Ich fahre, also spinn´ ich., Bellberg schreibt-1580
Bellberg schreibt
Lesen Sie: Guido Bellberg.
Heute muss ich mich einem unangenehmen Thema widmen, obwohl ich viel lieber an einer Studie zum «Vorantreiben der europäischen Integration durch das engagierte Paarungsverhalten junger Französinnen in den achtziger und neunziger Jahren» teilnehmen würde, bei der mich aber niemand dabei haben möchte und von der ich mir nicht einmal sicher bin, ob es sie überhaupt gibt, aber wiederum sicher, dass, falls es sie nicht gibt, sie dringend ins Leben gerufen werden müsste und ich kenne da auch zwei oder drei Herren, die man dazu befragen könnte.
Aber nein, ich muss über automobilen Sozialneid schreiben. Der übrigens viel häufiger zu beobachten ist als lebenslustige Französinnen. Zumindest in Deutschland und – ich vermute – auch in der Schweiz.
Und das nicht erst seit gestern. Früher, in der goldenen Zeit, fuhr ich im Sommer immer einen bordeauxroten BMW E30 als (unverschandeltes) Cabriolet. Ein herrlich eckiger und gradliniger Wagen, mit starkem Strich gezeichnet und einem angenehmen Sechszylinder ausgestattet. Diese Tatsachen hielten aber ein oder zwei entfernte – und im Allgemeinen sowieso wenig originelle – Bekannte auch nicht davon ab, zu meinen, dass mein Beamer doch ein „Friseurauto“ oder „Weiberauto“ sei. Das war natürlich besonders amüsant, weil die betreffenden Männer selbst in extrem weibischen Familien-Vans umhereierten und damit regelmäßig zum Sport fuhren. Um sich dort enge Trikots anzuziehen, sich beim kleinsten Erfolgserlebnis zu umarmen und dann gemeinsam auf dem Boden zu kugeln.
Auch in all den Jahren, in denen ich 944er von Porsche gefahren bin, gab es sehr, sehr viele Mitmenschen, dir mir ständig ungefragt mitteilen mussten, dass ein Elfer ja viel schöner und mein Auto eigentlich gar kein richtiger Porsche sei. Worauf ich immer mit einem unkomplizierten „drauf geschissen“ zu antworten pflegte.
Und auch in dieser Zeit nannten die bemitleidenswerten Gestalten, die zu jedem meiner Autos irgendeinen Senf dazuzugeben hatten, fast immer ein Gefährt ihr eigen, das ich nicht einmal einer toten Feldmaus zumuten würde.
Ich vermute also, es gibt einen weit verbreiteten und sehr unschönen Hang zur stillosen Unhöflichkeit, die sich selbst gerne „Ehrlichkeit“ nennt. Allerdings eher selten bei Frauen und ziemlich häufig bei Männern.
Außerdem habe ich den Verdacht, dass es ein bislang unerforschtes Rechtfertigungs-Gen gibt, das immer dann anspringt, wenn ein Mann selbst in einem französischen Kleinwagen sitzt, aber ein anderen Mann in einem Sportwagen. Und das ganz zu Recht, will ich meinen.
Zeit also für einen neuen „Sommer der Liebe“, meinetwegen auch einen Winter, in dem wir alle einfach mal die Klappe halten, wenn uns das Auto eines anderen nicht gefällt. Und uns stattdessen lieber fragen, ob uns unser eigener Wagen eigentlich noch gefällt. Oder jemals hat. Und, falls wir dies nicht bejahen können, uns sofort auf die Suche nach dem Traumwagen machen, den wir uns eben gerade leisten können.
Altes Cabrio, Hecktriebler, Gangster-Limousine – es gibt unendlich viele Möglichkeiten in einem Auto glücklich zu werden, sogar ohne Französinnen. Warum sich also das Leben gegenseitig schwer machen? Wenn ich das nächste Mal einen Dummschwätzer mit angeknackstem Auto-Ego begegne werde ich mich jedenfalls nicht einmal ansatzweise für meine derzeitigen Vorlieben rechtfertigen sondern ohne Worte schneller verschwinden als ein schüchterner Eichhörnchenfurz auf hoher See. Das nenne ich dann höfliche Ehrlichkeit.
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Original: radical