Fahrbericht BMW 3.0 CSi
Das Leben ist langer ruhiger Fluss
Es ist dieses Geräusch, das ich schon lange nicht mehr gehört habe: das Quietschen des Ledersäckchens, in das der Schalthebel eingepackt ist. Bei jedem Gangwechsel hört man es ganz leise, und es ist ein schönes Geräusch, denn es erinnert nicht nur daran, dass es einst Fahrzeuge gab mit manueller Schaltung, sondern auch, dass diese Säckchen damals gang und gäbe waren, manchmal sogar kleine Kunstwerke, liebevoll von Hand zusammengefügt.
Der Umstieg war heftig: Am Vormittag hatte ich mit dem neuen Porsche 911 Turbo S Cabrio schon ein paar Berge gefrühstückt. Auf der einen Seite: 650 PS, Allradantrieb, Allradlenkung, acht Gänge, die sich blitzschnell selber sortieren (oder über Paddels bedienen lassen). Auf der anderen: 200 PS mit bald 50 Jahren auf dem wunderschönen Rücken, Heckantrieb, eine einigermassen störrische Lenkung – und ein manuelles 4-Gang-Getriebe mit ziemlich langen Wegen. Diese sind dafür schön in ein Ledersäckchen eingepackt. Das auch noch sanft quietscht. Nichts gegen den Porsche, aber ich würde halt trotzdem diesen 72er BMW 3.0 CSi nehmen, den uns www.oldtimergalerie.ch zur Verfügung gestellt hat. Auch, weil man sich neben dem Münchner gut noch einen normalen 911 Carrera leisten könnte und auch noch einen g’scheiten Kombi, dann wäre man doch insgesamt ausgezeichnet angezogen.
Noch Anfang der 60er Jahre hatte es gar nicht gut ausgesehen bei BMW. Doch dann war 1961 die «Neue Klasse» (Typ 115) auf den Markt gekommen, die 1966 durch den Zweitürer der 02-Reihe /Typ 114) ergänzt wurde. Beide Modelle waren so erfolgreich, dass man in München endlich wieder grösser denken konnte – und folglich die «Grosse Klasse» auf den Markt brachte. Zuerst kam im Herbst 1968 die Limousine (E3), kurz darauf, im Dezember 1968, auch noch das Coupé, als E9 bezeichnet. Im Gegensatz zur Limousine baute BMW den E9 allerdings nicht selber, sondern liess ihn bei Karmann im Werk Rheine montieren. Dort hatte man schon Erfahrung mit den BMW-Coupé, denn seit 1965 wurden am gleichen Ort auch die 2000 C/CA/CS gebaut, das Coupé der neuen Klasse, berühmt für seine «chinese eyes». Das Design sowohl des kleinen wie auch des grossen Coupé wird Wilhelm Hofmeister zugeschrieben – sicher von ihm ist der «Hofmeister-Knick» an der C-Säule, der einst stabilisierend wirken musste, später bei BMW aber zu einem immer wiederkehrenden Design-Merkmal wurde.
Von 1968 bis 1971 gab es den E9 ausschliesslich mit dem 170 PS starken 2,8-Liter-Reihensechszylinder. Diese Maschine, später als M30 bezeichnet, sollte zu einem Stützpfeiler des guten Rufs von BMW als Motoren-Hersteller werden (und wurde, selbstverständlich in verschiedensten Abwandlungen, bis 1996 im Programm behalten). Es ist ein wirklich feines Aggregat, der Block besteht aus Grausguss, der Zylinderkopf aus Leichtmetall, die obenliegende Nockenwelle wird von einer Kette angetrieben; durch Variierung der Bohrung waren Hubräume zwischen 2,5 und 3,5 Liter möglich. Selbstverständlich war der M30 auch eine hervorragende Basis für Rennmaschinen, siehe zum Beispiel den BMW 3.5 CSL IMSA. Der eines der am besten aussehenden Rennfahrzeuge überhaupt ist.
Ach, auch das ganz klassiche E9-Coupé ist sehr, sehr hübsch. Heute muss man diese ganz schlichten, geraden Linien lieben, keine Sicken, keine Löcher, keine serienmässigen Dellen, einfach nur ein sauberer Strich. Die Doppelscheinwerfer vorne kommen dem E9 viel besser als die «chinese eyes» des in vielen Bereichen sonst sehr ähnlichen 2000 C/CA/CS, auch hinten wirkt er harmonischer, zu Ende gedacht. Der E9 war damals ein ziemlich stattlicher Wagen, 4,66 Meter lang, allerdings nur 1,65 Meter breit, 1,37 Meter hoch, etwa 1350 Kilo schwer. Unser Fahrzeug gehört zur letzten und besten Serie, der 3-Liter-Reihensechser kam im 3.0 CSi mit der D-Jetronic-Saugrohreinspritzung auf stolze 200 PS und ein maximales Drehmoment von 272 Nm bei 4300/min. Das bedeutete, dass der BMW in 7,7 Sekunden von 0 auf 100 km/h beschleunigte und 220 km/h schnell war – mit diesen Fahrleistungen war er auf einer Höhe mit den damaligen Porsche 911.
Heute fällt es schwer, sich vorstellen zu können, dass man diesen BMW wirklich grob und einen 911 in den Wahnsinn getrieben hat. Zwar propagierten die Münchner damals schon die Freude am Fahren – und auch wenn der 3.0 CSi eine schöne Durchzugskraft hat, auch sehr schön tönt, als so richtig sportlich empfindet man das heute nicht mehr. Die Lenkung ist schwergängig und nicht wirklich präzis, die Wege im Getriebe unendlich lang, die Bremsen, naja, sie sind vorhanden – und ebenfalls vorhanden sind ziemlich heftige Wankbewegungen, die man sich heute nicht einmal mehr von SUV gewohnt ist. Selbstverständlich macht es trotzdem Spass, viel Spass, sehr viel Spass, der Pilot ist der Herr über den Wagen, nicht die Elektronik, man muss sich also den Begebenheiten anpassen, nicht zu sehr forcieren, mehr so: the flow. So fahren, wie man halt eigentlich richtig fährt, also den Wagen vor der Kurve stabilisieren, sauber einlenken, nicht vor dem Scheitelpunkt auf den Pinsel. Es tut zwischendurch wirklich gut, wenn man wieder einmal erlebt, wie das früher war, nicht so tolle Bremsen, nicht so grossartiger Grip, aber dafür: viel Eigenverantwortung.
Seitenhalt auf den Sitzen war damals noch kein Thema, der Pilot kann sich ja am Lenkrad festhalten (es ist unserem Fahrzeug nicht original); man sitzt hier auf Stoff, und das ist sicher angenehmer als auf Leder. Das Cockpit ist von der sauberen, schlichten Übersichtlichkeit, wie sie in den 70er Jahren noch üblich war, man braucht Geschwindigkeit, Drehzahl und manchmal die Tankuhr; das Holz erscheint nicht sehr wertvoll (selbstverständlich ist es in bester Ordnung, wie überhaupt der Innenraum des Testwagens sehr, sehr sauber gemacht ist). Was im Vergleich zu heutigen Sportwagen ganz wunderbar ist: die Rundum- und auch Aussicht, das BMW-Coupé ist keine Trutzburg, sondern verfügt über ein echtes «greenhouse» mit grossflächigen Fenstern. Und so rollen wir, durchaus flott, durch das schöne Kandertal, sehen auch etwas, geniessen mehr als wir kämpfen. Einfach, damit wir uns richtig verstehen: die klassischen fast-80-km/h-Fahrer packt man sehr, sehr locker, da verbleibt man einfach im 3. Gang, und der E9 zieht souverän vorbei. Die Landstrasse, auch die Schweizer Autobahn ist sein Ding, da wird das Leben zum langen, ruhigen Fluss. Dazu passt, dass es für alle Passagiere einen eigenen Aschenbecher gibt. Und genau so soll es doch sein.
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