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Godsal – ein Einzelschicksal

Published in radical-mag.com

Sie haben noch nie von Godsal gehört?

Gern und intensiv verfolgen wir das Geschehen bei den gros­sen Auktionshäusern Artcurial, Bonhams, Gooding & Co., RM Sotheby’s, aber auch bei Bring a Trailer und Col­lecting Cars. Gut, das gehört zum Job, man will ja wissen, was läuft, einen Überblick haben über die Preisentwicklungen – und manchmal auch einfach nur ein bisschen träumen vom ganz grossen Budget, dem Lottogewinn. Doch manchmal ist das Studium der Angebote auch sehr lehrreich, manchmal finden auch wir tatsächlich noch Fahrzeuge, von denen wir noch nie gehört oder gelesen haben. Erst kürzlich stellten wir den RGS Atalanta vor, einen hübschen Sportwagen einer Marke, von der wir gar nicht wussten, dass sie überhaupt je existiert hatte.

Und manchmal bleibt man an Fahrzeugen und ihren Geschichten hängen, die fast zu schön sind, um nicht erzählt zu werden. Hier geht es um den Godsal von 1935, ein Automobil, von dem nur gerade ein, also dieses schöne Stück existiert. Und es ist irgendwie typisch, dass dieser Wagen aus England stammt – nirgends auf der Welt gab (und gibt) es mehr Männer (seltener Frauen), die irgendwo in einem Hinterhof oder in ihrer Garage an ihrem Traum schrauben. Ob das nun am Wetter liegt (was will man bei Dauerregen sonst machen?), am eigenartigen Essen (muss ja irgendwie verdaut werden) oder an einer mit Stil gepflegten Langeweile, darüber könnten wir hier noch lange weiter nachdenken, wollen wir aber nicht.

Herbert Godsal war, wie man nachlesen kann, ein erfolgreicher Rechtsanwalt und auch Erfinder. Er vererbte seinem Sohn Charles (1907–1965) nicht nur jede Menge Fantasie, sondern auch ein beträchtliches Vermögen. Dieses steckte der noch junge Mann gern in Automobile, und dabei kam er auf die Idee, ein eigenes Fahrzeug zu konstruieren. Godsal schien auch tatsächlich Ahnung von der Materie zu haben. Er konstruierte selber ein Chassis, hinten gab er diesem eine damals typische Starrachse mit auf den Weg (sie stammte von ­einem Bentley), doch vorne gab es eine Einzelradaufhängung (die er sich wohl bei einem Lancia abgeschaut hatte). Als Antrieb wählte Godsal einen zeitgenössischen Flathead-V8 von Ford, den er mit einem Viergang-Vorwählgetriebe kombinierte. Selbstverständlich wurden die wohl etwa 85 PS an die Hinterachse geschickt – der Godsal von Charles Godsal sollte ja schliesslich ein Sportwagen werden.

Und das war alles keine Hinterhofbastelei, sondern wurde in London bei Research Engineers Ltd. sehr sorgfältig und seriös aufgebaut. Für die schönen Formen zeichnete Corsica Coachworks verantwortlich, ein zwischen den beiden Weltkriegen sehr bekannter Karosseriehersteller aus London, der auch einige der schönsten Bugatti und Bentley jener Jahre einkleidete. Man darf die Arbeit an diesem Einzelstück als sehr gelungen bezeichnen, sehr harmonisch. Die freistehenden Kotflügel sind schön im Fluss, alles ist flach, eng geschnitten. Der Godsal entsprach nicht bloss dem Geschmack seiner Zeit, er dürfte damals für viel Aufsehen gesorgt haben. Ob er 1935 auch schwarz war, weiss leider niemand mehr.

Das gute Stück kostete Charles Godsal deutlich über 3000 Pfund, dafür hätte er sich gleich mehrere Häuser kaufen können. Der horrende Preis war vielleicht der Grund dafür, weshalb es nie zu einer Serienproduktion kam. Wahrscheinlicher aber ist, dass der Godsal schlicht und einfach das Interesse an seinem Spielzeug verlor, denn er wandte sich in der Folge den Flugzeugen zu – und da kann man bekanntlich noch schneller als mit Automobilen aus einem grossen Vermögen ein kleines machen. Godsal verschacherte den Godsal an einen Freund, anscheinend für ein Trinkgeld.

Was dann geschah, weiss niemand. Erst 1969 tauchte der Wagen wieder auf – im Film «Mosquito Squadron» mit David McCallum und Suzanne Neve (ein Kriegsschinken, muss man nicht gesehen haben). Zu jenem Zeitpunkt war der Godsal rot lackiert. Und das war er auch, als er 1972 über ein Inserat (dort bezeichnet als Ford Special) Anthony Sidgwick in die Hände fiel, der zum guten Glück schnell erkannte, dass dieses Fahrzeug nicht einfach ein billiger Umbau war, sondern eine seriöse Eigenkonstruktion. Sidgwick investierte nicht nur viel Geld in eine Restauration, sondern noch mehr Zeit in die Recherche zu den Hintergründen des Wagens. Trotzdem verkaufte er das Einzelstück 1977 an den Amerikaner Jerry Old, der es nach Kalifornien bringen liess, dort ein paarmal um den Block fuhr – und den schönen Godsal dann für fast 40 Jahre in eine Scheune stellte.

Erst vor Kurzem erhielt der Roadster eine liebevolle Wiederaufbereitung, also keine der typisch amerikanischen Überrestaurationen, und konnte mit schöner Patina von Bonhams bei der Auktion auf Amelia Island im US-Bundesstaat Florida im März 2017 für 203 500 Dollar versteigert werden. Ein eigentlich bescheidenes Resultat für dieses Einzelstück. Diesen Sommer kam der Godsal dann wieder unter den Hammer, wieder bei Bonhams, wieder auf Amelia Island. Der Schätzpreis des unterdessen schwarz lackierten Wagens lag bei 750’000 bis 950’000 Dollar – eine Vervielfachung innerhalb nur weniger Jahre. Wohl auch deshalb, weil am Markt unterdessen so geschichtsträchtige Fahrzeuge mit einer wirklich aussergewöhnlichen Geschichte deutlich an Interesse gewonnen haben. Ein neues Daheim, das die schlichte Schönheit des Fahrzeugs und seine Historie schätzen mag, fand der Godsal allerdings nicht, dafür waren die Schätzung oder die Preisvorstellungen des Anbieters dann wohl doch zu hoch. Wer aber Erbarmen hat mit diesem Einzelkind und ihm einem gutes Plätzchen bieten mag, der wird sicher Mittel und auch Wege finden, dem Godsal die entsprechende Wertschätzung zukommen zu lassen.

Mehr schöne Fahrzeuge haben wir in unserem Archiv. Ausserdem ist da ja noch eine hübsche Sammlung: Die Aussergewöhnlichen.

Der Beitrag Godsal – ein Einzelschicksal erschien zuerst auf radicalmag.