Zangengeburt, VW Golf, der 1.-1629
VW Golf, der 1.
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Natürlich war der Käfer Mitte der 60er Jahre immer noch ein Automobil, das sich bestens verkaufte - gerade in Wirtschaftswunder-Deutschland war der Bedarf nach günstiger, technisch ausgereifter und einigermassen problemloser Mobilität gross. Doch die Führung von VW wusste, das ihr schon vor dem Krieg entwickeltes Gefährt nicht mehr ewig ein Erfolg sein würde, auch deshalb nicht, weil andere europäische Hersteller dem Käfer unterdessen mit viel moderneren Fahrzeugen nicht bloss Konkurrenz machte, sondern ihn technologisch tief in den Schatten stellte. Selbst im patriotischen Deutschland machten die Franzosen, Italiener und Engländer viel Boden gut. Und die einheimischen Produzenten wie Opel und Ford hatten auch schon ganz anständige Dinge im Angebot
Die Entwicklungsabteilung von Volkswagen in Wolfsburg tat sich allerdings sehr schwer, man bastelte fleissig Käfer-Derivate mit Heckmotor, Heckantrieb und luftgekühlten Motoren, zu mehr reichte die Phantasie anscheinend nicht. Zum Glück aber war 1964 das Traditionsunternehmen Auto Union an Volkswagen angegliedert worden, 1969 kam die fortschrittliche Firma NSU dazu, es entstand die Audi NSU Auto Union AG. Von NSU kam etwa der wunderbare Ro 80, ein Automobil, das seiner Zeit leider viel zu weit voraus war, doch es kam auch jede Menge Kompetenz ins Haus.
1968 hatte der damalige VW-Vorstandvorsitzende Kurt Lotz, ein ehemaliger Polizist, ein komplett neues Modellprogramm für VW angeregt und auch durchgesetzt, er wollte Fahrzeuge mit Frontantrieb und wassergekühlten Motoren. Erstaunlich schnell kam VW auch zu einem solchen Wagen, und zwar über den Umweg über NSU. Dort war seit 1965 eine Limousine (und auch ein Kombi) als Ergänzung zum Ro 80 entwickelt worden, die 1969 auf dem Genfer Salon hätte ihre Weltpremiere erleben sollten. Doch diese Vorstellung wurde kurzfristig abgesagt - und erst im Herbst 1970 kam der K70 (K steht für Kolben bzw. Hubkolben, dies im Gegensatz zu Ro, den Rotationskolben im Wankel-Motor des Ro 80).
Diese Farben waren typisch, damals.
Wir hatten kürzlich das Vergnügen in einem 76er. Fahrbericht folgt.
Der K70 hatte Frontantrieb, einen wassergekühlten Vierzylinder - und so viel mehr Platz als alle anderen damals erhältlichen VW-Modelle, dass es fast beschämend war. Trotzdem, der K70 war gerade in Wolfsburg nicht sehr beliebt, wurde als Stiefkind behandelt - und wohl deshalb auch nicht zum Erfolg.Schon 1968 hatte Audi den 100 auf den Markt gebracht, ebenfalls mit Frontantrieb. Und die VW-Entwickler schufen 1969 mit dem EA276 (EA steht für Entwicklungsauftrag) erstmals ein Fahrzeug, das dem späteren Golf schon ziemlich nahe kam. Der EA276 verfügte über einen Frontmotor mit Frontantrieb, ein Schrägheck mit Heckklappe, eine Verbundlenkerachse - und über ein ziemlich schrulliges Design. Unter der Motorhaube arbeitete aber der klassische Käfer-Motor - so gedachte Wolfsburg Entwicklungskosten zu sparen.
Diese Farben waren typisch, damals.
Wir hatten kürzlich das Vergnügen in einem 76er. Fahrbericht folgt.
Doch Kurt Lotz stoppte die weitere Entwicklung, gab stattdessen grünes Licht für den EA337, der über einen wassergekühlten 4-Zylinder-Reihenmotor mit Getriebe in Reihe verfügte; im April 1970 wurde Giugiaro beauftragt, das Design zu entwickeln. Ein mutiger Schritt - der wahrscheinlich deshalb erfolgte, weil man wirklich einen radikalen Bruch mit der Vergangenheit brauchte, das neue Fahrzeug sollte überhaupt nicht mehr an die bisherigen Modelle erinnern. So viel Mut haben nur Unternehmen, die mit dem Rücken zur Wand stehen - und wohl kein Automobil zeigt in seiner Geschichte eindrücklicher, wie sehr die Kreativität nachlässt, wenn man dick und fett auf einem vollen Konto sitzt. Andererseits: wohl kein Automobil (mit Ausnahme vielleicht des Ford T) hat die Industrie mehr geprägt als der Golf, würde VW beschliessen, ihn mit fünf Rädern zu bauen, sämtliche anderen Hersteller würden sofort folgen.
Vier Jahre Zeit gab Lotz seinen Ingenieuren - doch er sollte die Geburt des wichtigsten Volkswagen aller Zeiten trotzdem nicht mehr als Vorstandvorsitzender erleben, 1971 wurde er von Rudolf Leiding als VW-Chef abgelöst. Dieser stoppte dann auch gleich noch ein weiteres spannendes Projekt, nämlich EA266, einen Kleinwagen-Vorschlag - von Porsche. Dort war ein gewisser Ferdinand Piëch verantwortlich, der EA266 war eine sehr spezielle Konstruktion mit einem längs unter der Rücksitzbank eingebauten, wassergekühlten Motor.
Dass die Entwicklung des neuen Modells so schnell und ziemlich problemlos voranging, hatte VW zu einem grossen Teil Audi zu verdanken. Denn dort entstand in nur 21 Monaten der Kleinwagen mit der Bezeichnung 50, der 1972 auf den Markt kam, natürlich mit Frontantrieb und Frontmotor. Dieser 1,1-Liter-Vierzylinder mit 50 PS wurde auch zur Basis-Motorisierung des Golf - erstmals bediente sich Volkswagen aus dem grossen Baukasten des Konzerns, ein System, das die Deutschen unterdessen wie kein anderer Hersteller perfektioniert haben.
Diese Farben waren typisch, damals.
Ein kleines Problem stellte allerdings noch die Bezeichnung dar. Der Chef Leiding wollte anscheinend zuerst Tiernamen verwenden für die neue Baureihe. Dann, nach seinen Ferien in Griechenland, entschied er sich für - Winde. Für das Schwester-Modell des Golf, ein Coupé, war mit Scirocco bald ein Name gefunden, der EA337 hiess aber lange Zeit: Blizzard. Erst kurz vor der Präsentation im Mai 1974 erhielt der Golf den Namen, der sicher auch viel zu seinem Erfolg beigetragen hat.VW hatte aber auch Glück. Die Ölkrise von 1973/74 war der perfekte Moment für die Lancierung des Fahrzeugs, dessen Verbrauch (6,4 Liter nach DIN 70030) in etwa halb so hoch war wie jener des Käfer. Und natürlich trug auch das wunderbar kantige Design von Giugiaro, schön im Bauhaus-Stil, viel zum Erfolg des neuen VW bei - an diesem Wagen war schlich und einfach nichts zu viel, alles war sachlich, funktional, logisch. Mit einer Länge von 3815 Millimetern, einer Breite von 1610 Millimetern und einer Höhe von 1410 Millimetern war der Golf so kompakt, wie es damals erwartet wurde, das Fahrzeuggewicht von 750 Kilo verhalt ihm auch mit dem kleinen 1,1-Liter-Motor zu erstaunlich guten Fahrleistungen. Wer mehr brauchte, für den gab es auch noch einen 1,5-Liter mit 70 PS, der den neuen Golf 155 km/h schnell machte. Das Fahrverhalten des neuen VW war über jeden Zweifel erhaben, vorne gab es McPherson-Federbeine, hinten eine Verbundlenker-Achse, die in der Konstruktion sehr einfach und in Herstellung sehr günstig war, aber perfekt zum VW passte.
Und der Preis war zwar nicht heiss, aber marktgerecht: mit 7995 Mark war der günstigste Golf angeschrieben. Getönte Scheiben, Servolenkung, ein Bremskraftverstärker und sogar die Mittelkonsole standen auf der Aufpreisliste. Und was war nicht gut am ersten Golf? Die Verarbeitung, in den ersten Jahren. Die Stahlqualität, zumindest bis 1976 - es gibt kaum mehr frühe Exemplare.
6,72 Millionen Exemplare der ersten Golf-Generation wurden zwischen 1974 und 1982 gebaut. Damit rettete dieses Fahrzeug den Volkswagen-Konzern - und er wurde Sinnbild für ein neues Segment, das bis heute den Markt dominiert. Der Golf I war ab 1976 auch Vorreiter in Sachen Diesel, machte den Selbstzünder salonfähig. Und dann gab es ja auch noch den Jetta («Rucksack-Golf») und das Cabrio («Erdbeerkörbchen»), das zeitweilen zum meistverkauften offenen Auto der Welt wurde, und natürlich den GTI, aber das ist eine andere Geschichte...
Fahrbericht VW Golf LS, Jahrgang 1976.
Die Geschichte des Golf GTI, erste Generation.
Die Geschichte eines GTI, zweite Generation.
Der neue Golf, die siebte Generation. Sehr ausführlich...
Noch mehr VW gibt es im Archiv.
Original: radical