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Das Getriebe, Test Honda Civic Type R 2296

Published in radical-mag.com

Test Honda Civic Type R

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Feuchter Traum oder geiles Renngerät? Kaum ein Auto spaltet die Auto-Fangemeinde so wie der Honda Civic Type R. Nach dem Test sehen auch wir klarer. Und wir spüren es immer noch in der rechten Hand. Diesen Schalthebel, dieses Getriebe. Ja, wir müssen beim Getriebe anfangen. Diese Sechsgang-Box, was für ein Gedicht. Die Schaltwege kurz, die Schalthebelführung super exakt. Und wie die Gänge mit sehr leichtem Widerstand «einklicken», ach welche eine Freude. Nach Monaten mit Rührwerken wie in diversen Opel-Modellen, Doppelkupplungs-Granaten wie bei VW oder Porsche war das Schalten im neuen Civic Type R eines unserer Highlights dieses Jahr. Können das nur Japaner? Auch der Mazda CX-3 - der derzeit bei uns im Dauertest steht - hat so ein wunderbares, manuelles Getriebe. Nicht ganz so knackig wie im Honda, aber nahe dran. Ist es den europäischen Herstellern nicht mehr wichtig, wie sich ein Auto anfühlt? Angesichts stetig sinkender Einbauraten von Handschaltgetrieben irgendwie zwar verständlich, aber deswegen noch lange nicht okay. Allein das Getriebe im Type R wäre ein Grund, das Auto einfach zu kaufen. Aber, es gibt noch einige weitere Punkte, die für den Honda sprechen. Und natürlich auch ein paar, die uns davon abhalten, den Type R vor die Käserei zu stellen.

Beginnen wir mit einem Punkt, der uns mässig gefallen hat, der Optik. Klar, für asiatische Verhältnisse ist der Type R sehr progressiv gestylt. Bei uns würde man den Vergleich mit dem Yoghurtbecher bemühen. Viel Spoiler, allerlei Luftschlitze und ein knallrotes Interieur. Da muss man als Fahrer einiges an Sprüchen erdulden. Klar, Civic-Fahrer sind sich das ja eh gewohnt. Aber wir finden, bei Honda hat man es etwas übertrieben. Und ist zu alten Untugenden gegangen. Bei den Rädern zum Beispiel. Wieso soll ich mir so ein teures Automobil kaufen wenn ich dann zum nächsten Wald- und Wiesentuner rennen muss, um ein paar Distanzscheiben zu bestellen? Denn die Rädern stehen, wie früher fast immer bei japanischen und koreanischen Autos, viel zu weit innen. Hinten sind es gar einige Zentimeter, welche der Kotflügel den Reifen überragt. Das sieht einfach nicht fett aus. Schade.


Das Getriebe also top, die Optik sicher nicht für introvertierte Sportfahrer geeignet. Und sonst? Ja sonst gibt es 310 PS, 400 Nm bereits bei 2500 Umdrehungen. Honda sagt, der Turbo-Vierzylinder drehe hoch wie ein supersportlicher Saugmotor. Offenbar arbeiten in der Presseabteilung nur noch Jungspunde. Denn wer einmal einen S2000 auf 9000 Touren gedreht hat weiss, dass das nicht stimmen kann. Klar, der Type-R-Motor dreht auch auf 7000 Touren, und er macht dies leichtfüssig. Aber, es ist ein Turbomotor, kein Vergleich zu den feingliedrigen R-Maschinen der Vergangenheit. Und, um so viel Liestung zu generieren braucht es einen grossen Lader. Was wiederum den Nachteil hat, dass er Drehzahl braucht, um den nötigen Ladedruck zu liefern. Wir mögen nicht von einem Turboloch sprechen, aber das Ansprechverhalten im untersten Drehzahlbereich entspricht dem eines getunten Dacia. Das klingt jetzt übel und: ist es auch. Ab etwa 2200 Umdrehungen aber kommt der Zweiliter richtig schön zur Sache. Dann ist die Welt wieder in Ordnung.





Mit den 310 PS ist der scharfe Civic nun wirklich kein lahmes Ei. Daran mitschuldig ist auch das schrägverzahnte Sperrdifferenzial an der Vorderachse. Klar, auch viele anderen Hot Hatches haben mittlerweile diese Traktionshilfe an Bord. Aber, bisher hat keines dieser Systeme so überzeugt wie beim Type R. Nicht, weil es noch mehr Traktion bietet als andere Systeme, sondern weil das Zusammenspiel aus Aufhängung, Lenkung, Differenzial und Torque Vectoring so perfekt funktioniert. Uns ist nicht ganz klar wie es Honda geschafft hat, ein Sperrdiff zu implementieren, dass an der Lenkung kaum spürbar ist. Wir gehen davon aus, dass es mit der speziellen Vorderachskonstruktion zu tun hat. Die Aufhängung mit zwei Achszapfen ist gegenüber einer integrierten Federbein- und Achsschenkelkonstruktion (McPherson)  voneinander getrennt. Der Achsschenkel reagiert auf die Lenkeingabe des Fahrers, während das Federbein die Horizontalbewegungen aufnimmt. Das klingt kompliziert, ist es vielleicht auch. Aber es funktioniert ganz wunderbar.

Wunderbar heisst auch: schnell. Der Type R ist eine echte Fahrmaschine. Wenn man das «plus R»-Knöpfchen drückt, schalten alle Systeme auf scharf, die adaptiven Dämpfer geben sich deutlich weniger Mühe, Unebenheiten zu filtern und die Gaspedalkennlinie wird angepasst. 1382 kg wiegt der Honda vollgetankt, aber ohne Fahrer. Das ist nicht viel. Aber auch nicht extrem wenig. Dafür scheint die Gewichtsverteilung ziemlich gelungen zu sein. Auch beim harten Reinbremsen in enge Ecken wird das Heck nicht zu lebendig, das Ganze ist gut beherrschbar. Ja, wir mögen den Type R, zumindest wir im Auto sitzen. Auch wenn die auffällige Polsterung - die zum Glück eine Option ist - schon etwas auf die Augen geht. Nichts zu kritisieren haben wir an der Bedienung, auch wenn die Anzahl an Displays, Warnanzeigen und Bildschirmen an der oberen Grenze liegt. Nach wie vor unsinnig sind die zum Teil zufällig verstreut wirkenden Schalter. Aber das war bei Honda schon immer so. Und: man gewöhnt sich auch an diese Schalter-Orgie. Vor allem, weil der heisse Civic so viel Spass macht verzeiht man ihm einiges.

Natürlich müssen wir auch noch über den Preis des Viertürers reden. Der ist verglichen mit den Konkurrenzmodelle von Seat (Leon Cupra) oder auch Peugeot (308 GTi) auf Augenhöhe. 36000 Franken kostet der R mindestens. Der Cupra mit 280 PS  beginnt bei 37850 Franken und Peugeot will für den GTi mit 270 PS mindestens 42000 Franken. Da mutiert der Japaner schon fast zum Schnäppchen. Zumal auch er hochwertige Komponenten wie die standfeste Brembo-Bremsanlage zu bieten hat. Wer sich mit der wilden Optik anfreunden kann findet im Honda ein wunderbares Sportgerät mit erstaunlich gutem Sound (also den von Motor und Abgasanlage) sowie einer nur wenig eingeschränkten Alltagstauglichkeit. Und noch ein Wort zum Thema Preise. Ein Type R mit allen nur verfügbaren Optionen ist derzeit gleich teuer wie  ein VW Golf GTI Performance mit 230 PS.

Wir mögen den Honda, weil er anders ist, weil er so schräg ist, dass er schon fast wieder cool ist. Und, weil er das beste Getriebe an Bord hat, dass wir seit Ewigkeiten gefahren sind. Und die paar Hunderter für die Distanzscheiben bringt man sicher auch noch zusammen...

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