Mitten ins Herz, Fahrbericht Cadillac CTS-1510
Fahrbericht Cadillac CTS
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Stolze 112 Jahre alt ist die Marke Cadillac unterdessen. Einst, lange ist es her, waren die Amerikaner «Standard of the World», der edelste aller Autohersteller, grossartiger noch als Rolls-Royce und Mercedes zusammen. In Europa war der Ruhm nie so gross wie die Fahrzeuge, die auch schon über sechs Meter lang waren. Eine kleine Ausnahme: die Schweiz. Hierzulande gab es immer eine Fan-Gemeinde, welche den amerikanischen Luxus, die Pracht zu schätzen wusste. Und obwohl es in den vergangenen Jahren immer wieder Wirren gab um den Import der Cadillac, halten immer noch 9 Händler der Marke die Treue – in ganz Europa sind es insgesamt 40...
Viele Versuche haben die Amerikaner seit der Jahrtausendwende unternommen, um ihre Position in Europa endlich zu verbessern; alle sind sie gescheitert, immer blieben die Verkaufszahlen mehr als nur ernüchternd. Jetzt versuchen sie es einmal mehr, und der Zeitpunkt scheint wenig glücklich, denn gerade hat das Mutterhaus General Motors verkündet, ab 2015 keine Chevrolet mehr zu verkaufen in Europa. Ob das Vertrauen schafft in amerikanische GM-Produkte? Man ist bei der europäischen Cadillac-Organisation trotzdem zuversichtlich, es wird fleissig ausgebaut, man Ideen, Pläne, tralala - das Spiel ist bekannt, Lexus versucht es seit Jahren, erfolglos, Infiniti bringt keinen Fuss auf den Boden, zu stark sind die deutschen Konkurrenten, und dann sind da auch noch Jaguar, Volvo...
Ein grosser Teil des Cadillac-Optimismus kommt vom neuen CTS, der gemäss Aussagen der Amerikaner gegen den 5er-BMW und die E-Klasse von Mercedes antreten will (Audi wird nicht genannt, eine Fronttriebler-Marke erscheint im Weltbild der Amerikaner nicht). Als «Herz der Marke» wird der neue CTS bezeichnet, das hat seinen Grund auch in den erstaunlich guten Verkaufszahlen in den USA, wo es der CTS in den vergangenen Jahren tatsächlich geschafft hat, eine jüngere Klientel zur Marke zu locken.
Und genau mit diesem «Herz» ist auch gleich schon ein Problem des jüngsten Cadillac auf dem Tisch: unter der Haube des CTS arbeitet ein 4-Zylinder-Turbo mit 2 Liter Hubraum. Der schafft zwar beachtliche 276 PS (gleich wie im ATS, mit der ja auch die Plattform teilt) und ein maximales Drehmoment von 400 Nm (etwas mehr als im ATS), auch die Fahrleistungen können sich sehen lassen (6,6 Sekunden für den Sprint von 0 auf 100 km/h, Höchstgeschwindigkeit 240 km/h), sogar der Verbrauch (8,5 Liter gemäss Norm) hält sich einigermassen in Grenzen. Doch es ist ein Vierzylinder – da wird der bisherige Cadillac-Kunde zu Recht sentimental, und die typische BMW/Mercedes-Klientel rümpft die Nase. Es kommen, irgendwann, noch weitere Motoren, Diesel, V6 mit Doppelturbo, doch den ersten Auftritt mit einem nur schon in Sachen Geräuschentwicklung kümmerlichen 2-Liter-Turbo zu wagen, halten wir für keine besonders clevere Entscheidung. Da bringt auch der optionale Allradantrieb keine Linderung.
Zumal der neue CTS nicht mehr derart modernistisch auftritt wie sein Vorgänger. Von vorne ist der Cadillac zwar weiterhin aussergewöhnlich gezeichnet, er gibt sich massiv die Kante, doch hinten wirkt die neue Generation sehr konservativ. Langweilig schon fast. Und irgendwie ist der Gegensatz zu gross, das wirkt nicht wirklich stimmig, harmonisch. Wobei die Schönheit eines Automobils ja immer im Auge des Betrachters liegt.
Auch innen: da gibt es zwar edle Materialien, Leder, Holz, schön und liebevoll von Hand zusammengefügt, doch es gibt auch die typischen GM-Plastikteile, wie man sie aus den Opel bereits kennt. Damit kann man die verwöhnte deutsche Premium-Kundschaft nicht hinter dem Ofen hervorlocken, da verbleiben die Amerikaner auf dem Niveau von Lexus und Infiniti, und die werden für ihre Interiors ja auch nicht nur gelobt.
In Sachen Fahrwerk haben sich die Amerikaner namhafte Hilfe geholt, die Lenkung kommt vom deutschen Zulieferer ZF, die vorderen Bremsen vom italienischen Spezialisten Brembo. Am Fahrverhalten gibt es denn auch gar nichts zu bemängeln, einen guten Kompromiss zwischen Komfort und durchaus sportlichem Auftritt kann der CTS bieten, er ist trotz einer Länge von fast fünf Metern auch einer flotten Kurvenfahrt nicht abgeneigt. Aber einen Vorteil gegenüber den etablierten Konkurrenten kann er sich da auch nicht erarbeiten, der Cadillac ist dank modernster Fertigungsmethoden zwar etwas leichter (unter 1,7 Tonnen), doch das spüren wohl nur Piloten, die gekonnt und vor allem lieber Sportwagen bewegen. Wir konnten nur den allradgetriebenen CTS fahren, der seine Arbeit erfreulich neutral verrichtet, vielleicht macht aber der heckgetriebene Cadi (noch) mehr Freud'; andererseits, äh, eben, vier Zylinder, Turbo.
Es bleibt der Preis: das Basis-Modell des CTS ist in der Schweiz ab 59'900 Franken zu haben. Wer den vollen Luxus will und auch noch Allrad, der bezahlt maximal 72'900 Franken, und das ist dann ein wirklich interessantes Angebot, da können die bayrischen und schwäbischen Hersteller dann nicht mehr mithalten. Doch so richtig nervös wird die Deutschen der neue Auftritt von Cadillac trotzdem nicht machen.
Wir schreiben dann noch etwas zur Situation der neuen/alten Herausforderer im Premium-Bereich.
Mehr Cadillac gibt es im Archiv.
Jene Cadillac, die noch Cadillac waren, findet man bei www.radical-classics.com.
Original: radical