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Giotto Bizzarrini

Published in radical-mag.com

Das automobile Universalgenie

Enzo Ferrari, gern respektvoll als «il commendatore» bezeichnet, war ein schwieriger Zeitgenosse. Ein Choleriker mit sehr kurzer Zündschnur, er wurde deshalb von seinen Mitarbeitern auch «il drago», der Drache, genannt. Und auch wenn heute niemand mehr davon spricht: er war ein Schwerenöter, er konnte der weiblichen Schönheit selten widerstehen. Was auch der Grund war, weshalb seine Gattin Laura Dominica Garello, die er 1923 geheiratet und mit der er einen Sohn hatte, genannt Dino, häufig in seiner Nähe war, sich oft in der Fabrik in Maranello aufhielt. Vielleicht hielt sie es einfach auch nicht aus in ihrem Haus in Modena, das sie mit der verhassten Schwiegermutter Adalgisa teilen musste. Trotzdem hielt sich der Drache eine Geliebte, Lina Lardi, die ihm 1945 einen weiteren Sohn gebar, Piero. «Il commendatore» war das, was man heute als einen Manager bezeichnen würde. Zwar liess er sich gern als «ingenere» bezeichnen, doch Enzo Ferrari hatte keinen akademischen Hintergrund. Was er aber konnte wie wohl kein anderer: die besten Kräfte an sich binden, die cleversten Ingenieure, die schnellsten Rennfahrer, die kreativsten Designer. Ende der 50er Jahre engagierte er Carlo Chiti, auch körperlich ein Schwergewicht, als Chefingenieur. Chiti, der zuvor bei Alfa Romeo gearbeitet hatte, drängte darauf, dass Ferrari auch noch einen jungen Ingenieur von den Mailändern abwarb, Giotto Bizzarrini.

Bizzarrini, geboren am 6. Juni 1926 in Quercianella in der Nähe von Livorno, hatte 1953 in Pisa sein Ingenieursstudium abgeschlossen. Seine ersten automobilen Versuche unternahm er ab 1952 an einem Fiat Topolino, den er «Macchinetta» taufte, mit einer eigenen Karosse versah – und dem er einen 750-ccm-Motorrad-Motor einbaute. Ab 1954 arbeitete er für Alfa Romeo – und trug viel zur Entwicklung des Fahrwerk der Giulietta bei. Er hatte dabei eine ganz besondere Arbeitsweise: er fuhr selber Tausende von Kilometern. Und er feilte Tag für Tag an Kleinigkeiten, die er oft selber konstruierte. Dabei wurde er als Testfahrer so schnell, dass die gestandenen Rennfahrer des Werkteams seine Rundenzeiten oft nicht erreichten. Bizzarrini war genau der Mann, den Ferrari brauchte, denn der 250 GT LWB, seit 1952 auf dem Markt und das mit Abstand erfolgreichste Strassen-Fahrzeug, das bis dahin in Maranello gebaut worden war, hatte seine beste Zeiten hinter sich. Der Mann aus Livorno tat, was er am besten konnte – er testete und testete und testete. Er war dabei bei der Entwicklung des Spider California, er trug einen grossen Anteil am 58er Testa Rossa, er verhalf dem Pininfarina-Coupé zu einem besseren Fahrverhalten. Und kam schliesslich zum Resultat, dass eine Verkürzung des Radstandes von 2,6 auf 2,4 Meter den 250 GT auch auf der Rennstrecke wieder erfolgreich machen würde; aus LWB wurde SWB. Bizzarrini war dann quasi allein verantwortlich für die Entwicklung des legendären Ferrari 250 GTO (da hat gerade ein Exemplar einen neuen Auktionsweltrekord aufgestellt, alle Bilder von #3413: hier), er fuhr sämtliche Versuche, verlangte nach dem stärkeren Motor, arbeitete an der Aerodynamik, entwarf das Design und verpflichtete Scaglietti für die Umsetzung.

Doch Mitte 1961 wurde die Situation schwierig in Maranello. Zwar war Phil Hill auf dem Weg zum Formel-1-Weltmeister und Hill/Gendebien hatten die 24 Stunden von Le Mans gewonnen, doch im Werk war man sich uneinig über die weitere Entwicklung der Marke. Chiti und Bizzarrini drängten auf die verstärkte Entwicklung von Mittelmotor-Sportwagen, Verkaufschef Girolamo Gardini wollte die Organisation von Grund auf verändern, doch vor allem die Ehefrau von Enzo Ferrari stellte sich gegen alle und alles. Am 30. Oktober 1961 kam es zum grossen Knall: der Drache stellte Gardini vor die Tür. Was zur Folge hatte, dass Chiti und Bizzarrini am 1. November auch nicht mehr zur Arbeit erschienen. Später sagte Bizzarrini: «Es war eine gute Zeit bei Ferrari, ich konnte machen, was ich wollte – und so ganz einfach meine Vorstellungen und Ideen ins Spiel bringen».

Dann wird es wild: Gardini, Chiti und Bizzarrini gründeten Automobili Turismo e Sport, ATS – und bauten in Rekordzeit den ATS 2500, den ersten Mittelmotor-Sportwagen Italiens, verfolgten Formel-1-Pläne. Es wurde ein Debakel: «Da waren zu viele «grosse Köpfe» mit zu wenig Geld zusammen, wir mussten scheitern». Bizzarrini baute gleichzeitig für den Grafen Giovanni Volpi einen ganz besonderen Ferrari 250 GTO, genannt «Breadvan», dessen Aerodynamik sich als wegweisend erweisen sollte. So nebenbei konstruierte Bizzarrini auch noch den ASA 1000 GT, einen sehr sportlichen Kleinwagen (der bei Ferrari als «Ferrarina» angedacht gewesen war) – und er baute für Lamborghini den ersten Motor, einen 3,5-Liter-V12, von dessen Ableitungen dann über 20 Jahre lange alle Lamborghini angetrieben wurden, also auch der Miura. So nebenbei gründete der Mann aus Livorno auch noch sein eigenes Unternehmen, zuerst Autostar genannt, dann Bizzarrini & Co., schliesslich Prototipi Bizzarrini.

Und ausserdem war da noch die Zusammenarbeit mit Renzo Rivolta. Dieser hatte ein Vermögen gemacht mit Kühlschränken – und nach dem 2. Weltkrieg die Isetta auf den Markt gebracht (die später ein Unternehmen namens BMW vor dem Untergang rettete). Rivolta träumte von einem Gran Turismo, Bizzarrini entwickelte das Chassis, es enstand der Iso Rivolta 300 mit einem 5,4-Liter-V8-Motor aus der Corvette. Es war dies der erste «Hybrid», italienische Ingenieurskunst und italienisches Design gepaart mit (günstiger, problemfreier) amerikanischer Technik. Bizzarrini woilte mehr, einen Sportwagen, noch lieber einen Rennwagen, er kürzte wieder einmal den Radstand, es entstanden der Iso Grifo A3/L und, einigermassen heimlich, der Iso Grifo A3/C, L für «Lusso» (Luxus) und C für «Competizione» (Rennen). Rivolta wollte, wie übrigens auch Ferruccio Lamborghini, aber kein Geld in die Rennerei investieren, und darob gerieten er und Bizzarrini derart in Streit, dass Bizzarrini beschloss, den Wagen selber auf die Strasse zu bringen. Er machte, wie gewohnt, alles selber: das Design des A3/L, das von Bertone stammte, überarbeitete er selbst, das Fahrwerk verbesserte er auf Tausenden von Testkilometern, auch dem Corvette-Motor hauchte er höchstpersönlich einige Pferde mehr ein. 1964 und 1965 schafften die Bizzarrini bei den 24 Stunden von Le Mans den stark beachteten Klassensieg bei den Prototypen, bestes Resultat war 1965 ein 9. Gesamtrang in einem Feld voller Rennwagen und Werkteams.

Doch irgendwie war das auch der Anfang vom Ende. Von den Iso A3/C und den Strassenversionen des Bizzarrini GT 5300 enstanden bis 1968 (wahrscheinlich) 147 Exemplare – von denen nach Zählung des Marken-Experten Jack Koobs de Hartog noch rund 250 Stück existieren. Es gab auch noch einen kleinen «Bizza» auf Basis des Opel 1900 GT, doch auch der kam nie so recht aus den Startlöchern. Und einen Rennwagen, den P538, der keinen Blumentopf gewann. Aber: Giotto Bizzarrini war einer der letzten grossen Konstrukteure, er konnte tatsächlich alles, Fahrwerk, Motoren, Aerodynamik, Design – heute braucht es ja für jeden Blinker-Hebel zwei Ingenieure und ein Team von Designern. Wohl nie vorher und nie mehr danach in der ganzen Automobil-Geschichte kamen so viele wichtige Fäden an einem Ort zusammen wie bei Giotto Bizzarrini. Bloss rechnen konnte der Italiener nicht. Seine Firma stand immer am Rand des Ruins, Bizzarrini liess sich auf schmierige Berater und undurchsichtige Geschäfte ein – und im September 1968 verhängte die «Guardia di Finanza» die Insolvenz über den Betrieb., am 4.12.1969 wurde von einem Gericht in Livorno der Konkurs ausgesprochen. Giotto Bizzarrini erklärt sich das so: «Schon als ich ein Kind war, wollte ich nur Autos bauen – und ich hatte jede Minute eine neue Idee. Später musste ich dann lernen, dass es mehr als eine Minute braucht, um diese Ideen zu realisieren».

Es war (und ist) eine Tragödie. Die Bizzarrini waren nicht nur schön, sie waren auch schnell, allen anderen Serien-Sportwagen zumindest in den Jahren 1964/65 deutlich überlegen. Die amerikanische Technik war günstig und zuverlässig, sie liess den ambitionierten Sportfahrern noch Luft nach oben, Chassis und Fahrwerk waren das Beste, was es damals für Geld zu kaufen gab. Selbstverständlich sind die Bizzarrini heute sehr gesucht, im Vergleich zu den Ferrari aus jenen Jahren zwar immer noch Schnäppchen, aber doch so teuer, dass sich Fälschungen lohnen. Sie sind mit ihrem Gitterrohrrahmen und den Corvette-Motoren allerdings auch sehr einfach nachzubauen.

Giotto Bizzarrini war nach dem Konkurs nicht untätig, er arbeitete weiter für die Familie Rivolta («wir waren gute Freunde, wir halt bloss nicht die gleichen Beweggründe»), er konstruierte für den amerikanischen Konzern AMC den aufsehenerregenden AMX/3, er frisierte Motorräder und verfolgte Formel-1-Projekte. (Es gibt auch noch jene Gerüchte, dass er am Anfang in jenes Lamborghini-Projekt involviert war, aus dem dann der BMW M1 entstand. Doch dieses Rätsel könnte wohl nur BMW lösen – und hat wohl wenig Interesse daran.) Hauptsächlich arbeitete Bizzarrini aber als Professor an den Universitäten in Pisa und Florenz – und er lebt heute, mit 92 Jahren, immer noch in der Nähe von Livorno. Vielleicht wird er sogar noch erleben, wie die Marke Bizzarrini aufersteht: ein deutscher Unternehmer hat sich vor einigen Jahren die Namensrechte gesichert und arbeitet seither sehr seriös an einem Neubeginn. Was «radical» selbstverständlich gespannt und aus der Nähe verfolgt.

Mehr schöne Exoten und Klassiker finden sich in unserem Archiv. Und wir haben da ja auch schon den einen oder anderen (mehr oder auch weniger) echten Iso/Bizzarrini:
Bizzarrini BA4*0106
Bizzarrini GT Strada 5300 – #IA3*0323
Bizzarrini P538
Bizzarrini Manta
Bizzarrini Ghepardo
Iso Grifo A3/C #B0209

Wir haben übrigens sogar eine eigene Facebook-Seite für die Bizzarrini. Die wir aber nicht so schön pflegen. Wir versprechen aber: Besserung.

Der Beitrag Giotto Bizzarrini erschien zuerst auf radicalmag.