auf ziemlich konturlosen Sitzen Platz nehmen. So ausgerüstet, sprintete die 57er-Vette in weniger als sieben Sekunden von 0 auf 100 km/h.
Ganz knapp kann man die Lufteinlässe auf den Kotflügeln sehen: Airbox!
«Road & Track» will so einen «fuelie» sogar in 5,7 Sekunden auf die 60 Meilen getrieben haben, aber das erscheint dann als ein bisschen gar optimistisch. Dabei gabs ab Werk eine 4,56:1-Untersetzung, und das ist dann sehr kurz. Und, natürlich wieder gegen Aufpreis (48 Dollar), gab es auch noch ein Sperrdifferential, «Positraction», die dabei half, die Kraft auch auf den Boden zu bringen.Es gab aber noch eine weitere Option: 579E («nur» der 283-PS-Motor war 579B). Diese kostete dann stolze 726,30 Dollar, und sie beinhaltete neben der stärksten «Ramjet»-Variante einen auf der Lenksäule montierten Tacho sowie die so genannte Airbox. Man liest die unterschiedlichsten Dinge über dies Ding, vor allem, dass die auf den Kotflügeln angebrachten Lufteinlässe gar nicht angeschlossen waren. Doch sie sind es, und sind bringen tatsächlich einen frischen Wind ins Luftfilter. Diese Maschine drehte bis 6200/min (der Drehzahlmesser reichte sogar bis 8000/min) - und Chevrolet weigerte sich tatsächlich, in den 579E eine Heizung (Option 101, 118 Dollar) zu installieren, denn Rennwagen brauchen solches Zeugs nicht. Nur 43 «Airboxes» sollen gebaut worden sein. Und sie waren tatsächlich konkurrenztauglich auf der Rennstrecke. 1957 erreichten sie in Sebring in der GT-Klasse einen Doppelsieg, und das gleich mit 22 Runden Vorsprung auf einen Mercedes.
Aber weiterhin war die Corvette von Ruhm und Verkaufserfolg weit entfernt. Vom Ford Thunderbird wurden jeden Monat etwa gleich viele Exemplare verkauft wie vom Chevrolet im ganzen Jahr. Aber 1957 darf schon als Wendepunkt in der Vette-Geschichte gesehen werden. Endlich war der Wagen ein ernsthafter Sportwagen. Arkus-Duntov machte es möglich, dass auch Kunden, die keine Rennen fahren wollten, an die ganz feinen Optionen kamen. Und es sprach sich bei der geneigten Kundschaft schnell herum, dass sich die Corvette zu einem ganz fröhlichen Gerät gewandelt hatte, mit dem man keinen Sprint zwischen zwei Rotlichtern zu scheuen brauchte.
Teil 1: Corvette, 1953-1955.
Original: radical