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Test Morris 1100

Published in radical-mag.com

Überraschend

Eigentlich war ja alles: gut. Sir Alec Issigonis, der grossartige Erfinder des Mini, zusammen mit Pininfarina als Designer – da kann eigentlich gar nichts schiefgehen. Und die Zahlen waren auch bestens: ADO16, angeboten als Morris 1100, MG 1100, Vanden Plas Princess 1100, Austin 1100, Wolseley 1100 und auch noch Riley Kestrel, war in den 60er Jahren das meistverkaufte Automobil in Grossbritanien.

Beginnen wir vorne: Issigonis, damals noch nicht Sir, aber von seinen Mitarbeitern nach den Erfolgen mit dem Morris Minor und dem Mini als «der griechische Gott» bezeichnet, wollte nach dem Mini-Geniestreich ein grösseres Auto konstruieren. Eines, in das er noch mehr technische Feinheiten einbauen konnte, so richtige: Innovationen. ADO16, wobei ADO für «Austin Drawing Office» steht, sollte ein Meisterwerk werden. Allerdings: Issigonis musste den Wagen rund um den BMC-A-Motor konstruieren, der nicht als Ausbund von Lebensfreude oder gar Garant für Fahrspass berühmt war. Damit die Platzverhältnisse gut wurden, was bei Issigonis Bedingung war, musste die Maschine natürlich quer eingebaut werden, die Vorderräder angetrieben. Das Getriebe befand sich, wie schon beim Mini, unter dem Motor, mit dem es sich auch das Öl teilen musste. Vier Gänge, drei davon synchronisiert, das war damals Usus. Dafür waren dann die Bremsen innovativ für die damalige Zeit: Scheiben, mit einem schwimmend gelagerten einzelnen Bremssattel. Richtig spannend wurde es dann beim Fahrwerk: Hydrolastic heisst das Zauberwort.

Es ist ja nun so: die englischen Strassen, vor allem draussen auf dem Lande (und davon gibt es in Grossbritannien: viel), sind ja nicht nur die besten. Einmal abgesehen davon, dass sie eng sind, sich gern durch Hecken winden und über noch manch ein Schlagloch verfügen, sind sie auch sehr kurvenreich. Und manch eine Biegung taucht ziemlich unvermittelt aus dem Gebüsch auf, zack, und schon geht es um 90 Grad nach links. Oder rechts. Diese Tatsache erklärt nicht nur, weshalb viele englische Automobile ziemlich schmal sind, sondern auch über ein – verhältnismässig – gutes Fahrwerk verfügen. Damals, Ende der 50er Jahre, war sicher die DS von Citroën das Mass aller Dinge in Sachen Fahrwerk (und wohl auch deshalb in England sehr beliebt). Alex Moulton, unter Issigonis verantwortlich für das Fahrwerk von ADO16, erzählte in den 80er Jahren, dass er und «der griechische Gott» sich die DS durchaus angeschaut hatten, aber noch mehr: den Citroën 2CV. Was Moulton aus diesen Betrachtungen ersann, war ein ziemlich kompliziertes System: Statt den damals üblichen Schraubenfedern und den (ölhydraulischen) Stossdämpfern benutzte er Verdränger-Einheiten, die aus einer Gummifeder und einem Gummiventil bestanden. Vorderrad- und Hinterradfeder nun waren über eine Rohrleitung verbunden, die mit einer Mischung aus Wasser und Alkohol gefüllt war. Diese wiederum bewirkte, dass, wenn das Voderrad einfederte, das Hinterrad angehoben wurde. Damit wurde vor allem das übliche Nicken, das besonders bei Fahrzeugen mit kurzem Radstand – Mini… – nicht besonders angenehm war, vermieden, auch die Wankbewegungen – 2CV… – wurden deutlich geringer. Und: der Komfort auf den schlechten englischen Strassen war deutlich besser als bei der Konkurrenz.

Man könnte jetzt meinen: englische Autos und Rohrleitungen mit Flüssigkeiten, das ist eine nicht besonders gelungene Kombination. Aber es funktionierte tatsächlich, die Hydrolastic machte keine Probleme (ausser vielleicht: manchmal – und war dann nicht ganz einfach zu reparieren). Überhaupt wurde ADO16 allgemein geschätzt für seine Verarbeitungsqualität, er war zuverlässig, quer über alle Produkte. Und, wie schon erwähnt: sehr beliebt. Das lag sicher auch an den ausgezeichneten Platzverhältnissen, die das 3,73 Meter lange, 1,53 Meter breite und 1,35 Meter hohe Fahrzeug bieten konnte. Pininfarina hatte ADO16 ein zwar nicht gerade berauschend schönes (und mit den steil stehenden Heckleuchten auch ganz bewusst amerikanisch inspiriertes) Kleid verschafft, das aber ein erstaunlich gutes Raumgefühl vermitteln konnte. Das lag sicher auch am langen Radstand von 2,38 Meter: vier, sogar fünf Personen fanden bequem Platz – und es blieb noch ein anständiger Kofferraum. Das Innenleben darf man getrost als eher simpel bezeichnen – nichts war überflüssig. Es gab verschiedene Ablagen, was das Cockpit etwas zerklüftet erscheinen lässt, das Lenkrad stand relativ schräg, Seitenhalt auf den Sitzen war eine Qualität, die damals noch nicht erfunden worden war. Doch eine Familie liess sich bestens transportieren, auch über längere Strecken, und deshalb wurde ADO16 als zuverlässiger Begleiter sehr geschätzt. Zumindest auf der Insel: auf dem Festland kamen seine Verkäufe nie so recht in Gang, ausser in Spanien, wo verschiedene Varianten in Pamplona montiert wurden. Der Mark I von ADO16 wurde zwischen 1962 und 1967 gebaut, es folgte der Mark II (bis 1971), den es auch mit dem grösseren Motor mit 1275 cm3 Hubraum gab, es folgte noch der Mark III, der bis 1974 gebaut wurde (und in Südafrika, als Austin Apache, sogar bis 1977). Über 2 Millionen Exemplare wurden insgesamt verkauft.

Wir fuhren einen Morris 1100 auf seinem bevorzugten Gelände in Süd-England, auf diesen engen, schmalen Strassen, für die er wie geschaffen ist. Gut, gerade wild war es nicht, doch: es machte erstaunlich viel Freud‘ für nur gerade 48 Pferdchen. Die allerdings auch nur knapp mehr als 800 Kilo zu bewegen haben. Erster Gang unsynchronisiert, wie das damals noch üblich war, die anderen drei eher mit Kraftaufwand zu bedienen. Aber: der Komfort – wirklich erstaunlich. Und die Platzverhältnisse – wirklich erstaunlich. Übrigens: unser Selbstversuch erfolgte in einem gemieteten Morris 1100. 100 Pfund pro Tag damals bei Vanilla Classics. Die es leider nicht mehr gibt…

Weitere schöne Exoten haben wir in unserem Archiv. Wir möchten uns für die miserablen Bilder entschuldigen – es kam etwas: dazwischen.

Der Beitrag Test Morris 1100 erschien zuerst auf radicalmag.