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Fahrbericht McLaren 600LT

Published in radical-mag.com

Der Böse

So langsam läuft auch McLaren in die Derivate-Falle. Es gibt unterdessen doch schon reichlich Modelle der Sports-Series-Reihe, 540C, 570S und Spider, 570GT. Auch muss man schon ziemlich genau hinschauen, um den neuen 600LT von seinen Brüdern unterscheiden zu können, die 4,7 Zentimeter mehr Länge hinten (und 2,7 Zentimeter vorne) erkennt man nicht auf den ersten Blick; bestens Unterscheidungsmerkmal von aussen ist sicher der feststehende Heckspoiler. Andererseits: die genauere Betrachtung des McLaren 600LT lohnt sich auf jeden Fall, der noch junge englische Hersteller hat wieder, schon wieder, einmal mehr ein wirklich aussergewöhnliches Fahrzeug entwickelt und auf die Strasse gebracht.

Gut 10 Jahre ist es her, dass wir uns mit dem damaligen Ferrari-Chefingenieur Amadeo Felisa über die Zukunft der Sportwagen unterhalten hatten. Er sagte damals, es müsse das Ziel sein, ein Fahrzeug zu konstruieren, das 500 PS stark und 1000 Kilo schwer sei – dies sei perfekt sowohl für die Strasse wie auch den Track, mehr brauche es nicht. Ferrari hat das nicht hingekriegt; zwar haben verschiedene Modelle ein tieferes Leistungsgewicht als die propagierten 2 Kilo pro PS. Aber dies halt nicht deswegen, weil das Gewicht entscheidend verringert werden konnte. Auch bei McLaren sagt CEO Mike Flewitt, dass er keine Chance sehe, sich aus dem derzeitigen PS-Rennen zu verabschieden, aber er möchte dafür im Gegenzug einen Gewichtswettbewerb anzetteln.

So ein 600LT wiegt trotz Längenzuwachs genau 100 Kilo weniger als ein 570S – und der gehört ja schon nicht zu den adipösen Geräten in seinem Segment. Der 600LT kommt offiziell auf noch 1247 Kilo; das ist zwar etwas schwierig zu vergleichen, die Italiener wägen gerne ohne Flüssigkeiten und Fahrer, die Deutschen halten sich an ihre eigene Norm, und der Engländer findet immer einen guten Weg. Sicher ist: so ein 600LT ist leichter als jeder (vergleichbare) 911er, Lambo, Ferrari. Der Aufwand ist beträchtlich (und teuer), Cabron-Sitze (minus 21 Kilo,) und überhaupt viel von diesem Kohlefaserverbundstoff, neue Reifen und Felgen (minus 17 Kilo), leichtere Scheiben, kein Audio, kein Navi, kein Handschuhfach, etc.. Wichtiger sind die Einsparungen an ungefederter Masse an der Aufhängung (auch minus 10 Kilo) – und der neue Auspuff, der viel höher geführt wird, also quasi direkt aus der Motorhaube, und zusammen mit dem von den Abgasen angeblasenen Heckspoiler (plus 3,5 Kilo) für deutlich bessere Strömungsverhältnisse sorgt; Longtail halt. Der Sound ist übrigens deutlich besser als im 570S, er schreit den Passagieren ziemlich direkt in die Ohren. Sorry, dass wir nichts berichten können über Connectivity und überhaupt das Bediensystem, aber dies Zeugs steht auf der Rennstrecke halt nicht wirklich im Mittelpunkt (und auch sonst nicht).

Was wir nicht für möglich gehalten hätten: wie ausgeprägt man das alles spürt im Fahrbetrieb. Der 570S ist ja schon ein richtig, richtig guter Sportwagen – der 600LT ist nun aber ein richtig, richtig böses Gerät. Es sind natürlich nicht allein das tiefere Gewicht und die zusätzlichen Pferde, es ist vor allem auch die Fahrwerksabstimmung, die den neuen McLaren zu einem sehr ausgeprägten Fahrer-Auto machen – er ist vielleicht sogar fast ein bisschen zu bissig, zu aggressiv. Denn viel verzeiht er nicht – schnell ist man nur dann, wenn man ihn sehr sauber fährt. Aber dann ist er halt sehr, sehr schnell. Zu früh und zu heftig auf das Fahrpedal – und er kommt sofort hinten. So in Fronttriebler-Manier durch die Schikane (im Sinne von: das geht dann schon irgendwie…) – und er kommt sofort hinten. Ist man aber aufmerksam, konzentriert, lässt man sich auf den Wagen ein, dann wird der Longtail – wie schon sein gesitiger Vorgänger, der ebenfalls ziemlich gnadenlose 675LT – die Pilotin, den Fahrer mit grossartigem Fahrvergnügen belohnen. Diese Verzögerung – der Wahnsinn. Und so extrem spurtreu. Und dann diese Beschleunigung, weiterhin der 3,8-Liter-V8-Doppelturbo, aber eben: 600 PS, 620 Nm maximales Drehmoment zwischen 5500 und 6500/min. 0 auf 100 km/h in 2,9 Sekunden, Höchstgeschwindigkeit 328 km/h. Ja, das 7-Gang-Doppelkupplungsgetriebe ist auf Höhe des Porsche-PDK, schon extrem, die Geschwindigkeit der Schaltvorgänge.

Aber nochmals: man muss schon ein ziemlich ambitionierter Sportfahrer sein, um dieses Gerät wirklich geniessen zu können. Ist man nicht so richtig grob unterwegs, dann wirkt der Engländer: gelangweilt. Unterfordert. Ist fast so ein bisschen: beleidigt. Das Fahrwerk ist gnadenlos hart (die Federn sind im Vergleich zum 570S vorne 14, hinten gar 34 Prozent straffer ausgelegt; er liegt auch noch 8 Millimeter tiefer), die Bremse muss so richtig getreten werden, die Lenkung ist sehr, sehr direkt – man muss das alles wollen, sonst macht das keinen Spass. Gefahren sind wir den McLaren 600LT nur auf der Rennstrecke, da baut man schnell eine Beziehung auf, weil ja auch reichlich Auslauf vorhanden ist. Aber ob das im Strassenverkehr auch funktioniert? Der 720S erschien uns irgendwie harmonischer, pflegeleichter – und ist ja dann noch eine rechte Ecke stärker. Andererseits: wir sind schon sehr froh, dass sich McLaren getraut, solch ein Track-Tool zu bauen (denn etwas anderes ist der 600LT nicht, trotz Strassenzulassung). Wie oft sie das tun werden, wissen sie anscheinend selber noch nicht: nicht die Anzahl wird limitiert, sondern die Bauzeit (ab jetzt 12 Monate).

Es geht übrigens noch gröber, es wird von MSO auch noch Clubsport-Pakete geben, noch leichter, noch lauter, sicher auch noch teurer. Schon das Basisprodukt ist mit 269’000 Franken definitiv kein Schnäppchen. Bei den Porsche 911, definitiv die direktesten Konkurrenten des Sport Series von McLaren, bewegt sich ein Turbo S im gleichen Preisrahmen, hat 580 PS und Allradantrieb – und ist ein ganz anderes Automobil. Ein GT3 RS würde vom Charakter her besser passen – und ist noch einen Kurzurlaub günstiger. Aber keiner dieser Stuttgarter ist halt mit dem Extrem-Sitz aus dem McLaren Senna zu haben, einer 3,1 Kilo schweren Carbon-Schale mit einem Häuch Alcantara drauf, die unbequem aussieht, aber der Traum ist: eng und doch bequem, mit perfektem Seitenhalt. Und den braucht man.

Wir schreiben dies jetzt ganz unten, denn wir schreiben es im Zusammenhang mit den McLaren immer wieder: Es ist bewundernswert, in wie kurzer Zeit sich die Engländer zu wahrhaft ernsthaften Konkurrenten der etablierten Sportwagen-Hersteller entwickeln konnten. Sie haben unterdessen die Grösse, bei früheren Modellen gewisse Qualitätsprobleme zuzugeben – und sind der Überzeugung, dass sie das jetzt im Griff haben. Die unglaubliche Konsequenz, mit der sie ihre hochgesteckten Ziele verfolgen, lässt vermuten, dass dem so ist – im 600LT haben wir auf jeden Fall keine Kabel mehr gesehen, die ein bisschen unmotiviert unter den Sitzen versteckt wurden. Und die Anzahl Runden, die wir mit dem 600LT drehen durften, bedarf auch eines grossen Vertrauens ins eigene Produkt. So gesehen ist es gut, dass McLaren seine Sports Series ausbaut, denn es wird ja jedes neue Produkt auch: besser.

Mehr McLaren finden sich in unserem Archiv.

Der Beitrag Fahrbericht McLaren 600LT erschien zuerst auf radicalmag.