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Spritspar-Ratgeber

Published in radical-mag.com

„Die aktuellen Spritpreise in Europa sind alles andere als günstig“. „Hier unsere Top-10-Tipps zum Kraftstoffsparen“. „Die fünf besten Autos, die ihren Geldbeutel schonen“.

SEO ist ein Arschloch. Search Engine Optimization. Schreiben also, was der Maschine gefällt. Es geht nicht mehr um den Inhalt an sich, sondern nur um die algorithmusfreundliche Aneinanderkettung häufiger Suchabfragen. Und aktuell ist das eben der Benzinpreis.

Bilder, auf denen Ministerpräsidenten am BAFA-geförderten Plugin-Hybrid-Auto vor der flickernden Anzeigetafel der lokalen Tankstelle stehen, deren Preiseauskünfte alle tüchtig über den zwei Euro pro Liter notieren, gehen um die Welt. Auch ehemalige Chefredakteure großer Boulevard-Zeitungen springen Tage später auf den Zug auf und imitieren die Show. Der Aufruhr ist groß. Benzinpreisbremsen werden gefordert, überhaupt, das Abkassieren muss eingestellt werden. Niemand könne sich das mehr leisten.

Es stimmt sicher. Aber das Wehklagen ist einzig Ausdruck des eigenen Egoismus.

Denn es ist Krieg.

Dort, wo die nette Kollegin gerade ihren Chai Latte im hippen Vorstadt-Café serviert bekommen hat, fährt im Hintergrund des Teams-Videocalls gerade eine Panzerhaubitze vor. Dort, wo Grundschulkinder gerade mit dem 160mm Lineal bei den ersten Textaufgaben die Schlüsselwörter unterstreichen, lädt der Munitionskanonier gerade ein kalibergleiches Geschoss ins innenverchromte Rohr.

Und es ist keine Übung.

Kollegin und Grundschüler werden es überleben. Sie haben Glück. Andere nicht. Doch der Chai Latte wird kalt, die Fenster sind zersplittert und alle die können auf der Flucht. Mit nichts mehr als dem Rucksack auf der Schulter und den Kleidern am Leib.

Es ist eine Situation, wie wir sie seit Jahrzehnten nicht mehr kennen. Zumindest nicht vor der eigenen Haustür. Obwohl, Kiew ist so nah ja gar nicht, die nächste Zapfsäule allerdings schon. Da kann man den moralischen Kompass dann schon einmal verlieren. Wobei: Kann man etwas verlieren, was man überhaupt nie gehabt hat?

Im Kleinen – auch wenn der Literpreis hoch ist – zeigt sich das Kleingeistige, das Egozentrische und das Dumm. Und es erschreckt. Es erschreckt zutiefst.

Doch es gibt auch Lichtblicke. Kollegen, die in Eigeninitiative mit überladenem Auto samt Trailer Richtung Grenze fahren und vollbesetzten Plätzen wieder heimkehren. Freunde, die jede freie Minute auf dem Gabelstapler sitzen und Hilfsgüter verladen, die sie selbst in der eigenen social media-Blase gesammelt haben. Es sind Macher, keine Schwätzer. Es sind vor allem aber Menschen, für die das alles eine Selbstverständlichkeit ist. Die nicht auf Kamerateams warten, bis sie mit dem Schwitzen anfangen, die keine Inszenierung brauchen, sondern die einfach helfen wollen. Weil sie helfen können.

Natürlich drückt auch Ihnen der Schuh in Sachen Spritpreis. Doch angesichts der Schmerzen, die eine Dieseltankfüllung weiter östlich herrschen, ist das für alle locker zu verkraften. Denn es geht uns gut. Wir schätzen es nur nicht, weil wir abgestumpft, satt und widerlich geworden sind.

Unser Top-Spritspar-Tipp lautet deshalb: Holen sie unseren Redaktions-Diesel-smart ab. Der braucht nur drei Liter fünfundsiebzig auf 100 Kilometer. Er fährt aber auch so. No pain, no gain. Will aber natürlich auch wieder keiner, der fette Leasing-Benz muss dann schon sein. Übrigens: Die Ökosprüher, die jetzt den Siegeszug des Fahrrades proklamieren müssen dieser Tage sogar in Schutz nehmen.

Denn hierzulande kann man sich beim Radeln zumindest sicher sein, dass dich nach der nächsten Linksabbiegung nicht eine Sprengfalle in Stücke reißt.

Deshalb raten wir jedem, der gerade angesichts der Tankstellen-Spritpreise noch höheren Blutdruck bekommt als eh schon: Durchatmen. Einfach mal die eigenen Privilegien checken und versuchen zu verstehen wie ein weltweites Wirtschaftssystem und globaler Rohstoffhandel funktioniert. Nachvollziehen, dass ein Nickel Short Squeeze über 100.000 US-Dollar pro Tonne nicht das herbeigesehnte Ende aller Elektroautos ist, sondern schlicht dem kostspieligen Verspekulieren eines chinesischen (Ex-)Milliardärs geschuldet war. Anerkennen, das ein Wiederanfahren von Kernkraftwerken nicht nur mangels Brennstoffen problematisch ist, sondern auch das Energieproblem für die Hauswärmefeuerung zu null Prozent löst.

Die executive summary könnte lauten: Mitdenken. Was, das stellen wir leider immer häufiger fest, für viele leider keine befriedigende Lösung darstellt.

Und damit wären wir wieder am Beginn des Textes. Wir lassen uns lieber Dinge vorkauen, als selbst nachzudenken. Lesen brav, dass es sinnvoll sei den Skiträger im Sommer vom Dach zu entfernen und „lose und schwere Gegenstände aus dem Kofferraum zu entfernen“. Klimaanlage und Standheizung nur selten nutzen – fehlt nur noch der Tipp, dass gleichzeitige Nutzung überhaupt gar nicht zu empfehlen sei und größtes Einsparpotenzial böte. Wer solche Tipps braucht, um Benzin zu sparen, der sollte besser sofort den Lappen abgeben. Damit hat sich das Kraftstoffpreisproblem dann von ganz allein erledigt.

Wer allerdings wirklich von der Krise betroffen ist, wem die horrenden Literpreise im Monatsbudget zu schaffen machen, der kann sich gerne vertrauensvoll an uns wenden. Wir hören uns dann den Einzelfall an, fragen das Modell ab und geben sinnvolle Tipps. Wir können auch beraten, wenn es etwas anderes sein muss und helfen zur Not beim Verkauf des Alten. Selbst bei Reparaturen, die sonst nicht zu stemmen wären, können wir sicher irgendwie helfen.

Denn wir schwätzen zwar oft, meist sogar beruflich. Wir machen aber auch. Und wir wissen vor allem, wann die richtige Zeit für das eine und die falsche für das andere ist.

Der Beitrag Spritspar-Ratgeber erschien zuerst auf radicalmag.