Monteverdi – eine Schweizer Geschichte
Damals – und heute?
Man muss es als Hype bezeichnen. Was derzeit abgeht rund um Monteverdi, das ist so erstaunlich wie erfreulich: ein Film über das Leben von Peter Monteverdi, ein neues Buch, eine Sonderausstellung im Verkehrshaus in Luzern – und noch so manches Fahrzeug taucht jetzt auf dem Markt auf. Immer wieder gab es auch Gerüchte, dass der ehemalige Schweizer Hersteller ein Revival erleben könnte, zuletzt in grösserem Ausmass 2017 auf dem Genfer Autosalon, doch dem war nicht so, alles nur warme Luft. Aber wir versuchen trotzdem einen kurzen Blick zurück.
Da trägt ein junger Auto-Konstrukteur der klangvollen Namen Monteverdi – und dann will er seine neu gegründete Marke MBM (wohl für Monteverdi Binningen Motors) taufen. Es muss ein lauter Streit gewesen sein, damals, vor genau 50 Jahren, den Peter Monteverdi und der legendäre Chefredakteur der «Automobil Revue», Robert Braunschweig, miteinander ausfochten; beides charismatische Figuren, mindestens einer davon auch eher cholerisch. Monteverdi beugte sich schliesslich dem Rat eines der mächtigsten Männer der europäischen Auto-Industrie in den 50er und 60er Jahren (ja, das gab es damals noch, mächtige Journalisten), stampfte die ersten Prospekte wieder ein – und nannte sein Unternehmen Automobile Monteverdi AG (siehe auch: ganz unten*).
Peter Monteverdi, geboren 1934, hatte in den nach einer Lehre als Traktor-Mechaniker 1954 die Garage seines Vaters Rosolino Monteverdi übernommen – und bald einmal Verträge mit vielen bekannten Marken abgeschlossen, Rolls-Royce, Bentley, Jensen; er war auch der jüngste Ferrari-Händler weltweit. Bereits damals begann er auch, Automobile nach seinen Vorstellungen umzubauen und Rennwagen zu konstruieren, die er selber fuhr (weniger erfolgreich, nach einem schweren Unfall 1961 auf dem Hockenheimring hängte er seinen Helm an den Nagel) oder verkaufte (erfolgreicher). 1958 entfernte er einem Ferrari die Karosse, konstruierte einen eigenen Aufbau – und hatte deshalb prompt Ärger mit Enzo Ferrari. Der ihm auch den Händler-Vertrag kündigte. Es soll das der Moment gewesen sein, als Peter Monteverdi beschloss, seine eigenen Autos zu bauen.
Es sollte aber noch ein paar Jahre dauern bis zum Streit mit Braunschweig, erst 1967 konnte er den Monteverdi High Speed 375 vorstellen. Er folgte dabei einem damals modischen Prinzip, der Hybridisierung, also: er verbaute amerikanische Grossserien-Technik in ein schickes Fahrzeug, dessen Grundform der bekannte (und für seine oft undurchsichtigen Geschäftspraktiken gefürchtete) italienische Designer Pietro Frua entworfen hatte. Für Vortrieb sorgte (meistens) der beste Antrieb, den es in jenen Jahren gab, der 426er-Hemi von Chrysler verbunden mit der 3-Gang-TorqueFlite-Automatik; den Aufbau des Frua-Entwurfs erledigte die Carrozzeria Fissore, die Endfertigung geschah in den heimischen Hallen in Binningen bei Basel. Schon die allerersten Monteverdi wurden hoch gerühmt für ihre sehr guten Fahrleistungen, das ausgezeichnete Fahrwerk – und vor allem für die hervorragende Qualität und saubere Verarbeitung.
Es gab den 375 in verschiedensten Varianten, als Coupé, als Cabrio, als Limousine. Wie viele Exemplare entstanden, darüber finden sich in den Büchern von Peter Monteverdi keine genauen Angaben; es gilt als wahrscheinlich, dass das Schweizer Unternehmen noch bis tief in die 80er Jahre Nachbauten seiner eigenen Fahrzeuge produzierte. Was immer eines der Probleme von Peter Monteverdi war: mit der Buchführung nahm er es nicht so genau. Und er hatte auch sonst noch ein paar Tricks auf Lager. Beispielhaft dafür ist die verworrene Geschichte seiner vielleicht grossartigsten Konstruktion, dem Monteverdi Hai 450. Das Design, behauptete Monteverdi, stamme von ihm selber. Doch die Wahrscheinlichkeit ist gross, dass er bei einem Besuch bei Fissore sehr genau hingeschaut hatte, als dort der von Trevor Fiore gestaltete Prototyp eines neuen Alpine A310 herumstand; die Ähnlichkeiten sind ziemlich frappant. Ein Schelm, wer da Böses denkt.
Mit dem Hai, vorgestellt 1970, wollte Monteverdi auch Ferrari zeigen, wo der Hammer hängt; der Sportwagen war derart kompromisslos, dass er eigentlich unfahrbar war. Er basierte auf einem Stahlrahmen aus Vierkantrohren; das Fahrwerk bestand aus je zwei ungleich langen Dreiecksquerlenkern sowie Schraubenfedern vorn, einer DeDion-Achse mit Wattgestänge und Schraubenfedern hinten. Vor der Hinterachse wurde wieder der grossartige Hemi-Motor eingebaut, der nach Angaben von Monteverdi 450 PS leistete. Es waren dann aber wohl eher 350 Pferdchen, denn die versprochenen Fahrleistungen – über 290 km/h Höchstgeschwindigkeit (damals eine absolute Sensation), in 4,9 Sekunden von 0 auf 100 km/h – schaffte der erste Hai 450 SS nie auch nur annähernd. Was auch daran gelegen haben dürfte, dass das Leergewicht mit weniger als 1300 Kilo angegeben wurde, in Realität aber deutlich über 1,7 Tonnen lag.
Drei Jahre später baute Monteverdi den Hai 450 GTS mit um 50 Zentimeter verlängertem Radstand – in dem man auch tatsächlich sitzen konnte. Der 7-Liter-Hemi hatte nun tatsächlich über 400 PS, es gab Kopfstützen, elektrische Fensterheber und eine Klimaanlage. Auch vom GTS wollte er eine kleine Serie auflegen, doch wie bei 450 SS kam sie nie zustande. Denn obwohl Monteverdi gerne von seinen Verkaufserfolgen plauderte, es gab nur genau einen 450 SS und einen 450 GTS; diese beiden Fahrzeuge wurden immer wieder umlackiert und in Kleinigkeiten verändert, so dass es auf Messen und im Verkaufsraum aussah, als ob da immer neue Autos stehen. Erst im Jahr 1990 liess Monteverdi noch einmal je einen 450 SS und einen 450 GTS bauen, weil er hoffte, diese Nachbauten einem Kunden aus dem Nahen Osten andrehen zu können; auch dieses Geschäft ging in die Binsen. Ungefähr zeitgleich wie diese Replikas konstruierte Peter Monteverdi schliesslich den Hai 650 F1, ein Supersportwagen mit Formel-1-Komponenten, von dem vielleicht ein Exemplar, vielleicht auch mehrere gebaut wurden. Formel 1? Ja, da fuhr Monteverdi auch einmal mit einem eigenen Team mit, 1990, die Saison war aber bald wieder vorbei.
Es mag den Anschein erwecken, als ob Monteverdi umtriebiger als erfolgreich gewesen ist. Doch er hatte auch glänzende Ideen: er konstruierte für die erste Serie des Range Rover eine viertürige Variante – die dann von British Leyland übernommen und mit happigen Lizenzgebühren abgegolten wurde. Richtig gut verdiente die kleine Schweizer Marke aber mit dem Safari, einem der ersten Luxus-Geländewagen überhaupt. Basis war der International Scout, dem Monteverdi eine von Fissore gezeichnete Karosse aufsetzte und den er mit einem sehr luxuriösen Innenraum versah. Vom Safari entstand eine vierstellige Anzahl – aber auch da gehen die Angaben weit, weit auseinander. Sicher ist, dass Monteverdi viele Jahre von diesem Geniestreich, der sich vor allem im Nahen Osten bestens verkaufen liess, bestens leben konnte.
Vor einigen Jahren wurde das feine Monteverdi-Museum in Binnigen in den ehemaligen Fabrikhallen leider geschlossen. Unterdessen ist die Marke im Verkehrshaus in Luzern aber endlich zu dem Ruhm gekommen, den sie verdient hat.
PS: Es haben uns folgende Zeilen erreicht von Max Nötzli, dem ehemaligen Chefredaktor der einst so legendären «Automobil Revue»: «Die Geschichte mit der Monteverdi-Namensgebung habe ich anders gehört (sie fand allerdings zwei Jahre vor meinem Eintritt in die AR statt): Von einem Streit kann keine Rede gewesen sein, und zudem war es entgegen der Legende nicht Brauni himself, sondern unser Freund Roger Gloor, der den entscheidenden Ratschlag formuliert hat. Dass Monteverdi ein Choleriker war, habe ich selbst mehrmals miterleben dürfen; Robert Braunschweig als Choleriker zu bezeichnen, trifft hingegen weit am Ziel vorbei. Diesbezüglich lässt mich mein Gedächtnis ganz bestimmt nicht in Stich».
PPS: Wir sammeln jetzt Monteverdi-Bilder. Zu sehen sind sie: hier.
Mehr schöne Klassiker haben wir im Archiv. Und wir sind noch dran an einer sehr persönlichen Monteverdi-Story, aber da warten wir noch auf die Bilder – stay tuned.
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