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Das wahre Kunstwerk, BMW M1-1617

Published in radical-classics.com

BMW M1

40 Jahre ist es her, seit die BMW Motorsport GmbH gegründet wurde. Sie machte sich schnell einen guten Namen mit scharfen 2002 sowie mit dem wunderbaren 3.0 CSI. Doch man wollte mehr in München, Rennerfolge in den Gruppen 4 und 5 mussten auch noch her. Doch dafür musste ein eigenständig aufgebautes Renn-Fahrzeug hergestellt werden; für die Gruppe 4 musste es ein Gerät sein, von dem mindestens 400 Exemplare in 24 aufeinanderfolgenden Monaten gebaut wurden, das zwei Sitze hatte und äusserlich dem Serienauto noch einigermassen ähneln sollte. Der E26, wie das Projekt getauft wurde, durfte also nicht nur ein reinrassiger Rennwagen sein, sondern auch noch ein Sportwagen für die Strasse.

Ein optisches Vorbild war schnell gefunden: 1972 hatte Paul Bracq die Studie eines turbo-Flügeltürer gezeichnet. Doch die M GmbH hatte nicht genug personelle Ressourcen, also sicherte man sich für den E26 die Dienste von Giorgio Giugiaro (der zusammen mit Bracq gerade für das Design des neuen 6er-Coupé verantwortlich gewesen war). Im Gegensatz zur Studie von Bracq fiel der Entwurf von Giugiaro aber viel kantiger aus - die Zeiten hatten sich geändert, die rundlichen Formen waren nicht mehr gefragt.

Schon ab 1975 machten Gerüchte die Runde, dass BMW an einem Supersportwagen bastle. Es dauerte aber bis im Frühling 1977, bis die Bayern die Katze aus dem Sack liessen, das Gerede bestätigte; im Herbst waren dann erste Bilder zu sehen. Im Frühling 1978 präsentierte Motorsport-Chef Jochen Neerpasch das Fahrzeug in der Gruppe-4-Ausführung im «Sportstudio» des ZDF - eine volle Viertelstunde lang. Das war natürlich beste Werbung, und das erst noch in einem aussergewöhnlichen Format - die Erwartungen an den E26 wurden weiter gesteigert. Im April gingen dann die ersten Fahrzeuge auf Probefahrt, und im Herbst 1978 wurde das Fahrzeug auf dem Pariser Auto-Salon der Öffentlichkeit vorgestellt. Schneeweiss, nur 1,14 Meter hoch, 4,36 Meter lang, 1,82 Meter breit - und genau 100'000 Mark teuer.
BMW M1

Giugiaro. Das sagt doch schon alles.

BMW M1

Aber Niere musste sein.

Trotzdem - oder vielleicht gerade deswegen: «Vor dem neuen BMW Mittelmotor-Sportwagen ballte sich das Publikum in dichten Haufen», schrieb ein deutsches Magazin, «die Liste der Vorbestellungen übertrifft alle Erwartungen – ein amerikanischer Bayern-Fan beispielsweise will sich gleich drei M1 über den grossen Teich schippern lassen.»

Der Wagen wurde M1 getauft - das erste Fahrzeug der BMW Motorsport GmbH. Und er hatte es wahrlich in sich: Die Mittelmotor-Flunder wurde von einem 3,5-Liter-Reihensechszylinder angetrieben, der längs vor der Hinterachse montiert war und maximal 277 PS leistete. Dieser als M88 bezeichnete Motor basierte auf dem Sechszylinder-Grossserientriebwerk und verfügte über den Vierventil-Zylinderkopf der CSl-Rennmotoren. Dieser Zylinderkopf war zweiteilig: Der untere Teil bildete den Brennraum und den Wasserraum, der obere enthielt die Lagerungen der Nockenwellen und die Tassenstössel. Das Gemisch wurde durch drei Doppel-Drosselklappenstutzen mit sechs, 46 Millimeter grossen Einzeldrosselklappen zu je zwei Einlasskanälen pro Zylinder mit 26 Millimeter Durchmesser geführt
BMW M1

Giugiaro. Das sagt doch schon alles.

BMW M1

Aber Niere musste sein.

BMW M1
BMW M1
BMW M1
Auf modernstem Stand der Technik war auch das vollelektronische digitale Zündsystem. Ein deutlicher Hinweis auf die sportlichen Gene des M1 war die Trockensumpfschmierung, schliesslich liessen sich mit dem Sportwagen hohe Querbeschleunigungen erzielen. Die Maschine versorgte sich aus zwei Kraftstofftanks mit je 58 Liter Fassungsvermögen rechts und links vor der Hinterachse. Die Kraftübertragung übernahm ein ZF-Fünfganggetriebe, das über eine Zweischeiben-Trockenkupplung mit dem Motor verbunden war. Das Hinterachsdifferential war serienmässig mit einer 40prozentigen Sperre versehen.

Auch das Fahrwerk war sehr aufwendig: Doppelquerlenkern an jedem Rad, Gasdruckstossdämpfern und zwei Stabilisatoren. In der Strassenversion war das Fahrwerk bis auf eine komfortablere Anlenkung der beweglichen Teile und einer entsprechenden Feder-/Dämpfer-Abstimmung identisch mit dem der Rennvariante. Vier innenbelüftete Scheibenbremsen sorgten aus jedem Tempo für gute Verzögerung. Um auch bei Vollbremsungen minimales Aufbaunicken zu gewährleisten, wurde die Vorderachse mit einem 30-prozentigen Nickausgleich (Anti Dive) versehen. Für damalige Verhältnisse geradezu üppig war die Bereifung mit 205/50 VR 16 vorne und 225/50 VR 16 hinten. Der niedrige Schwerpunkt von 460 Millimetern über der Fahrbahn sowie das Mittelmotorkonzept mit einer Gewichtsverteilung von 44,1:55,9 machten den M1 zu einem Kurvenräuber ersten Grades. Allerdings verlangte er im Grenzbereich eine kundige Hand. Wie für Mittelmotorautos mit ihrem geringen Trägheitsmoment um die Hochachse charakteristisch, konnte das ausbrechende Heck des M1 bei zuviel Querbeschleunigung nur durch schnelles und kräftiges Gegenlenken wieder eingefangen werden. Die direkt ausgelegte Zahnstangenlenkung – ohne Servounterstützung – half da aber mit.

Obwohl er ein Sportwagen par excellence war, durften sich Fahrer und Beifahrer durchaus eines gewissen Komforts erfreuen. Dabei sassen sie in dem Gitterrohrrahmen aus Stahl-Rechteckprofilen mit der verklebten und vernieteten Kunststoff-Aussenhaut wie in einer Trutzburg, von Verwindung keine Spur.
BMW M1

Giugiaro. Das sagt doch schon alles.

Der Kofferraum unter der Fronthaube reichte für das Wochenendgepäck von zwei Personen aus und selbst auf eine Klimaanlage musste man nicht verzichten.

Die Montage des Wagens konnte nicht wie geplant bei Lamborghini durchgeführt werden; der Auftrag ging stattdessen zum Karosseriespezialisten Baur nach Stuttgart. Damit wurde der M1 zum Puzzle: Der Gitterrohrrahmen entstand bei Marchesi, die glasfaserverstärkte Kunststoffkarosserie bei T.I.R., beide in Modena. Giorgio Giugiaros Firma ItalDesign baute beides zusammen und sorgte für die Innenausstattung. Das Auto kam daraufhin nach Stuttgart, wo Baur die gesamte Mechanik einbaute. BMW lief aufgrund dieser Verzögerungen und Umplanungen die Zeit davon: Für die Homologation als Gruppe 4-Wettbewerbsauto mussten ja die 400 Exemplare innerhalb der 24-Monats-Frist gebaut werden. Um die M1 überhaupt auf die Piste zu bekommen, hob der Chef der Motorsport GmbH Jochen Neerpasch gemeinsam mit Bernie Ecclestone und Max Mosley die Procar-Serie aus der Taufe.

Der wesentlichste Unterschied zur Strassenversion war die Motorisierung: Für den Sporteinsatz wurde der M88-Sechszylinder zunächst klassisch getunt. Neue Nockenwellen, grössere Ventile, geschmiedete Kolben, optimierte Kanäle, Schieber statt Drosselklappen und eine veränderte Abgasanlage liessen die Leistung auf 470 bis 490 PS wachsen. So motorisiert liefen die auf 1020 Kilogramm abgemagerten Procar-Renner mit der längsten Übersetzung rund 310 km/h. Der nach dem Gruppe 4-Reglement aufgebaute M1 wurde aber nicht nur je fünf Formel 1-Piloten pro Rennen für den Procar-Markenpokal zur Verfügung gestellt, er konnte als erstes einsatzfertiges Rennauto auch direkt ab Werk gekauft werden. Preis: 150 000 Mark. Die Procar-Serie war eine fantastische Zuschauer-Attraktion, vor allem die Formel-1-Haudegen- darunter auch der Schweizer Clay Regazzoni -  schenkten sich gar nichts, fuhren einander fröhlich an den Karren - und das Publikum freute sich an bestem Motorsport. Hier trafen die Weltbesten auf alte Hasen und Newcomer und mussten sich in weitgehend gleichen Autos mit ihnen messen. Ausschlaggebend war also das Fahrkönnen, was beim Publikum überwältigenden Anklang fand: Die Procar-Rennen waren ebenso gut besucht wie die eigentlichen Läufe zur Formel 1-Weltmeisterschaft.

Das erste Rennen fand vor dem Grossen Preis von Belgien statt, am 12. Mai 1979, von den F1-Fahrern kletterten Jacques Laffite, Clay Regazzoni, der amtierende Weltmeister Mario Andretti, Niki Lauda und Nelson Piquet in den M1. Gewonnen wurde das Rennen aber von Elio de Angelis, der vom 15. Startplatz aus gestartet war. Am Ende der ersten Saison hatte aber Niki Lauda, damals schon zweimaliger Formel 1-Weltmeister, die meisten Zähler: In acht Rennen der M1 Procar-Serie errang er drei Siege und einen zweiten Platz. 1980 reichten Nelson Piquet Siege in den letzten drei Rennen zum Gesamtsieg in der Procar-Serie, gefolgt von Alan Jones und Hans-Joachim Stuck. Der spätere Formel 1-Weltmeister Alan Jones war ohnehin ein erklärter M1-Fan: Als einer der ersten hatte er sich den Sportwagen privat gekauft.

Doch ansonsten waren die Renn-Erfolge des M1 in den Gruppen 4 und 5 so gut wie nicht vorhanden, obwohl die Gruppe 5-M1 mit Hilfe von zwei Turboladern bis auf 1000 PS aufgeblasen wurden. Um möglichst viel dieser gewaltigen Kraft auf den Boden zu bekommen, wurden die M1 Karosserien so verspoilert, dass sie zu den sogenannten «Flügelmonstern» gezählt wurden. Doch der M1 war nicht nur ein besonderer Renn- und Sportwagen, er wurde auch zu einem einzigartigen Kunstwerk. 1979 widmete sich der weltberühmte Pop Art Künstler Andy Warhol mit Lack und Pinsel einem rennfertigen Coupé und schuf daraus den M1 als eines der schnellsten Kunstwerke der Welt. Es war das vierte sogenannte Art Car, einer Serie von Kunstwerken an und mit BMW-Fahrzeugen. Als erster Künstler malte Warhol mit schwungvollen Pinselstrichen direkt auf die Karosserie. «Das Auto ist besser gelungen als das Kunstwerk», kommentierte er anschliessend trocken das Ergebnis. Mit der Startnummer 76 rannte das Art Car schliesslich 24 Stunden lang in Le Mans und erreichte den 6. Platz.

1981 endete die Produktion des M1 nach 445 Exemplaren, 399 waren Strassensportwagen und 46 Procar-Rennwagen. Kein Wunder, dass die M1 heute sehr begehrt sind. Aber immer noch erstaunlich günstig: ab etwa 150'000 Franken sind die BMW zu haben. Sofern denn mal einer auf den Markt kommt.

Mehr BMW im Archiv.


 

Original: radical

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